Disharmonische Drohkulisse
Viel ist besonders in Jena in den letzten Tagen über journalistische Sorgfalt und mediales Feingefühl diskutiert und geschrieben worden. Im Zusammenhang mit den kürzlich präsentierten Ergebnissen des diesjährigen Bürgerbeteiligungsverfahrens zum Kulturhaushalt der Stadt ist jedoch ein weiterer journalistischer Fehlgriff zu beklagen, den man nicht einfach so unwidersprochen im Raum stehen lassen kann. Gemeint ist ein unter der Rubrik "Jenaer Perspektiven" in der TLZ veröffentlichter Kommentar der Jenaer Redaktionsleiterin Lioba Knipping mit dem Titel "Weitsicht und Mut bei Stadträten gefragt" (TLZ vom 26.11.2011).
Doch beschäftigen wir uns zuerst mit den Fakten, nachzulesen im "Endbericht Bürgerhaushalt 2011", der die Ergebnisse der Auswertung durch Herrn Lautenschläger von der Fachhochschule Jena enthält. Vor dem September als eigentlichen Abstimmungszeitraum war an 15000 zufällig ausgewählte Jenaer Bürger die Haushaltsbroschüre der Stadt verschickt worden, die in diesem Jahr detaillierte Informationen und Zahlen zu den Kulturausgaben enthielt, verbunden mit der Aufforderung, sich mit beiliegendem Abstimmungsbogen am Bürgerhaushalt zu beteiligen. Gleichzeitig konnte man auch im Internet abstimmen. 2394 Bürger sendeten die Papiervariante der Abstimmung zurück, 640 Bürger beteiligten sich online. Vergleicht man diese Rücklaufquote mit anderen Bürgerhaushalten in Thüringen, die dort manchmal nur wenige Prozent beträgt, so kann man — wie schon in den letzten Jahren — die Beteiligung in Jena als sehr gut einschätzen. Die Arbeitsgruppe Bürgerhaushalt als "Initiator der Befragung", bestehend aus ca. 20 engagierten und ehrenamtlich tätigen Bürgern, freut sich über diese Zahlen, sind sie doch ein Zeichen dafür, dass die Jenaer regen Anteil am politischen Geschehen in ihrer Stadt nehmen.
Das Bürgerbeteiligungsverfahren zeigte als erstes, dass im Durchschnitt eine ausreichende bis etwas stärkere finanzielle Förderung der zehn zur Abstimmung gestellten Kulturbereiche bzw. Institutionen der Stadt konstatiert wird. Die im Vorfeld insbesondere von Kulturpolitikern und JenaKultur befürchtete Kürzungsvorlage für das Finanzdezernat der Stadt blieb also aus. Die Mehrheit der Bürger (70 %) sind mit den Kulturausgaben der Stadt also im Großen und Ganzen zufrieden, eine Beschneidung der Mittel wird nur von etwas mehr als 9 % der Befragten erwogen. Für einige Institutionen wie die Ernst-Abbe-Bibliothek, die Volkshochschule oder die Musik- und Kunstschule wünscht man sich unter Umständen eine etwas bessere finanzielle Ausstattung. Wenn man bedenkt, wieviele Menschen täglich die genannten Einrichtungen nutzen und wie groß die Nachfrage mittlerweile z.B. für die MKS ist und die Gebühren bereits erhöht werden mußten, verwundert dieses Ergebnis nicht. Die nach Meinung von Frau Knipping so stiefmütterlich behandelte Philharmonie bildet dabei keine Ausnahme, fast 73 % der Befragten waren der Meinung, dass die Philharmonie ausreichend, etwas mehr oder sogar deutlich mehr gefördert werden sollte.
