Frei und wild
"Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt."
(Kurt Tucholsky)
Während bestimmte Kreise, deren Gewissen beim Tod von ein paar Hunderttausend Menschen nicht ins Straucheln gerät, das Vierte Reich vorbereiten, tobt der Kulturkampf in Deutschland derweilen – um eine Band. Ich stelle mir gerade vor, wie die Freunde des totalitären Überwachungsstaates in ihren Zirkeln sitzen und nachdem sie fleißig daran gearbeitet haben, welche Volkswirtschaft man in den Ruin treiben, wie man den nächsten Krieg anzetteln oder wo man eine tolle Freihandelszone errichten könnte, sich einen Champagner aufmachen, den es in keinem Discounter der Welt zu kaufen gibt und einige Pausenwitze reißen. Möglicherweise auch darüber, dass sich die selbsternannte revolutionäre Elite in einem der einflussreichsten Länder der Welt gerade an Frei.Wild abarbeitet. Das schallende Gelächter dürfte bis an die Ohren der Bodyguards vor den Hinterzimmertüren dringen.
Jeden Tag gehe ich auf meinem Weg zur Arbeit an einem Laternenmast vorbei, an dem folgendes zu sehen ist:
Wie man sieht, haben sich auch an diesem Aufkleber schon zwei Fronten abgearbeitet. Während die einen den wie auch immer gearteten Tod des Volkes lieben, haben die anderen durch Überkleben kenntlich gemacht, dass sie dies ablehnen und das Volk vor seinem Tod bewahren wollen. Es ist manchmal recht beängstigend zu sehen, wie leicht es ist, Menschen in ideologische Lager zu spalten und sie dann aufeinander zu hetzen. Umso schwerer scheint es zu sein, sie aus diesen festbetonierten Denkweisen wieder heraus zu holen.
Google belehrt mich, dass die Sorge vor dem drohenden Volkstod vor allem die Spreelichter oder Die Unsterblichen umtreibt, rechtsextreme und wohl mittlerweile verbotene Gruppierungen innerhalb der Widerstandsbewegung in Südbrandenburg. Diese ideologischen Kampftruppen fielen seinerzeit durch Flashmobs auf, in denen sie weißmaskiert und teilweise mit Fackeln auftraten und für Aufregung sorgten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sie diese kunstvolle Form des "Widerstands" von linken Aktivisten, die sich Die Überflüssigen nennen, abgeguckt hatten.
Während die einen also Angst vor dem Aussterben des Volkes haben, wollen die anderen dieses Aussterben am liebsten befördern. So bekannte Christin Löchner von der Linksjugend Sachsen in einem Schreiben an einen rechten Volkstodbesorgten geradezu enthusiastisch: "Ich liebe und befürworte den Volkstod!" ((man verzeihe mir die Quelle, aber der Korrektheit halber sei sie angegeben: http://julius-hensel.com/2012/01/linke-bazille-ich-liebe-und-fordere-den-volkstod/ )) Und der linke Vorzeige-Pirantinfant Oliver Höffinghoff fordert auf Twitter schonmal "Für mehr Volkstod! Mischt euch endlich!" und stolpert nebenbei mit "Vermischung" über lupenreine Nazi-Rhetorik. Das Netz verrät mir auch, dass eine ehemalige Mitarbeiterin von Höffinghoff gern den Berliner Polizeipräsidenten "anzünden" wollte – vielleicht um einen Anfang beim Volkstod zu machen, wer weiß.
Wie immer, wenn es um Ideologie geht, übertreffen sich die Skurrilitäten gegenseitig und wenn man sich recherchierend durch rechte und linke Blogniederungen wühlt, weiß man abwechselnd nicht, ob man lachen oder weinen soll. Dies trifft auch auf die Diskussion um Frei.Wild zu. Da ich mich selbst weder zu den Fans dieser Band zähle noch bisher kaum mehr als 3 Songs von ihnen gehört habe, hilft mir auch hier das Internet weiter. Ich erfahre, dass Frei.Wild ausgesprochen erfolgreich ist (mehrere Alben an der Spitze bzw. Platz 2 der deutschen Album-Charts), viele Freunde im realen Leben (ausverkaufte Konzerte) und viele Feinde im virtuellen Leben (Twitter & Co.) hat, für Kinderdörfer und ‑projekte spendet, sich bei den Böhsen Onkelz, In Extremo und Rammstein verwurzelt sieht und auf Festivals wie Wacken, Summerbreeze, Rockharz, Rock am Schlern, G.O.N.D. oder auf dem FIFA Fanfest (vor 500.000 Leuten) gespielt hat. Interessant auch die Tatsache, dass die Band gelegentlich Ladies-Night-Konzerte gibt, wo sie ausschließlich vor und für Frauen spielen. Als jemand, der mit der Neuen Deutschen Welle aufgewachsen ist, nehme ich amüsiert zur Kenntnis, dass Frei.Wild der Neuen Deutschen Härte zugerechnet werden.
