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Das große Saubermachen (Teil 2)

Das große Saubermachen (Teil 2)

19. Februar 2013 Comments 6 comments
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"Erzie­hung ist orga­ni­sier­te Ver­tei­di­gung der Erwach­se­nen gegen die Jugend." (Mark Twain)

Im ers­ten Teil unse­rer ver­gnüg­li­chen Tour durch die See­len­qua­len von Kin­dern, die mit bösen Wör­tern gefol­tert auf die schie­fe Bahn gera­ten, ging es um drin­gend nöti­ge Kor­rek­tu­ren in Kin­der­bü­chern. Dabei han­del­te es sich – wenn wir ehr­lich sind – um Kin­der­bü­cher, die Eltern sowie­so noch nie lei­den konn­ten, denn die Kin­der in ihnen ver­hal­ten sich auf­säs­sig, laut, frech, viel zu scharf­sin­nig für "lie­be Klei­ne" und hal­ten gern den selbst­ge­rech­ten Gro­ßen den Spie­gel vor. ((Para­de­bei­spie­le sind natür­lich Astrid Lind­grens Michel aus Lön­ne­ber­ga, Lot­ta und die Kin­der aus der Krach­ma­cher­stras­se oder Pip­pi Lang­strumpf.)) Wer mag das schon, hmm?

Wirk­lich rich­tig zur Sache geht es aber erst, wenn es zur Sache geht – sprich um Sex. Wir leben in einer Kul­tur der Ver­drän­gung und wir haben oben­drein ver­drängt, dass wir das tun.

Das wuss­ten schon die Brü­der Grimm. In deren "Kin­der- und Haus­mär­chen" konn­ten noch Müt­ter ver­brannt, Kin­der aus­ge­setzt, Tie­re gegen die Wand geklatscht und Men­schen nach Her­zens­lust ent­führt, gefres­sen, ein­ge­sperrt, ver­gif­tet und tot­ge­schla­gen wer­den (die waren damals noch nicht so weit wie wir heu­te, klar?), aber offe­ne sexu­el­le Bezü­ge sucht man ver­geb­lich. Kein Wun­der, denn die Grimms hat­ten die oft aus dem Fran­zö­si­schen stam­men­den und eher def­ti­gen Ursprungs­ver­sio­nen ihrer Mär­chen etwas ent­schärft. Ein Grund­ge­setz, das Zen­sur ver­bie­tet, gab es noch nicht und so erschien das nie­man­dem wei­ter schlimm. Ja, in einer bie­der­mei­er­lich-pro­tes­tan­ti­schen Bil­dungs­bür­ger­kul­tur war die­se Art von Ein­griff sogar aus­ge­spro­chen erwünscht. So wur­de bei­spiels­wei­se aus einem Adli­gen, der gewalt­sam durch eine schüt­zen­de Hecke in ein Schloss ein­dringt und dort eine schla­fen­de Schön­heit ver­ge­wal­tigt, ein lieb­rei­zen­der Prinz, der Dorn­rös­chen mit einem Kuss ent­zau­bert. Dabei hat­te man zu jener Zeit ver­mut­lich kei­ne grö­ße­ren Pro­ble­me mit einer Ver­ge­wal­ti­gung, wohl aber mit der Tat­sa­che des offen­sicht­li­chen Bei­woh­nens, die man den Kin­dern schlecht erklä­ren konn­te oder wollte.