Auf eine sachlich falsche Art und Weise reduziert der Kommentar der TLZ das gesamte Bürgerbeteiligungsverfahren auf die Frage Pro oder Contra Philharmonie und blendet damit die gerade in Jena sehr facettenreiche Kulturarbeit vieler weiterer Einrichtungen, Vereine und Initiativen einfach aus. Es war nie Ziel und Aufgabe des diesjährigen Bürgerbeteiligungsverfahrens dafür zu sorgen, dass sich die Jenaer Bürger für eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Philharmonie aussprechen. Ein Bürgerhaushalt — die Mitglieder der AG werden nicht müde es zu betonen — ist und bleibt ein Instrument der direkten Demokratie, das die Bürgermeinung einholen und in den politischen Entscheidungsprozess einbringen will. Manipulation ist uns fremd und hat in einem solchen Vefahren nichts, aber auch überhaupt nichts zu suchen! Die Meinung von Frau Knipping, der Bürgerhaushalt ist deswegen zu verwerfen und das Bürgervotum abzulehnen, weil die erwünschten und bevorzugten Ergebnisse angeblich nicht eingetroffen sind, zeugt nicht nur von einem merkwürdigen Verständnis von Demokratie, sondern ist auch noch angesichts der vielen Arbeit, die in Vorbereitung und Durchführung eines solchen Bürgerbeteiligungsprozesses steckt, sehr bedauerlich.
Doch es kommt noch schlimmer. Zum einen zögert die Kommentatorin nicht damit, ein Drohszenario an die Wand zu malen, denn wenn es nicht endlich mehr Geld für die Philharmonie gibt, würden sicher Musiker samt Familien das Weite suchen und ein tauglicher Generalmusikdirektor gar nicht erst antreten. Ob auch Kindergärtnerinnen, Musiklehrer, Friedhofsgärtner, Müllfahrer und viele weitere städtische Angestellte die Stadt verlassen, wenn ihre Institutionen nicht endlich mehr Geld bekommen? Zum anderen wird der Stadtrat letztendlich sogar aufgefordert, das Bürgervotum zu ignorieren (wahrscheinlich die angekündigten knappen Haushaltskassen gleich mit) und zugunsten der Philharmonie zu entscheiden.
Abgesehen davon, dass der einseitige Blickwinkel und die Unkenntnis des gesamten Verfahrens und seiner Ergebnisse aus jeder einzelnen Zeile spricht, mag man sich sogar fragen, ob Frau Knipping mit diesem Frontalangriff der Philharmonie nicht sogar einen Bärendienst erwiesen hat. Es ist schlecht vorstellbar, dass das ohne jeden Zweifel hochgeschätzte städtische Orchester so glücklich damit ist, in diesem Artikel quasi bereits "zu Grabe getragen" oder im sonst so solidarischen Kulturbetrieb Jenas als allein sinnvolles Investitionsobjekt präsentiert zu werden.
Es steht jedem Bürger frei und ist völlig nachvollziehbar und verständlich, sich für "seine" Lieblingskultureinrichtung stark zu machen. Dies jedoch als der Weisheit letzten Schluss zu präsentieren und dabei die Meinung Tausender Jenaer Bürger wie ein paar lästige Krümel vom Tisch zu wischen, dient weder der "Hochkultur", noch zeugt es von Sachverstand. Den haben nach wie vor die Bürger bewiesen. Die Stadträte werden einen Teufel tun, sich darüber hinweg zu setzen, sind sie doch als Vertreter des Volkes gewählt worden und wollen — nebenbei gesagt — auch wieder gewählt werden.
So bleibt denn auch schlußendlich völlig schleierhaft, woher die Behauptung genommen wird, die meisten Mittel würden Jenaer Bürger in die Bildung stecken wollen. Richtig ist allerdings, dass man Bildung braucht, um "Sinfonien von Bruckner oder Mahler" verstehen und genießen zu können. Das Eine macht ohne das Andere keinen Sinn und ich bin persönlich sehr froh, dass Jenaer Bürger das besser verstanden haben als die wenigen, dafür aber lauten Kritiker des Bürgerhaushalts.