Worüber empören sich nun die Empörten? Wikipedia schreibt, die Texte der Band beschäftigen sich mit "diversen Lebens- und Alltagserfahrungen. So geht es z. B. um Freundschaft, Geld, Alkohol, Führerscheinentzug, Freiheit, den Umgang mit Rückschlägen und Niederlagen sowie um die Heimat." Okay, gähn – noch was? Ja, die Bandmitglieder wehren sich in Interviews dagegen, als politische Band angesehen zu werden und distanzieren sich regelmäßig von Rechts- und Linksextremismus. Andererseits singen sie über Südtirol und sind von ihrer Heimat begeistert, das ist natürlich ganz schlimm. Es gibt Textstellen, die "subtile Anspielungen" enthalten, na guck mal an, was die sich so erlauben. Natürlich entscheiden "Experten", was subtil ist und was nicht und worauf angespielt wird. Außerdem wären sie "ultranationalistisch" und würden "Nazi-Ideologie" verbreiten. Der Geschäftsleiter des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung (was es nicht alles gibt!), Dirk Wilking, sagte dazu: "Im Lied «Südtirol» etwa wird eindeutig Italien angegriffen: Südtirol soll nicht mehr zu Italien gehören, vielmehr wollen sie etwas Grossdeutsches." ((Ich finde interessant und geschickt, wie er das Wort "angegriffen" benutzt, so als würde sich Italien einer militärischen Okkupation gegenüber sehen. Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Frei.Wild#Kontroversen_und_politische_Einordnung )) Da ich nun zufällig im Sommer 2013 im schönen Südtirol meinen Urlaub verbracht und auch das Heiligtum der Südtiroler, das Schloss Tirol mit einer Ausstellung zur Landesgeschichte besucht habe, lese ich interessiert den Liedtext zu Südtirol und finde — nun ja, ziemlich pathetisch formulierte Verse, wie häufig in sogenannter Volksmusik zu hören, sowie oft die Worte Heimat und Söhne. Großdeutschland muss mir irgendwie entgangen sein.
Ich finde den Begriff ultranationalistisch sehr spannend, sind wir Deutschen doch vor nicht allzu langer Zeit sogar für Ultranationalisten in den Krieg gezogen, so geschehen in Kroatien und im Kosovo. Waren das irgendwie andere, gute Ultranationalisten? Die Kommentare aus dem linken Lager zur besonderen Situation Südtirols (schon mal dort gewesen? schon mal mit Menschen dort gesprochen?) hören sich so an, als müssten die Südtiroler den ziemlich nationalistisch angehauchten Italienern dankbar dafür sein, dass diese ihre Kultur, Sprache und Traditionen unterdrückt haben. ((Phillip Burger von Frei.Wild sagt dazu folgendes: "Wir sind in diesem Umfeld aufgewachsen und sprechen aus unserer Sicht als Südtiroler, nicht als Deutscher. Das verstehen einige anscheinend nicht. Da muss ich doch nicht andauernd Rücksicht darauf nehmen, dass man als Deutscher keinen Nationalstolz entwickeln oder zeigen darf, weil man sofort als Nazi beschimpft wird. Das darf man als Deutscher immer nur während der EM oder WM." — siehe http://www.laut.de/Frei.Wild/Interviews/Wir-sind-eben-KEINE-Deutschen!-21–10-2010–760 )) Schließlich wurde ja so der Volkstod der Tiroler befördert. Ähnlich waren bestimmt auch die baltischen Völker der Sowjetunion sehr dankbar dafür, dass die eigene nationale Identität dem volkstodliebenden realen Sozialismus einverleibt wurde. Auch die Tibeter sind bestimmt ganz schön ultranationalistische Nazis. Schließlich könnten sie sich doch in den eigenen Volkstod fügen und die chinesische Kulturrevolution nicht mehr als abscheuliches Verbrechen an ihrem Volk ansehen. Und woher kommt eigentlich diese ganze nazi-verliebte Romantik um die Hobbits und ihr Auenland? Iiih, was für Nationalisten! Die Orks singen fröhlich: I love Volkstod ...
