Skip to content
Franks SchreibBlog
  • Blog
  • Publikationen
  • Fotos
  • Über mich
  • Search Icon

Franks SchreibBlog

Provokativ • Politisch • Persönlich

Politik aus Notwehr

Politik aus Notwehr

7. Januar 2012 Comments 0 Comment
Print Friendly, PDF & Email

War­um ich als Poli­ti­scher Geschäfts­füh­rer der Pira­ten Jena kandidiere

Ich bin qua­si ein Relikt. Ja, in der Tat gehö­re ich zu einer aus­ster­ben­den Gat­tung Mensch. Mei­ne Genera­ti­on ist die letz­te, die ohne Com­pu­ter, ohne Inter­net, ohne Social Media, Twit­ter & Co. auf­ge­wach­sen ist. In der Schu­le haben wir unse­re Mathe­ma­tik­auf­ga­ben auf dem Papier gerech­net. Hilfs­mit­tel waren Rechen­stab und Tafel­werk.  Der ers­te Com­pu­ter, mit dem ich — damals schon im Stu­di­um — in Berüh­rung kam, war ein 8‑bit-Com­pu­ter mit der Bezeich­nung KC85, der ab Mit­te der 80iger Jah­re im thü­rin­gi­schen Mühl­hau­sen her­ge­stellt wur­de. Der KC85 konn­te gra­fisch 16 Vor­der­grund- und 8 Hin­ter­grund­far­ben dar­stel­len und besaß ein exter­nes Lauf­werk für Magnet­band­kas­set­ten als Spei­cher­mög­lich­keit. Wir saßen in einem neu ein­ge­rich­te­ten Com­pu­ter­ka­bi­nett an der Uni und sahen einem recht ver­zwei­fel­ten Mathe­ma­tik­do­zen­ten zu, dem es nicht gelin­gen woll­te, ein paar ein­fa­che Zei­len Basic-Code zum Lau­fen zu brin­gen. Obwohl auf unse­ren Bild­schir­men wenig mehr als Kur­ven von mathe­ma­ti­sche Funk­tio­nen und far­bi­ge Qua­dra­te auf­tauch­ten, war uns klar, dass hier etwas außer­or­dent­lich Fas­zi­nie­ren­des vor sich ging. 

Am Insti­tut für phy­si­ka­li­sche Che­mie, an dem ich in mei­ner Frei­zeit als Hilfs­as­sis­tent arbei­te­te, gab es wenig spä­ter einen ech­ten West­im­port: einen Desk­top-PC der Fir­ma Schnei­der. Da es der ein­zi­ge Com­pu­ter die­ser Art am Insti­tut war (heu­te klingt das wie ein Mär­chen) muß­te man "Rechen­zeit" bean­tra­gen, um an das Schmuck­stück zu kom­men. Also saß ich spät­abends noch im Insti­tut, berech­ne­te ther­mo­dy­na­mi­sche Gleich­ge­wich­te von Gas­ge­mi­schen und spiel­te hin­ter­her Schach gegen den Com­pu­ter. Wenig spä­ter, kurz nach der Wen­de, besaß ich mei­nen ers­ten eige­nen PC. Wenn ich mich recht ent­sin­ne, mit einer Fest­plat­te von 32 MB und einem RAM von 64 kB. Mit einem ver­gnüg­lich quiet­schen­den Modem wähl­te ich mich abends über die Tele­fon­lei­tung ins Com­pu­ser­ve-Netz­werk ein. Ich habe kei­ne Ahnung mehr, was ich da in den News­groups, Foren und Daten­samm­lun­gen tat. Ver­mut­lich hat­te es mit poli­ti­schen Ver­schwö­rungs­theo­rien, nack­ten Frau­en und Bug­fix-Anlei­tun­gen für ein gewis­ses kata­stro­pha­les Betriebs­sys­tem zu tun.  Auf jeden Fall hat­te es aber etwas mit unzen­sier­ten Infor­ma­tio­nen zu tun, die um den hal­ben Erd­ball zir­ku­lier­ten und unent­wegt von den unter­schied­lichs­ten Men­schen, die sich nie per­sön­lich begeg­nen wür­den, aus­ge­tauscht wur­den. Qua­si über Nacht hat­te die Rea­li­tät der Welt eine neue Facet­te bekom­men: die vir­tu­el­le Realität.

