Die Mühen der Ebene
Auftaktveranstaltung "Neue Wege der Bürgerbeteiligung in Jena"
Am 21. März fand von 10 bis 13 Uhr im Volksbad die öffentlich unter dem Motto "Liebe Deine Stadt!" angekündigte Auftaktveranstaltung zum Thema Bürgerbeteiligung in Jena statt. Vorausgegangen war im Herbst vergangenen Jahres ein Stadtratsbeschluss, der die "neuen Wege" der Bürgerbeteiligung in Gestalt von Leitlinien, einer Vorhabensliste und einer Bürgerbeteiligungssatzung angehen will.
Da die Stadt sich mit Informationen zum Inhalt der Veranstaltung im Vorfeld stark zurückgehalten hatte, war — zumindest bei mir — die Spannung groß, wie man das Ganze angehen würde. Die Plakatkampagne "Liebe Deine Stadt!", die zuerst ohne jegliche Hintergrundinformation zu Thema und Veranstaltung daherkam, sorgte eher für Verwirrung, auch das wie eine mahnende Aufforderung klingende Motto war für meine Begriffe nicht glücklich gewählt. Der Veranstaltung folgten — insbesondere auf Twitter — weitere Diskussionen, in denen vor allem die nur scheinbar externe Moderation der Veranstaltung durch Frau Morgenstern vom Unternehmen ORBIT kritisiert wurde. Schließlich sitzt Frau Morgenstern auch als Sachkundige Bürgerin der Grünen im Werkausschuss KIJ.
Ich möchte mit diesem Beitrag bewusst nicht in diese Kerbe hauen, sondern den Start der neuen Wege etwas differenzierter betrachten. Beginnen wir mit einem positiven Blickwinkel, den der ganze angelaufene Prozess dringend verdient hat. Entgegen allen Befürchtungen hat die Stadt den etwa 60 Anwesenden kein vorbereitetes oder gar fertiges Konzept — und damit nur die eigenen Vorstellungen — vor die Nase gesetzt. Der Workshop-Charakter stand klar im Vordergrund. An verschiedenen Thementischen konnten die Bürger gemeinsam diskutieren und stichpunktartig ihre Gedanken schriftlich niederlegen. Neben aktuellen und künftigen Themen der Stadtentwicklung standen Information und Kommunikation als auch Methoden und Verfahren der Beteiligung im Fokus. Jeder konnte seine Meinung sagen und verschiedene Bürger machten ihrem Unmut auch entsprechend Luft. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, wieviele Brennpunkte sich in den vergangenen Jahren in Jena aufgetan haben. Die offene Atmosphäre fand ich angenehm und konstruktiv.
Die Tischprotokolle werden — fotografisch festgehalten — öffentlich zur Verfügung gestellt. Eine ebenso öffentliche "Arbeitsgruppe Bürgerbeteiligung" soll sich künftig dem Verfahren widmen und weitere Veranstaltungen vorbereiten. Zeitgleich startete ein Blog "Beteiligung" der Stadt auf http://blog.jena.de. Hier sollen sich alle Informationen bündeln und nachlesbar sein. Ausgehend von den anderen öffentlichen Blogs der Stadt ist zu erwarten, dass jedermann dort freimütig kommentieren und seine eigenen Gedanken mitteilen kann. Man muss abwarten, wie nachvollziehbar und transparent sich der Erarbeitungsprozess der neuen Leitlinien und der Bürgerbeteiligungssatzung dort abbilden kann und wird.
Die Moderation der Thementische auf der Veranstaltung durch verschiedene Verwaltungsmitarbeiter war leider nicht in jedem Fall glücklich. Was wir nicht brauchen, sind zwei Fronten aus Bürgerschaft und Verwaltung, die gegeneinander reden. In diesem Sinne sind Verwaltungsmitarbeiter, die glauben, sie müssten dort eine Verteidigungs- oder Rechtfertigungsfunktion einnehmen, völlig fehl am Platz. Moderation ist eine Frage der Methodik, nicht des eigenen persönlichen Standpunkts. Vermutlich wird es so sein, dass von den Personen, die als Ansprechpartner vorgesehen sind und die eine Koordinierungsaufgabe in diesem Prozess übernehmen, viel abhängt. Hier ist große Sensibilität vonnöten, auf jeden Fall aber mehr Zurückhaltung als Direktive. Man muss allerdings sehen, dass die neuen Wege der Bürgerbeteiligung auch für die Verwaltung Neuland sind. Ich glaube hier müssen alle Beteiligten laufend dazu lernen und nicht von vornherein Porzellan zerschlagen, das gerade erst auf den Tisch gestellt wurde. Überzogene Erwartungshaltungen sind — egal von welcher Perspektive aus betrachtet — kontraproduktiv.