150 Jah­re spä­ter hat sich dar­an komi­scher­wei­se nichts groß geän­dert. Ach ja, wir haben jetzt ein Grund­ge­setz, das Zen­sur ver­bie­tet. Zen­sie­ren tut man trotz­dem. Ich hab ja gesagt, es hat sich nichts geän­dert. Ein jun­ger Mensch, der gera­de in die Puber­tät kommt und die auf­re­gen­den Ener­gien des Sexus über sich her­ein­bre­chen fühlt, hat in sei­nem bis­he­ri­gen Leben ein paar Tau­send Fern­sehmor­de und ande­re Grau­sam­kei­ten gese­hen. Nie­mand in die­sem Land hat ein Pro­blem damit, wenn er sich Splat­ter, Hor­ror, Fol­ter, Ver­bre­chen und Krie­ge rein­zieht. Jedoch sind sich unse­re Geset­zes­hü­ter und Jugend­schüt­zer abso­lut einig, dass er beim Anblick eines eri­gier­ten männ­li­chen Geschlechts­teils oder einer nicht retu­schier­ten Möse schwe­ren psy­chi­schen Scha­den davon­trägt. ((Letz­te­res hat vor eini­gen Jah­ren die Ver­le­ge­rin Clau­dia Gehr­ke zu ihrem Plä­doy­er für schar­fe Scham­lip­pen ver­an­lasst. Sie­he Plä­doy­er für schar­fe Scham­lip­pen und Hin­se­hen oder Weg­schau­en (Pam­phlet gegen das Unsicht­bar­ma­chen des weib­li­chen Geschlechts), in: Son­deur. Monats­bou­le­vard für Kul­tur und Poli­tik Nr. 1 und 2., 1990))

Schon weit vor der gegen­wär­ti­gen Abscheu­lich­kei­ten-in-Kin­der­bü­chern-Debat­te hat­te man hier und da schon­mal ange­fan­gen, ein biss­chen auf­zu­räu­men, um die armen Klei­nen nicht all­zu sehr mit den Din­gen des Lebens zu kon­fron­tie­ren. Ein gutes Bei­spiel für die­se vor­bild­li­chen Berei­ni­gungs­ver­su­che sind die allen Kin­dern bekann­ten Bücher der bri­ti­schen Autorin Enid Bly­ton, die mit ihren "Fünf Freun­den", den "Ver­we­ge­nen Vier" oder den Dol­ly-Titeln welt­be­rühmt wur­de. Aus der Leh­re­rin Slap mach­te man eine Snap, um die Anklän­ge an Slap­per (engl. Slang für Nut­te) zu eli­mi­nie­ren und aus Fan­ny und Dick wur­den Fran­ny und Rick, da die ers­ten bei­den Namen im eng­li­schen Slang auch gern zur Umschrei­bung des weib­li­chen und männ­li­chen Geschlechts­teils Ver­wen­dung fin­den. Neben­bei fiel auch noch das hier und da vor­kom­men­de queer der Homo­pho­bie zum Opfer und wur­de durch odd ersetzt, genau­so wie — die­ses Mal aller­dings nur dem ame­ri­ka­ni­schen Absatz­markt geschul­det — bis­cuits durch coo­kies. ((http://www.welt.de/print-welt/article226953/Politisch-korrekt-Enid-Blyton-wird-korrigiert.html))

Das Pots­da­mer Mit­glied der Pira­ten­par­tei Tho­mas Goe­de erdreis­te­te sich vor nicht all­zu lan­ger Zeit fol­gen­den Tweet abzusetzen:

Berliner Brüste

Das Ergeb­nis die­ser Unvor­sich­tig­keit war der satt­sam bekann­te Shit­s­torm, der unbarm­her­zig über jeden her­ein­bricht, der den Nicht-sau­ber-son­dern-rein-Ambi­tio­nen der Sau­ber­män­ner und ‑frau­en zuwi­der läuft. Sexis­mus war das Min­des­te, was ihm vor­zu­wer­fen war, natür­lich gefolgt von Dis­kri­mi­nie­rung. Man ließ sogar durch­bli­cken, dass jemand wie er die Par­tei ver­las­sen soll­te! Die am bes­ten funk­tio­nie­ren­de Zen­sur ist die, die kei­ne Zen­so­ren mehr benö­tigt. Die Zen­sur der Rea­li­tät hat sich in einen selbst­er­fül­len­den Pro­zess der Eigen­zen­sur aller Gedan­ken ver­wan­delt und die Selbst­ge­rech­ten sind so inbrüns­tig wie Sci­en­to­lo­gy-Jün­ger davon über­zeugt, für das Gute zu strei­ten. Ziel ist ein auto­ma­ti­sier­ter Fil­ter zwi­schen den all­zeit sün­di­gen Gedan­ken und dem, was wir uns gestat­ten aus­zu­spre­chen oder gar zu tun. Will­kom­men im Vik­to­ria­nis­mus des 21. Jahr­hun­derts. ((Wir erin­nern uns, dass man in den segens­rei­chen Zei­ten von Queen Vik­to­ria irgend­wann dazu über­ging, die geschwun­ge­nen Bei­ne von Kon­zert­flü­geln mit Tüchern zu ver­hül­len, um uner­wünsch­te Asso­zia­tio­nen mit Frau­en­bei­nen zu ver­mei­den. Logi­scher­wei­se soll­te man daher run­de und vol­le Gegen­stän­de wie Pfann­ku­chen ver­bie­ten, um sünd­haf­te Asso­zia­tio­nen mit Brüs­ten zu verhindern.))

174 ver­schie­de­ne Bezeich­nun­gen, Syn­ony­me und Euphe­mis­men für die weib­li­chen Brüs­te und 58 Bezeich­nun­gen für "mam­mal-ero­ti­sche" Ver­gnü­gun­gen führt "Der obs­zö­ne Sprach­schatz der Deut­schen" auf ((Ernest Bor­n­e­mann, Sex im Volks­mund. Der obs­zö­ne Sprach­schatz der Deut­schen, Rein­bek bei Ham­burg 1991)), aber wir sind der fes­ten Über­zeu­gung, jeman­dem aus mora­li­schen Grün­den ver­bie­ten zu müs­sen, Pfann­ku­chen mit Brüs­ten zu vergleichen.

Karl Kraus schrieb ein­mal: "Als die christ­li­che Nacht her­ein­brach und die Mensch­heit auf Zehen zur Lie­be schlei­chen muß­te, da begann sie sich des­sen zu schä­men, was sie tat." Ich kann jede Art von Anti-Sexis­mus nicht ernst neh­men, solan­ge sie beharr­lich ver­mei­det, auch nur ein ein­zi­ges Wort über die Kata­stro­phe der Chris­tia­ni­sie­rung, die zwei­tau­send­jäh­ri­ge Geschich­te der christ­li­chen Leib- und Lust­feind­lich­keit und der damit eng in Ver­bin­dung ste­hen­den Ver­teu­fe­lung der Frau zu ver­lie­ren! Es ist bezeich­nend, dass die­ses mit Feu­er und Schwert ins kol­lek­ti­ve Unbe­wuß­te ein­ge­brann­te Erbe (oder soll­te man lie­ber Fluch sagen?) immer noch und fort­wäh­rend unse­ren ach so auf­ge­klär­ten, moder­nen und athe­is­ti­schen Geist ver­ne­belt und vergiftet.

Wir sind so auf­ge­klärt, dass wir uns über ortho­dox-isla­mi­sche Län­der wie Sau­di-Ara­bi­en oder Malay­sia lus­tig machen, in denen es sogar bei Stra­fe ver­bo­ten ist, sich auf der Stra­ße zu küs­sen. Dabei wis­sen wir bei­spiels­wei­se nicht, dass noch nach dem Zwei­ten Welt­krieg die Ame­ri­ka­ner als Besat­zungs­trup­pen in Tokyo eben­so das Küs­sen auf offe­ner Stra­ße per Dekret ver­bo­ten hat­ten – wäh­rend sie gleich­zei­tig die Pro­sti­tu­ti­on förderten.

SatyrWir sind so auf­ge­klärt, dass wir unse­ren Kin­dern in der Schu­le alles über die geis­ti­gen, lite­ra­ri­schen, künst­le­ri­schen und tech­ni­schen Errun­gen­schaf­ten der euro­päi­schen Anti­ke bei­brin­gen, aber rein zufäl­lig dabei weg­las­sen, wie selbst­ver­ständ­lich Nackt­heit und das Aus­le­ben sexu­el­ler Lust das All­tags­le­ben vie­ler Men­schen der Alten Welt präg­te, ohne dafür Stra­fe und meta­phy­si­sche Ver­damm­nis fürch­ten zu müs­sen. Wenn man heu­te jeman­dem erzählt, dass auf vie­len anti­ken Markt­plät­zen in der Mit­te der Gesell­schaft nack­te Lie­bes­göt­tin­nen und Pria­pus- oder Her­messta­tu­en mit eri­gier­tem Glied stan­den, dann hält die eine Hälf­te das für einen zoti­gen Witz und die ande­re Hälf­te für scham­los und sünd­haft. ((In der wei­ter unten im Text noch erwähn­ten Doku­men­ta­ti­on "Ero­tik unter Ver­schluss" erzählt ein Pari­ser Muse­ums­füh­rer, dass ins­be­son­de­re ame­ri­ka­ni­sche Tou­ris­ten­grup­pen immer wie­der ver­schämt nach­fra­gen, was es denn mit den vie­len nack­ten Skulp­tu­ren in den Muse­en auf sich hat. Wie er betont, hat er erst mit der Zeit begrif­fen, dass die­se Men­schen in der Tat nicht wis­sen, dass Nackt­heit in der euro­päi­schen Anti­ke etwas völ­lig Nor­ma­les war.)) "Das Chris­ten­tum gab dem Eros Gift zu trin­ken: – er starb zwar nicht dar­an, aber ent­ar­te­te zum Las­ter." (Fried­rich Nietz­sche) Man könn­te hin­zu­fü­gen: Las­ter und Zen­sur ergän­zen sich gegen­sei­tig ganz vorzüglich.

Aber das alles ist doch Ver­gan­gen­heit, nicht? Es gab doch eine sexu­el­le Revo­lu­ti­on! Was ist denn mit den Acht­und­sech­zi­gern? Nun, nach jeder Revo­lu­ti­on folgt fast gesetz­mä­ßig Reak­ti­on und Repres­si­on. Und die Acht­und­sech­zi­ger sind heu­te Grü­ne, die ohne zu Zögern der Geni­tal­ver­stüm­me­lung von Jun­gen zustim­men und das für einen tol­len Beweis für die reli­giö­se Frei­heit in die­sem Land hal­ten. Die dicho­to­mi­sche Spal­tung der Gesell­schaft, des Den­kens und Erle­bens in die Hoch­kul­tur, das Geis­ti­ge, Rei­ne und Unbe­fleck­te und das Nie­de­re, Las­ter­haf­te, Schmut­zi­ge, Sünd­haf­te besteht wei­ter fort, nicht zuletzt in mora­lin­sauren Berei­ni­gungs- und Antidiskriminierungs-kampagnen.

Dar­an hat sich bis zum heu­ti­gen Tag nichts, aber auch über­haupt nichts geän­dert. Man muss es fast bru­tal vor Augen gehal­ten bekom­men, damit man es über­haupt für mög­lich und wahr hält. In der 2006 auf ARTE aus­ge­strahl­ten Doku­men­ta­ti­on "Ero­tik unter Ver­schluss" erzählt ein Kura­tor, dass er sich 30 Jah­re lang ver­geb­lich dar­um gemüht hat, eine umfäng­li­che Aus­stel­lung mit Picas­sos por­no­gra­phi­schem Spät­werk zu orga­ni­sie­ren. Die meis­ten bra­ven Picas­so-Lieb­ha­ber auf die­ser berei­nig­ten Welt dürf­ten bis zum heu­ti­gen Tag noch nicht ein­mal wis­sen, dass es über­haupt ein por­no­gra­phi­sches Spät­werk des Meis­ters gibt.

erotik_verschluss

In Skan­di­na­vi­en ist es nicht Picas­so, son­dern der schwe­di­sche Maler Anders Zorn (1860−1920), der über alle Maßen ver­ehrt auf dem Thron des künst­le­ri­schen Olymps sitzt. Anders Zorn hat voll­endet Adli­ge, Indus­tri­el­le und Damen der fei­nen Gesell­schaft gemalt, ja sogar für das Wei­ße Haus Prä­si­den­ten por­trai­tiert. Es ist nur weni­ge Jah­re her, dass über­ra­schend eine Kunst­händ­le­rin an Samm­ler her­an­trat und eine Map­pe von Zeich­nun­gen Zorns zu ver­äu­ßern such­te, die an Deut­lich­keit nichts zu wün­schen übrig las­sen. Zorn ein Por­no­graph? Das durf­te nicht sein. ((Selbst­re­dend erwähnt auch der Wiki­pe­dia-Arti­kel über Zorn nichts der­glei­chen.)) Nach ihren Anga­ben hat­te sie die Zeich­nun­gen bedeu­ten­den Muse­en zum Kauf ange­bo­ten, die alle abge­lehnt hat­ten. Ein bekann­tes schwe­di­sches Muse­um ver­stieg sich ihr gegen­über allen Erns­tes zu der Aus­sa­ge, dass man die Zeich­nun­gen nur erwer­ben wür­de ... um sie zu vernichten.

