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Alle Jahre wieder...

Alle Jahre wieder...

15. August 2013 Comments 0 Comment
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Eini­ge Gedan­ken zum pla­ka­ti­ven Schwachsinn

Noch nie zuvor in mei­nem Leben war ich so in den Wahl­kampf einer Par­tei invol­viert wie in die­sen Tagen. Als eher zyni­scher Beob­ach­ter des Wahl­thea­ters der eta­blier­ten Par­tei­en waren deren Kam­pa­gnen für mich immer so über­zeu­gend und nach­voll­zieh­bar gewe­sen wie Ern­tenach­rich­ten aus Nord­ko­rea. Nun bin ich seit vier Jah­ren Pirat, ste­he selbst an Info­stän­den, rede mit frus­trier­ten und poli­ti­ker­ver­dros­se­nen Bür­gern, ver­su­che als ehe­ma­li­ger Nicht­wäh­ler Leu­te zu über­re­den doch zur Wahl zu gehen und opfe­re gan­ze Aben­de, um mit Kabel­bin­dern in der Hand durch Jena zu zie­hen und Pla­ka­te an den Licht­mas­ten die­ser Stadt auf­zu­hän­gen. Ich tue das mit einem gewis­sen unge­sun­den Maß an Idea­lis­mus, aber der zyni­sche Beob­ach­ter in mir hat sich nicht in Luft auf­ge­löst und grinst so frech wie eh und je.

Die Stadt ist vol­ler Pla­ka­te. Alle Zufahrts­stra­ßen, wich­ti­ge Kreu­zun­gen und Plät­ze, Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­len, das gesam­te Stadt­zen­trum – die Öffent­lich­keit ist bis zum Bers­ten mit den Kon­ter­fei­en ver­schie­dens­ter Poli­ti­ker über­füllt. Der Blick hat kaum eine Aus­weich­mög­lich­keit. Die Mate­ri­al­schlacht hat begon­nen. Wer hat die Größ­ten, die Auf­fäl­ligs­ten, wer kann sich die meis­ten Pla­ka­te leis­ten. Das Fra­ge­zei­chen hin­ter die­sem Satz las­se ich weg, weil es kei­nen ver­nünf­ti­gen Men­schen gibt, der dar­auf eine Ant­wort hören möch­te. Seit gut einem vier­tel Jahr­hun­dert erlei­de ich nun die­se schö­ne bun­te Welt der bun­des­deut­schen Par­tei­en­de­mo­kra­tie und ich habe noch nicht ein ein­zi­ges Mal erlebt, dass irgend­ei­ne Par­tei irgend­et­was anders gemacht hät­te. Der Wäh­ler wird nach wie vor mit den gleich grin­sen­den, wohl­wol­lend lächeln­den, schlips­tra­gen­den, ernst drein bli­cken­den oder alter­na­tiv jovia­len Gesich­tern belei­digt wie vor zwan­zig Jah­ren schon. Die Aus­sa­gen sind so tri­vi­al, falsch, lächer­lich und leer wie immer. Nur das es mitt­ler­wei­le Mode gewor­den ist, hier und da gänz­lich auf irgend­ei­ne Aus­sa­ge zu ver­zich­ten. Wozu auch? Das Nichts­sa­gen­de hat sich in nichts sagen aufgelöst.

Die dreis­te Ober­fläch­lich­keit, mit der poten­ti­el­le Wäh­ler auf die eige­ne poli­ti­sche Sei­te gezo­gen wer­den sol­len, kennt kei­ne Gren­zen. Oder doch, sie grenzt letzt­end­lich ans Idio­ti­sche und Absur­de. Par­tei­en, die jahr­zehn­te­lang, selbst in kon­junk­tur­stärks­ten Zei­ten, die Staats­ver­schul­dung ins Uner­mess­li­che getrie­ben haben, ver­su­chen sich als Schul­den­brem­ser zu prä­sen­tie­ren. Par­tei­en, die sich in der Regie­rungs­ver­ant­wor­tung alle Mühe gege­ben haben, den Sozi­al­staat zu demon­tie­ren und die Arbeits­welt neo­li­be­ral umzu­ge­stal­ten, wol­len auf ein­mal Min­dest­löh­ne und sozia­le Gerech­tig­keit. Die Mit­te der Gesell­schaft, die man jah­re­lang durch die eige­ne Poli­tik in den Ruin getrie­ben hat, wird als beson­ders schutz­wür­dig pos­tu­liert. Ande­re beschwö­ren Zusam­men­halt und Gemein­sam­keit, aber die­ses vor­geb­lich so har­mo­ni­sche Mit­ein­an­der wird nur an einer ein­zi­gen Per­son fest­ge­macht, mit der alles steht oder fällt. Wie­der ande­re bedie­nen Träu­me von der Revo­lu­ti­on oder Träu­me vom immer­wäh­ren­den Res­sen­ti­ment, je nach­dem wie weit links oder rechts außen man sich im Spek­trum bewegt. Die Wahr­heit wird beschwo­ren, die Zukunft, die Fami­lie, natür­lich Sicher­heit und Arbeit und Wohl­stand. Der pla­ka­ti­ve Wahn­sinn wird den Leu­ten so selbst­ver­ständ­lich um die Ohren gehau­en, dass man platt vor Stau­nen ist.