Kommen wir zu denen, um deren Beteiligung es vorrangig gehen soll — die Bürger. Auf der Veranstaltung waren in überwiegendem Maße die üblichen Verdächtigen anwesend: eine Handvoll Stadträte, kommunalpolitisch Aktive, Vertreter der Eichplatz-Initiative, der AG Bürgerhaushalt, der Agenda 21, der Soziokultur, einige Piraten natürlich, wenige Senioren. Überschaubar dagegen die Zahl der Leute, die nicht in irgendeinem Gremium sitzen oder organisiert sind, sondern einfach nur aus Interesse gekommen waren. Der Raum im Volksbad — der wegen seiner schlechten Akustik nicht gut gewählt war — zeigte sich leider nur mäßig gefüllt. Durch wen wird Bürgerschaft in Jena eigentlich vertreten? Wo waren die selbsterklärten Interessenvertreter — der vielen Bürgerinitiativen der Stadt, der Studenten, der Eltern, der Sportler, der Künstler, der Mieter, der Gewerkschaften usw.? Es mag leicht sein, auf eine nicht ganz ideale Orga durch die Stadtverwaltung drauf zu hauen, es ist offenbar noch leichter, einfach zu Hause hinterm Ofen sitzen zu bleiben. Das bereitet mir Sorgen, denn wenn wir mit einem Beteiligungsprozess diejenigen gar nicht erreichen, die wir beteiligen wollen, haben wir ein gravierendes Problem. Diesem Problem muss die Stadt sich von Anfang an stellen und in Zeiten von Politiker- und Parteienmüdigkeit und allgemeiner politischer Enttäuschung hat sie dabei eine Bringschuld. Wenn die Leute nicht mehr kommen, obwohl es um ihre eigenen Rechte und Mitsprache geht, muss die Kommunalpolitik zu ihnen kommen. Dann reichen nicht mehr Veranstaltungsangebote, ein paar Zeitungsartikel oder Plakate — dann muss sichergestellt werden, dass die Informationen in den Wohnzimmern landen. Dann darf man nicht darauf warten, dass sich schon irgendjemand äußern wird, sondern muss aktiv die Meinung der Bürger erfragen.
Ein Beteiligungsverfahren wie der diesjährige Bürgerhaushalt, der so viele Bürger wie — finanziell — möglich einbezieht und sich ebenfalls mit dem Thema Bürgerbeteiligung befassen wird, ist das richtige Signal. Ein kleines Häuflein zufällig Auserwählter wie erst letzte Woche für das weitere Vorgehen zum Thema Eichplatz beschlossen, ist das falsche Signal. Wenn man gar nicht erst wissen will, was sich die Bürger denn für ihr Stadtzentrum vorstellen, lässt man wieder die große Mehrheit außen vor und rennt von Anfang an in die falsche Richtung.
Was mir an der Veranstaltung am Samstag gut gefallen hat, war die Tatsache, dass mal Bürger, Verwaltung und Politiker an einem Tisch gesessen haben, um sich gegenseitig zuzuhören und miteinander zu reden. Und zwar außerhalb der formellen Gremien und der üblichen Rahmen. Das sollte man zur Tradition werden lassen. Es hat etwas Versöhnliches und sehr Menschliches an sich und Probleme in einem Gemeinwesen lassen sich nun einmal am besten gemeinsam lösen. Vielleicht ist es ja möglich, die in der Satzung der Stadt vorgesehene Bürgerversammlung in eine attraktive Form zu gießen und als alljährliches Bürgerforum zu reanimieren.
In anderen Städten, die sich bereits vor Jena auf den Weg gemacht haben, die Beteiligung ihrer Bürger freiwillig weiter zu entwickeln, standen die jeweiligen Oberbürgermeister immer an vorderster Front. Es war ihnen ein Herzensanliegen, ihre Bürger medienwirksam und in eigener prominenter Person zu motivieren und mitzunehmen. Diese Stärke hat Jena nicht, weil unser Oberbürgermeister in dieser Hinsicht leider nur durch Desinteresse glänzt. Die Bürger müssen also ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen. Der Samstag hat gezeigt, dass die Verwaltung und Teile der Kommunalpolitik gewillt sind, Unterstützung zu leisten. Dies ist richtig und wichtig, aber gehen müssen wir alle schon selbst. Das nimmt uns niemand ab. Vor den Bürgern Jenas liegen jetzt die Mühen der Ebene.