Ich bin in einem Staat groß gewor­den, in dem sich seni­le Beton­köp­fe alle Mühe gaben, die Men­schen davon abzu­hal­ten, ihr Land zu ver­las­sen und eige­ne Wege irgend­wo in der Welt zu gehen. Man tat dies mit Mau­ern, Sta­chel­draht, Zäu­nen und Selbst­schuss­an­la­gen. Leu­te wur­den wie Kanin­chen auf nächt­li­chen Wie­sen abge­knallt, nur weil sie ein paar Kilo­me­ter wei­ter gehen woll­ten, als es der ideo­lo­gi­sche Hori­zont einer lin­ken Poli­ti­ker­kas­te zuließ. "Das Leben der Ande­ren" war so inter­es­sant, dass ein Netz von Spit­zeln das Land über­zog und die unsin­nigs­ten Infor­ma­tio­nen in Akten über alles und jeden gesam­melt wur­den. Nicht alles war in die­sem Land schlecht, aber mit der Frei­heit nahm man es nicht so genau. Der Staat war nicht für die Men­schen da, son­dern die Men­schen für den Staat und sei­ne wun­der­li­chen Ziele.

Mehr als zwei Jahr­zehn­te nach der soge­nann­ten Wen­de lebe ich heu­te in einem Staat, in dem seni­le Beton­köp­fe und macht- und geld­gei­le Kar­rie­ris­ten sich alle Mühe geben, den frei­en und unzen­sier­ten Fluß von Infor­ma­tio­nen zu ver­hin­dern. Sie wol­len Infor­ma­ti­on genau­so ein­sper­ren und kon­trol­lie­ren, wie es ihre Vor­gän­ger bereits mit Men­schen taten. Sie leben in der unsäg­li­chen Angst, dass Men­schen da drau­ßen sich ihre eige­nen Gedan­ken machen, ihr eige­nes Leben füh­ren und unter­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren, ohne den Staat um Erlaub­nis zu fra­gen. Die vir­tu­el­le Rea­li­tät ist jedoch auf unse­rer Sei­te und wird daher immer mehr zum Feind für die Mäch­ti­gen. So wan­del­te sich die wun­der­ba­re Welt von mor­gen, in der sich Men­schen ohne Gren­zen ver­trau­ens­voll und fried­lich mit­ein­an­der aus­tau­schen, in das angeb­lich gefähr­li­che und gesetz­lo­se Inter­net, das man regu­lie­ren, zen­sie­ren, über­wa­chen und ein­schrän­ken muss. Heu­te haben wir einen Staats­ap­pa­rat vor Augen, des­sen Über­wa­chungs­ma­schi­ne­rie die alten Sta­si-Leu­te mit ihren Wan­zen und Kar­tei­kar­ten wie Dep­pen aus­se­hen läßt. Wir haben euro­pa­wei­te Pro­jek­te wie INDECT, gegen die das Orwell­sche "1984" wie eine Kin­der­gar­ten­ge­schich­te daher­kommt. Und wie­der — zum wie­viel­ten Mal eigent­lich? — gerät die Frei­heit ins Hin­ter­tref­fen und die Men­schen müs­sen sich gegen eine schein­bar unbe­sieg­ba­re Alli­anz der Macht zur Wehr set­zen, auch im Inter­es­se der eige­nen Kin­der und zukünf­ti­ger Genera­tio­nen. Wir hal­ten Demo­kra­tie mitt­ler­wei­le für so etwas Selbst­ver­ständ­li­ches, dass wir kaum ein Gefühl dafür haben, dass die nächs­te tota­li­tä­re Dik­ta­tur schon um die Ecke lau­ert. Ist das über­trie­ben? In mei­nen Augen keineswegs.

"Pira­ten sind Poli­ti­ker aus Not­wehr." ((Zitat aus der Rede von @Pirat_Aleks_A auf dem Neu­jahrs­emp­fang der Pira­ten Bay­ern 2012)) Ja stimmt, wir hät­ten wirk­lich Bes­se­res und Schö­ne­res zu tun. Pira­ten sind fast immer Men­schen, die irgend­wann den Kanal voll hat­ten von den eta­blier­ten Par­tei­en und ihrer Poli­tik des Eigen­nut­zes, der Bevor­zu­gung von Kli­en­te­len, der Bestech­lich­keit, des wei­te­ren Trans­fers von Wohl­stand von unten nach oben und des Kapi­tals als ein­zi­gen Göt­zen einer gan­zen Gesell­schaft. Die Zeit ist gekom­men, wo sich Men­schen wie­der ihre urei­ge­nen Rech­te zurück erobern müs­sen. Auf der Stra­ße, in viel­fäl­ti­gen Initia­ti­ven und Aktio­nen, in Par­la­men­ten, in der Poli­tik. Wenn wir das nicht machen, geht alles den Bach run­ter. Pira­ten sind kei­ne geleck­ten Pro­fi-Poli­ti­ker. Sie sind unbe­hol­fen in der Dar­le­gung ihrer Stand­punk­te. Sie kön­nen nicht so tol­le Reden schwin­gen und haben nur wenig Talent, mit Lob­by­is­ten und Wirt­schafts­bos­sen gemein­sa­me Sache zu machen. Sie sind nicht scharf auf Pöst­chen und Pen­sio­nen und nicht an Sit­zen in Auf­sichts­rä­ten inter­es­siert. Es geht ein­fach nur wie­der um eine ehr­li­che Art der Poli­tik für die ganz nor­ma­len Bür­ger. Weil Pira­ten sel­ber auch nur ganz nor­ma­le Bür­ger sind. Als mir das vor etwa zwei Jah­ren klar wur­de, bin ich auch Pirat geworden.