Die Pira­ten bewe­gen sich in die­sem Zir­kus auf eine Art und Wei­se, die kör­per­li­che Schmer­zen berei­ten muss. Denn sie sind auf der einen Sei­te die ein­zi­ge ernst­zu­neh­men­de Par­tei, die das Polit­thea­ter der Eta­blier­ten in Fra­ge stel­len, ja im Grun­de über­win­den will. Pira­ten – so sie denn ihren eige­nen Anspruch ernst neh­men – ste­hen auf der Sei­te der Bür­ger und nicht der Poli­ti­ker. Sie kämp­fen gegen Abge­ord­ne­ten­be­stechung, Lob­by­is­mus und Kor­rup­ti­on. Eta­blier­te Par­tei­en­po­li­tik ist das Gegen­teil, sie basiert auf Lob­by­is­mus und Kor­rup­ti­on. Aber um über­haupt wahr­ge­nom­men zu wer­den und sich dem Wäh­ler als Alter­na­ti­ve zu prä­sen­tie­ren, ver­hält sich die Pira­ten­par­tei tat­säch­lich wie eine Par­tei. Sie mischt den Zir­kus nicht auf, sie brennt kei­ne Pla­ka­te an, sie hängt sel­ber wel­che auf.

Der Ver­such, sich von den pro­fes­sio­na­li­sier­ten Kam­pa­gnen der ande­ren zu unter­schei­den, kommt schüch­tern daher. Es wer­den zwar Gesich­ter prä­sen­tiert, aber die­se sind namen­los, unbe­kannt, belie­big. Jeder könn­te auf so einem Pla­kat ste­hen. Ver­steht der Bür­ger die­se Bot­schaft? Pira­ten haben kei­ne bezahl­ten Dienst­leis­ter, die mal schnell über Nacht Tau­sen­de von Pla­ka­ten über die Städ­te ver­streu­en. Sie machen alles selbst – kle­ben, trans­por­tie­ren, ver­tei­len, auf­hän­gen, abhän­gen – in ihrer Frei­zeit. Die Mate­ri­al­schlacht haben sie schon ver­lo­ren, bevor sie begon­nen hat. Sie kön­nen und wol­len nicht auf die dicken Spen­den­kof­fer der Indus­trie und Lob­by­ver­bän­de zurück­grei­fen oder – wie die FDP – sich über Tricks beim Steu­er­zah­ler bedie­nen. Es fehlt Geld ohne Ende. Egal wie­viel Pla­ka­te sie hän­gen, es sind immer zu wenig. Der all­ge­mei­ne Dum­men­fang ist Pira­ten zuwi­der. Aber wie wer­den sie sonst vom Wäh­ler wahrgenommen?

An unse­ren Info­stand in der Stadt kommt ein Jour­na­list einer gro­ßen thü­rin­gi­schen Tages­zei­tung. Nach kur­zem Gespräch lässt er durch­bli­cken, dass es in der Redak­ti­on die ein­deu­ti­ge Order gibt, über Pira­ten nicht zu schrei­ben. Die Netz­wer­ke der Mäch­ti­gen funk­tio­nie­ren präch­tig. Unab­hän­gi­ger Jour­na­lis­mus exis­tiert nur auf dem Papier. Etwas Ähn­li­ches berich­tet der Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der Pira­ten im Land­tag NRW. In einer Debat­te zur Beam­ten­be­sol­dung beob­ach­tet er, wie Redak­teu­re ihre Kame­ra­leu­te anwei­sen, die Kame­ras auf Stand­by zu schal­ten, wenn er beginnt zu reden. Kri­ti­sche Gegen­öf­fent­lich­keit wird aus­ge­blen­det. Mor­gen lesen wir wie­der in der Zei­tung, dass man ja von Pira­ten nichts hört, die sowie­so nichts tun und daher im Grun­de unwähl­bar sind. Ande­res Bei­spiel: Wir hän­gen Pla­ka­te in Kah­la auf. Bür­ger beob­ach­ten uns dabei und spre­chen uns an: Ich wür­de euch ja wäh­len, sagt ein älte­rer Mann. Aber im Fern­se­hen sieht man euch immer nur vorm Com­pu­ter sit­zen. Eigent­lich sind wir ganz nor­ma­le Men­schen, erwi­de­re ich. Aber im Stil­len den­ke ich, dass die sorg­fäl­tig aus­ge­wähl­ten und mani­pu­lie­ren­den Fern­seh­bil­der mäch­ti­ger sind. Durch sie wer­den vie­le Mil­lio­nen Gehir­ne gewa­schen, da kön­nen wir noch so vie­le But­tons mit "Denk selbst!" verteilen.

Ab und an bricht sich der Volks­zorn sei­ne Bahn. An sozia­len Brenn­punk­ten wie in Jena-Lobe­da wer­den Pla­ka­te der Par­tei­en her­un­ter­ge­ris­sen und beschä­digt. Dabei wird kein Unter­schied gemacht, Pira­ten­pla­ka­te sind da auch dabei. Leu­te, ihr habt mei­ne volls­te Sym­pa­thie. Nie­mand lässt sich gern für blöd ver­kau­fen. Nie­mand kann es euch ver­den­ken, dass euch der Zir­kus in sei­ner Gän­ze ankotzt und ihr dabei nicht dif­fe­ren­zie­ren könnt oder wollt. Wenn man im Fern­se­hen zuhö­ren muss, wie 7000-Euro-im-Monat-Poli­ti­ker dar­über schwa­feln, ob man den Hartz-IV-Satz um 5 Euro anhe­ben soll­te oder nicht, denkt man nicht mehr dar­über nach, ob Gerald Albe ein bes­se­rer Direkt­kan­di­dat als Vol­ker Blu­men­tritt ist. Man hat nur noch Resi­gna­ti­on oder Hass oder bei­des im Blut.

Der Kin­der­gar­ten der poli­ti­schen Kon­tra­hen­ten geht indes­sen wei­ter. Das sorg­fäl­tig insze­nier­te Links-Rechts-Thea­ter sug­ge­riert dem Wäh­ler, dass er sich ent­schei­den muss, auf wel­cher Sei­te er steht. Prag­ma­ti­sche, sozi­al­li­be­ra­le, bür­ger­ori­en­tier­te Alter­na­ti­ven wie die Pira­ten gehen dabei unter. Sie wer­den nur als wei­te­re über­flüs­si­ge Nuan­ce im ver­ab­scheu­ungs­wür­di­gen Spiel um die Macht wahr­ge­nom­men. Viel­leicht wer­den wir dem­nächst haar­scharf die 5%-Hürde über­sprin­gen und in den Bun­des­tag ein­zie­hen. Das wäre ein gro­ßer Erfolg. Es wür­de mich sehr freu­en und mit ein wenig mehr Hoff­nung erfül­len. Viel­leicht wer­den wir es nicht schaf­fen und die Medi­en wer­den süf­fi­sant über unser Ver­sa­gen schrei­ben und dass wir es ja nicht geschafft haben, den Wäh­ler zu über­zeu­gen. Es ist schön, Lei­den­schaft und Idea­le zu haben. Zu vie­le Illu­sio­nen soll­ten wir uns dage­gen nicht leisten.

Solan­ge die alten Spiel­re­geln gel­ten, über­zeu­gen auch die ande­ren mit ihrem infan­ti­len Schwach­sinn nie­man­den. Es gehen immer weni­ger Leu­te zur Wahl, immer mehr schla­gen ihr demo­kra­ti­sches Recht aus. Übrig blei­ben irgend­wann die untrenn­bar mit­ein­an­der ver­ket­te­ten Voll­idio­ten. Die einen, die wei­ter ihre bun­ten Pla­ka­te ohne Bot­schaf­ten hän­gen, die ande­ren, die dar­auf her­ein­fal­len und wei­ter ihr Kreuz bei "Volks­ver­tre­tern" set­zen, hin­ter denen schon lan­ge kein Volk mehr steht und die nichts und nie­man­den ver­tre­ten wol­len außer ihre eige­nen Inter­es­sen. Wenn es soweit ist, soll­ten wir als Pira­ten viel­leicht dar­über nach­den­ken, uns ganz bewusst aus die­ser Art von Wahl­kampf her­aus­zu­hal­ten. Und öffent­lich begrün­den, war­um wir dies tun. Ich glau­be, das wäre dann die deut­lich bes­se­re Alternative.

TrauKeinemPlakat

 


Gesellschaft, Piraten
Wahl, Politik, Bundestagswahl, Wahlkampf, Piraten, Jena

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