Aber eigentlich will ich mich da gar nicht reinhängen und mit einer Seite gemeinmachen. Für die meisten Menschen dürfte der Begriff Heimat etwas völlig Normales sein, für ein paar Wenige ist er Ausdruck von Nationalismus und rechtem Gedankengut. Ich kann da wohl auch nichts dran ändern. Allerdings sei es mir noch erlaubt, den Vorwurf der Gewaltverherrlichung, der immer wieder im Zusammenhang mit Frei.Wild vorgebracht wird, als besonders skurril zu empfinden. Mir ist bisher entgangen, dass linke Agitatoren auch gegen das Abendprogramm des deutschen Fernsehens protestiert hätten, das ist nämlich ziemlich gewaltverherrlichend. Oder gegen Egoshooter? Oder Death Metal? Oder Horrorfilme? Weltraumschlachten in so gut wie allen SF-Romanen? Verherrlichung genitaler Gewalt gegen kleine Jungen im Kinderkanal? Wo bleibt euer "Kein Fußbreit!"? Leute, seid doch nicht so lasch! Ihr werdet euch doch nicht mit ein paar heimatliebenden Volksmusik-Rockern aus den Alpen zufrieden geben! Ihr seid die Guten, da erwarte ich deutlich mehr von euch!
Schauen wir doch gleich mal an den anderen politischen Rand. Gewalt so als prima politisches Mittel für oder gegen alles Mögliche findet sich in allerhand Liedtexten linksextremer Bands. Als Beispiel sei hier Krachakne genannt, bei denen man schonmal Sätze wie die folgenden hören kann:
"1. Mai, alles brennt, / auch schön, wie dieser Wichser rennt.
Bullenschwein, ach Bullenschwein, / wir schlagen dir die Fresse ein.
Die Polizei, dein Freund und Helfer, / knall sie ab und hilf dir selber."
Die sind dann auch der Staatsanwaltschaft in Neuruppin aufgefallen. Vor Gericht beruft sich der Anwalt der Hasspunker auf "Kunstfreiheit". (("Der Anwalt zitiert in dem von ihm formulierten Antrag bekannte Bands wie „Die Ärzte“ („Hängt die Bullen auf und röstet ihre Schwänze“), „Slime“ („Bomben bauen, Waffen klauen, den Bullen auf die Fresse hauen“) und „Normahl“ („Haut die Bullen platt wie Stullen“)." — http://www.tagesspiegel.de/berlin/brandenburg/linksextremismus-schiess-doch-bulle/3868258.html )) Aaah, sehr schönes und völlig richtiges Argument. Schließlich gab es in Deutschland ja schon zwei Diktaturen, die versucht haben, nur politisch genehme Einheitskunst zu etablieren — die nationalsozialistische Diktatur und die Diktatur des Proletariats. Wollen wir "Kunst" à la Krachakne als entartet stigmatisieren und bekämpfen? Nein, das wollen wir nicht. Weil Kunst- und Meinungsfreiheit ein extrem hohes Gut in einer Demokratie sind. Selbst dann nicht, wenn einem beim Hören die Akne befällt. Folgerichtig musste sich daher Slime für überhaupt nicht gewaltverherrlichende Verse wie die folgenden nie vor einem Gericht verantworten:
"Stampft die Polizei zu Brei, haut den Pigs die Fresse ein, denn nur ein totes ist ein gutes Schwein."
Okay, okay. Das eine ist mit dem anderen nicht zu vergleichen. Was echte oder vermeintliche Rechte so von sich geben, ist ein Verbrechen. Was Linke machen, ist halt Kunst. Versteht jeder, diese Argumentation. Und Linke werfen nur Steine, während Rechte schonmal morden. Stalin, Mao und Pol Pot haben Millionen Menschen mit Steinen beworfen und die sind dann eher zufällig tot umgefallen. Wenn man es so sieht ... geht auch. Eigentlich geht jeder Schwachsinn, im galaktischen Maßstab gesehen sind wir bestimmt nicht das intelligenteste Volk. Oh, da haben wir wieder das böse V‑Wort.
Warum ich das alles schreibe? Ganz einfach, weil mir Freiheit am Herzen liegt. Und weil ich Heuchelei und Scheinheiligkeit nicht leiden kann. So einfach ist das.
Und wenn ihr mich jetzt für einen ultranationalistischen Nazi haltet, dann antworte ich natürlich mit einem Liedtext:
"Sie wollen mein Herz am rechten Fleck
doch seh ich dann nach unten weg
da schlägt es in der linken Brust
der Neider hat es schlecht gewußt."
(Rammstein — Links 2 3 4)
Gehabt Euch wohl!
Sehr lesenswert zu diesem Thema ist übrigens auch der Blogbeitrag von Aranita: