Leute hinterm Mond
Man könnte böse sein und mit einem gewissen Hauch von Ressentiment bemerken, dass diese Leute da hoch im deutschen Norden schon immer etwas seltsam waren und weitab von den großen Ballungszentren der Moderne die Zeichen der Zeit einfach verpennt haben. Denn das, was da vor kurzem im Kieler Landtag passiert ist, spottet nicht nur jeder Beschreibung, es ist Ausdruck einer verstaubten politischen Kultur, die einfach nur noch auf den Abfallhaufen der Geschichte geworfen gehört.
In einer Änderung der Geschäftsordnung wollte der selten einmütig handelnde Landtag von Schleswig-Holstein die Fraktion der Piraten nämlich daran hindern, ihre Laptops während der Sitzungen zu benutzen. Im gleichen Atemzug wollte man auch gleich eine grundsätzliche Redezeitbegrenzung einführen, Twitter, Film- und Tonaufnahmen verbieten und die Inhalte der Sitzungen des Ältestenrates als geheim einstufen.
Während man mit Bergen von Papier raschelte und die Abgeordneten der Etablierten über alle Sitzreihen hinweg ihren Plausch hielten, versteckte man sich hinter hanebüchenen Begründungen – etwa dass das Klappern der Tastaturen stören würde. Abgesehen davon, dass auf modernen Laptops Tastaturen so wenig "klappern" wie ein Fußtritt auf einem Kuschelteppich – man konnte nur wenig verhehlen, wie unangenehm die neuen "Kollegen" von der Piratenpartei einem eingefahrenen, verkrusteten und bürokratisierten System wie diesem Abgeordnetenhaus von anno dazumal sind. Man überbot sich gegenseitig mit Verurteilungen des darauffolgenden kreativen Protests zweier Piraten, die nun mechanische Schreibmaschinen aufstellten und darauf weiter arbeiteten. In einem für jeden offenbaren Theater voller Politaffen sprach man nun vom "Affentheater" der Piraten, zeigte sich "entrüstet" und "erschüttert" und dergleichen Blödsinn mehr. Der SSW-Fraktionsvorsitzende Lars Harms entblödete sich nicht, gar die "WLAN-Party" der Piraten abzulehnen.
Den meisten Bürgern in diesem Land ist mittlerweile klar, dass die Politiker unserer "Volksparteien" weder die Hellsten sind, noch die Ehrenwertesten. Ob man ungeachtet des eigenen schlechten Rufs auch noch die eigene Verkalkung des Gehirns auf eine solch drastische Weise zur Schau stellen muss, ist mir ein Rätsel.
Noch viel mehr ist mir ein Rätsel, dass eine Partei wie die Grünen, die einst mit dem Stricken von Pullovern und dem Stillen von Babys in Parlamentssitzungen konservative Bundestagsabgeordnete zur Weißglut trieben, in wundersamer Übereinkunft diese Blamage der ewig Gestrigen mitträgt! Man hätte in völliger Naivität natürlich erwarten können, dass diese Grünen die Diskussion zum Anlass nehmen, einen papierlosen Landtag zu fordern (wegen Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz und so), sich als "Netzpartei" zu profilieren und die fehlende Bürgernähe und Transparenz der Altvorderen zu kritisieren. Weit gefehlt!
Es schmerzt mich, dass eine so schöne und lebendige natürliche Farbe wie Grün heutzutage zu einem abscheulich-opportunistischen Geschliere verrührt wird, in dem man je nach Interessenslage und Machtkalkül alles – aber auch wirklich alles – vertreten kann, was irgendwie in den Kram passt. Niederschmetternder und enttäuschender kann Politik kaum sein.
Man kann den dämlichen Abgeordneten der Etablierten im Kieler Landtag gratulieren. Wieder einmal bedurfte es keiner Argumentation und keiner langwierigen philosophischen Erklärung um zu demonstrieren, wie überkommen und überlebt eine politisch-parlamentarische Struktur ist, die nicht nur von den Bürgern seit Jahren mit ostentativer Mißachtung bestraft wird, sondern sogar unfähig für die einfachsten Anpassungen und Fortentwicklungen ist! Und sei es auch nur an die des digitalen Zeitalters, das auch so schon Deutschland überrollt, ohne dass Merkel & Co. überhaupt auch nur das Geringste begreifen würden.
Den Piraten im Landtag von Schleswig-Holstein steht eine schwierige Aufgabe bevor. Während der ehrenwerte Herr Landtagspräsident sie nämlich auffordert, sich an das "bewährte System", das "schon immer so war", anzupassen, müssen sie den Menschen in ihrem Bundesland beweisen, dass sie angetreten sind, dieses System zu verändern. Und sich dabei von nichts abhalten lassen.
Erstrecht nicht von provinzialem Deppentum.
- www.n‑tv.de/politik/Piraten-packen-Schreibmaschinen-aus-article7328651.html
- fraktion.piratenpartei-sh.de/piraten-protestieren-gegen-laptopverbot/
- fraktion.piratenpartei-sh.de/video-rede-von-patrick-breyer-zu-laptopverbot-und-geheimrat/