Die Lis­te der Bei­spie­le lie­ße sich belie­big fortsetzen.

Nie­mand kann ver­nünf­tig erklä­ren, war­um man Geschlechts­or­ga­ne mit latei­ni­schen Wor­ten bezeich­net, Arme, Bei­ne und Ohren aber nicht. Nie­mand kann erklä­ren, war­um sexu­el­le Spra­che über­haupt als schmut­zig gilt und aus der Hoch­kul­tur ent­fernt wer­den muss, von Kin­der­bü­chern natür­lich ganz zu schwei­gen. Irgend­et­was stimmt dar­an nicht. Das sieht man schon dar­an, dass wir uns ver­krampft bemü­hen, schmut­zi­ge Wor­te ((wodurch wer­den Wor­te eigent­lich beschmutzt? Sie­he auch den schö­nen Text von Hei­drun Jän­chen: https://heidrunjaenchen.wordpress.com/2013/02/19/schmutzige-worte/)) einer angeb­li­chen Gos­sen­spra­che zu til­gen, zu umschrei­ben und über­haupt zu ver­mei­den, wäh­rend wir auf der ande­ren Sei­te alle die­se Wor­te ken­nen und sie eine unwi­der­steh­li­che Fas­zi­na­ti­on auf uns aus­üben. Es ist die Fas­zi­na­ti­on des Tabus und nichts ist schö­ner, als ein Tabu zu bre­chen. Auch das ist jedem Men­schen bekannt, der beim Lie­bes­spiel die Kon­trol­le über das gute Beneh­men ver­lo­ren und aus­nahms­wei­se mal nicht latei­nisch gespro­chen hat. Dabei ent­fes­selt sich eine wun­der­ba­re Ener­gie, weil wir uns eben wirk­lich be-frei­en — befrei­en von all der ver­quas­ten Moral­schei­ße längst ver­gan­ge­ner Jahr­hun­der­te und men­schen­ver­ach­ten­der Mono­the­is­men. Leu­te, wir leben mitt­ler­wei­le in einer Gesell­schaft, in der die wein­se­li­ge Anzüg­lich­keit eines ent­zück­ten alten Man­nes gegen­über einer jun­gen Frau ("Sie kön­nen ein Dirndl auch aus­fül­len.") zu einem Ent­rüs­tungs­sturm und Skan­dal aller­ers­ten Ran­ges führt! Über Tali­ban und Bur­ka muss sich hier wohl nie­mand mehr aufregen.

Das alles sind im Grun­de Bana­li­tä­ten, weil zum ganz nor­ma­len Mensch­sein gehö­rig. Alle ken­nen es, alle wis­sen es, alle den­ken es, alle machen es. Und trotz­dem ist es um des lie­ben See­len­heils wil­len ver­pönt, dies offen und natür­lich – und mit einer Pri­se Humor – zu tun. Alles muss unter einer dump­fen Decke der Schein­mo­ral dahin­mo­dern und alle noch so "refor­mier­ten" Päd­ago­gen über­bie­ten sich gegen­sei­tig dar­in, unse­ren Kin­dern so schnell und effi­zi­ent wie mög­lich die Para­noia der Gro­ßen über­zu­hel­fen. Dar­an wird sich so bald nichts ändern, eher im Gegen­teil. Und selbst das angeb­lich so freie, aber schon längst zen­sier­te Inter­net mit sei­nen por­no­gra­phi­schen Kata­kom­ben zemen­tiert die Krank­heit noch, weil alles fein­säu­ber­lich mit dem Schmutz-Stem­pel ver­se­hen und gebannt ist.