Viel­leicht ist das etwas über­ra­schend, dass ich eine so all­ge­mei­ne, ja abs­trak­te Begrün­dung dafür lie­fe­re, war­um ich in Kür­ze für das Amt des Poli­ti­schen Geschäfts­füh­rers der Pira­ten Jena kan­di­die­ren wer­de. Fehlt hier nicht der Bezug zur Kom­mu­nal­po­li­tik, zur Stadt, zum Jena­er Kreis­ver­band? Die meis­ten Pira­ten in Jena ken­nen mein Enga­ge­ment für die­se Din­ge, aber dar­auf kommt es in die­sem Augen­blick gar nicht an. Ohne die Frei­heit ist alles nichts. Oder wie es Lud­wig Bör­ne geschrie­ben hat: "Man kann eine Idee durch eine ande­re ver­drän­gen, nur die der Frei­heit nicht." Es ist daher im Grun­de die­se Idee der Frei­heit, die ich ver­tei­di­gen, die ich vor­an­brin­gen, die ich stär­ken möch­te. Alles ande­re lei­tet sich davon ab: Mit­be­stim­mung, par­ti­zi­pa­ti­ve Demo­kra­tie, Bür­ger­be­tei­li­gung, der Kampf gegen Zen­sur und Über­wa­chung, Bil­dung und kul­tu­rel­ler Aus­tausch, sozia­le Gerech­tig­keit, gesell­schaft­li­che Teil­ha­be. Das alles bedeu­tet viel Arbeit, nicht zuletzt auch Arbeit, um einen neu­en Poli­tik­stil zu eta­blie­ren. Es ist mir ein sehr wich­ti­ges Anlie­gen, dass wir die­se grund­sätz­li­chen Wer­te und unse­re Idea­le nicht aus den Augen ver­lie­ren, wenn wir als jun­ge Par­tei von den bestehen­den Ver­hält­nis­sen auf­ge­so­gen wer­den. Wir brau­chen eine Koali­ti­on mit den Bür­gern, nicht mit irgend­wel­chen kor­rum­pier­ten Regierungsparteien!

Um die Ecke lau­ert auch eine ganz ande­re, freie Gesell­schaft ohne Angst und Unter­drü­ckung. Wir müs­sen nur auf­ste­hen, hin­aus­ge­hen und gemein­sam die Chan­cen zu ihrer Ver­wirk­li­chung ergrei­fen. Und genau das will und wer­de ich tun.


Gesellschaft, Jena, Piraten
Demokratie, Freiheit, Staat, Piraten, Jena, Kapitalismus

Post navigation

PREVIOUS
"Es hat bereits begonnen..."
NEXT
Rücktritt als Sprecher der AG Bürgerhaushalt

Schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Themen

  • Regionales
  • Gesellschaft
  • Jena
  • Kommunalpolitik
  • Piraten
  • Persönliches
  • Fotos

Aktuelle Beiträge

  • Die Wortemacher des Krieges
  • Schweigen und weggehen
  • Portes mallorquines
  • Auf Wiedersehen, Twitter.
  • Sagen was ist

Letzte Kommentare

  • Søren Peter Cortsen bei Warum ich keine deutschen Filme mag
  • Frank11 bei Die Piratenpartei als temporäre autonome Zone
  • Mik Ehyba bei Die Piratenpartei als temporäre autonome Zone
  • Sascha bei Schweigen und weggehen
  • Juri Nello bei Schweigen und weggehen

Beitragsarchiv

RSS Feed

Beitragsarchiv

Suchen

Themen

  • Regionales (6)
  • Gesellschaft (74)
  • Jena (45)
  • Kommunalpolitik (40)
  • Piraten (31)
  • Persönliches (15)
  • Fotos (2)

Infos

  • Kontakt
  • Urheberrecht
  • Datenschutz
  • Impressum
© 2023   by Frank Cebulla