Und wäh­rend frü­her das See­len­heil dar­in bestand, in einen ima­gi­nä­ren Him­mel auf­zu­stei­gen (in dem schon die hei­li­gen Jung­frau­en auf einen war­te­ten, um ... tja was zu tun?), besteht das See­len­heil heu­te dar­in, auf der Sei­te der Rei­nen, Guten, Gebil­de­ten und Schö­nen zu sein, der Sei­te der Sau­ber­män­ner und ‑frau­en.

Unter sol­chen uner­freu­li­chen Ver­hält­nis­sen hal­te ich es lie­ber mit Joseph Jou­bert, von dem der Satz stammt: "Die das Las­ter lie­bens­wür­dig machen, schät­ze ich doch höher als die, wel­che die Tugend ernied­ri­gen." Und natür­lich schät­ze ich die Hen­ry Mil­lers und Anais Nins und Charles Bukow­skis und Michel Hou­el­le­becqs die­ser Welt in ihrer Ehr­lich­keit und Authen­ti­zi­tät tau­send­mal mehr als die weich­ge­spül­ten und berei­nig­ten Bil­dungs­ro­man-Aus­ga­ben für christ­li­che Land­frau­en­ver­bän­de und Literatensofas.

Und wie eh und je ent­wi­ckelt das Zen­sier­te und Unter­drück­te ein herr­li­ches Eigen­le­ben. Ihr wisst, wovon ich spreche.


Gesellschaft
Freiheit, Kinder, Sexualität, Sexismus, Christentum, Sprache, Zensur

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6 thoughts on “Das große Saubermachen (Teil 2)”

  1. Fidel sagt:
    21. Februar 2013 um 14:16 Uhr

    Dan­ke für die­sen auf­schluss­rei­chen Blog­bei­trag. Bis­her war mir das soo nicht bewusst.

    Dazu ein Arti­kel des le Bohé­mi­en vom 13. Februar:

    http://le-bohemien.net/2013/02/13/miese-zeiten/

    Gruß Fidel

    P.S. Und jetzt zurück zum ääh... ins Glied! 😉

    Antworten
  2. Heidrun sagt:
    22. Februar 2013 um 06:11 Uhr

    Dan­ke, jetzt weiß ich, dass ich ein­deu­tig das fal­sche Syn­onym­wör­ter­buch habe ;). Ich soll­te mei­nen Hori­zont erwei­tern. Und wer ist eigent­lich der Bur­sche auf dem Foto? Pan? Auch ein ganz Schlim­mer, immer hin­ter den Nym­phen her.
    Im christ­li­chen Him­mel ist mir dage­gen nichts von Jung­frau­en bekannt. Die Engel sind "Wesen, weder Mann noch Weib", also mach dir bes­ser kei­ne fal­schen Hoff­nun­gen. Im Him­mel ist Schluss mit lus­tig. Da wird jubi­liert und Hosi­an­na gesun­gen, und statt Brat­wurst gibt es Man­na. (Äh, Brat­wurst ist auch sexis­tisch, oder?)
    Ach ja, "ließ" schreibt sich auch x Recht­schreib­re­for­men spä­ter immer noch mit ß — ich weiß, ich bin ein schlim­mer Klug­schei­ßer. Irgend­ein Las­ter braucht jeder ...

    Antworten
    1. Frank11 sagt:
      22. Februar 2013 um 10:01 Uhr

      "Dann wird das Him­mel­reich glei­chen zehn Jung­frau­en, die ihre Lam­pen nah­men und gin­gen hin­aus, dem Bräu­ti­gam ent­ge­gen. " (Matth. 25:1) 🙂
      Nicht zu ver­ges­sen die vie­len jung­fräu­li­chen Mär­ty­re­rin­nen, die alle schon im Him­mel war­ten. Bekann­ter natür­lich die Huris, die 72 (oder 77) Jung­frau­en des isla­mi­schen Para­die­ses. Mit zur Ruhe kom­men ist da nix ...
      Auf dem Foto ist ein Satyr abge­bil­det. Satyrn oder Sile­ne sind tat­säch­lich häu­fig im Gefol­ge des Pan abge­bil­det und sind mit ähn­li­chen Attri­bu­ten aus­ge­stat­tet. Alle haben auch eine gro­ße Nähe zum Gott Dio­ny­sos, der mit "Wein, Weib und Gesang" ganz gut umschrie­ben ist.
      Bei den Her­mes-Abbil­dun­gen wird man nicht so leicht fün­dig, die sind heu­te alle schön züch­tig dar­ge­stellt, da muss man etwas tie­fer gra­ben. Dann stößt man auf die soge­nann­ten Her­men, das sind phal­li­sche Säu­len, etwa so: http://pir.at/zxj (Phal­lus wur­de abge­schla­gen) oder so: http://pir.at/zxt Von Pria­pos gibt es dage­gen noch schö­ne Exem­pla­re, z.B. der hier: http://www.flickr.com/photos/overstuffedbackpack/6067248803/
      Wit­zig (oder krank, je nach­dem wie man es sieht) ist übri­gens die Tat­sa­che, dass man im Vati­kan alle von Sta­tu­en abge­schla­ge­nen Phal­li fein­säu­ber­lich num­me­riert in rie­si­gen Schub­la­den­schrän­ken ver­wahrt. Offen­bar konn­te man sich doch nicht voll­stän­dig von ihnen trennen ...

      Antworten
  3. Heidrun sagt:
    22. Februar 2013 um 17:32 Uhr

    Du bist ein ste­ter Quell der Erleuchtung!
    Das mit den zehn Jung­frau­en und ihren Lam­pen ist aber sehr ver­druckst for­mu­liert — ich glau­be ehr­lich nicht, dass man dar­aus einen Rechts­an­spruch ablei­ten kann. Mal ganz davon abge­se­hen, dass ich nicht weiß, was ich mit zehn Jung­frau­en oder Mär­ty­re­rin­nen ohne Kopf soll­te ... Das ist defi­ni­tiv sexistisch. 🙁
    Beim Satyr lag ich ja nur knapp dane­ben; die waren auch stän­dig hin­ter den Nym­phen her. Pan ist übri­gens ein schö­nes Bei­spiel, dass einem die gan­ze Gött­lich­keit nichts nützt. Ich erin­ne­re mich, dass er stän­dig unglück­lich ver­liebt war, weil die Ange­be­te­te zwar der Hoch­kul­tur sei­ner Flö­ten­mu­sik zuge­neigt war, nicht aber sei­nen sons­ti­gen Lei­den­schaf­ten. Die Bla­se­rei war eine sehr pla­to­ni­sche Angelegenheit.
    Die vati­ka­ni­sche Penis­samm­lung ist dage­gen ... das Ver­rück­tes­te, was ich in die­ser Rich­tung je gehört habe. Ich woll­te, ich hät­te mir das aus­ge­dacht — das wäre eine rich­tig irre Story.

    Antworten
    1. Inge sagt:
      27. Februar 2013 um 07:35 Uhr

      Zum The­ma Penis hät­te ich auch noch eine Story:

      Als unlängst in mei­ner Hei­mat­stadt grö­ße­re Men­gen Schnee lagen, erdreis­te­ten sich böse Buben, an einer beleb­ten Stra­ße und unmit­tel­bar neben dem Alters­heim — par­don: der Senio­ren­re­si­denz — eine manns­ho­he Schnee-Männ­lich­keit zu errich­ten. Beein­druckt von soviel Krea­ti­vi­tät, ent­schie­den sich die Hüter von Ord­nung und Moral nicht etwa zur Ver­nich­tung des obs­zö­nen Mach­werks, nein, sie frag­ten bei der AIDS-Hil­fe an, die tasäch­lich noch eine rote Schlei­fe in der pas­sen­den Kon­fek­ti­ons­grö­ße vor­rä­tig hat­ten, mit der das gute Stück gesell­schafts­fä­hig gemacht wur­de. Lei­der fiel es wenig spä­ter dem uner­bitt­li­chen Tau­wet­ter zum Opfer...

      Antworten
  4. Fidel sagt:
    9. April 2013 um 02:49 Uhr

    Das gro­ße Sau­ber­ma­chen geht weiter.

    Sex, Eis­tee und Vide­os oder: Wenn Opfer und Täter iden­tisch sind: http://www.heise.de/tp/blogs/5/154062

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