Wer hat uns verraten ...
Am gestrigen Abend verstieg sich in der Debatte um den Verkauf des Eichplatzes im Stadtrat Jena ein Vertreter der Partei Bündnis90/Die Grünen zu der Aussage: "Wir sind ja nur eine 10%-Partei hier im Stadtrat." Nun denn, denken wir doch mal positiv. Was hätte man denn bestenfalls von diesem tatsächlich kleinen Anteil grüner Kommunalpolitiker im Lokalparlament erwarten dürfen?
Man hätte zum Beispiel eine sachliche und fundierte Aufarbeitung der Jenaer Klimastudie JenKAS und der damit verbundenen Implikationen für die geplante Bebauung des Jenaer Stadtzentrum erwarten dürfen. Die Grünen wären auch prädestiniert dafür gewesen, die zu erwartenden Verkehrsströme, die Parkplatzsituation und die daraus resultierenden Verhältnisse im Hinblick auf Luftqualität und Lärmschutz zu analysieren. Auch deutliche Worte gegen das Fällen fast aller großen Stadtbäume mitten im Zentrum hätten den Grünen sehr gut zu Gesicht gestanden. Grundsätzliche Einwände gegen den Verkauf kommunalen Eigentums an einen Großinvestor wären natürlich von einem grünen Redner vorgetragen worden. Und angesichts der Veranstaltung zu Bürgerbeteiligung und Bürgerhaushalten am Freitag, die durch die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung in Jena organisiert wird, wären ebenso eindringliche Worte zur Stärkung der direkten Demokratie in der Stadt, der Einbeziehung der Menschen bei politischen Entscheidungen und deren Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der Erarbeitung der Baupläne denkbar gewesen. Als Partei mit einem immer noch alternativen Anstrich hätte man sich gut Gedanken zu Lebenssinn und Konsumgesellschaft, zu grüner Urbanität, Kinderspielplätzen und Familienpolitik vorstellen können. All das und noch viel mehr wäre der Inbegriff grüner Politik im besten Sinne gewesen.
All das ist jedoch nicht passiert. Stattdessen kanzelte Tilo Schieck die Kritiker des Projekts als negativ Denkende ab und behauptete allen Ernstes, positive Vorschläge und Einwände hätte es im gesamten Verfahren immer nur von der Koalition und aus der Stadtverwaltung gegeben. Und sein Parteifreund Kristian Philler schwafelte von einem "glücklichen Tag", während draußen vor dem Rathaus 1000 Menschen gegen die Eichplatz-Pläne der Stadt demonstriert und mehr als 10.500 Menschen für ein Moratorium beim Verkauf unterzeichnet haben. All das spielte für die Vertreter der Jenaer Grünen keine Rolle und war keines Wortes wert. Und Herr Schieck entblödete sich nicht, die dokumentierten und mittlerweile in vielen Medien aufgearbeiteten Vernetzungen zwischen Investoren wie ECE, investornahen Stiftungen und Politikern und Stadtplanern als "Verschwörungstheorie" vom Tisch zu wischen.
Als willfähriges Werkzeug und Anhängsel der regierenden CDU/SPD verkauften für jeden sicht- und hörbar die Grünen ihre eigenen Ideale für ein neues Einkaufzentrum. Ihre Reden waren ein Schlag ins Gesicht aller Bürger, und zwar nicht nur derjenigen, die dem Projekt von vornherein kritisch gegenüber stehen, sondern auch derjenigen, die sich für einen Aufschub und eine kreative Denkpause ausgesprochen hatten. Dafür war jedes polemische Mittel recht und wurde wieder einmal die Keule der deutschen Diktaturen hervorgekramt, deren Hinterlassenschaften man ja aufräumen müsse. Aber jeder, der nur halbwegs klar die Vorgänge im Stadtrat verfolgt hat, bekam mit, dass man Fakten schaffen wollte und zwar um jeden Preis. Erinnert das nicht eher an DDR-Betonköpfe wie Ulbricht? Alle Maßnahmen, die im Januar zur "Mediation" mit den Bürgern beschlossen werden sollen, sind nichts weiter als ein Mäntelchen, dass man sich aus Angst vor der kommenden Kommunalwahl umhängt und das nicht kaschieren kann, dass man sich in die eigenen Pläne keineswegs hineinreden lassen will — erstrecht nicht durch Bürger, die man lediglich als Störenfriede wahrnimmt. Man wird daher eine Menge Geld ausgeben, für neue Flyer und Hochglanzbroschüren, für schicke Internetseiten und Informationsveranstaltungen, um den Bürgern Pläne schmackhaft zu machen, an denen diese keinen wirklichen und wesentlichen Anteil haben dürfen. Investorinteressen vor Bürgerinteressen.
Wenn man die Aktivitäten der Jenaer Grünen verfolgt, kann man zwar positiv träumen und grüne Politik herbeiwünschen. Die Realität — und das hat der gestrige Stadtrat wieder einmal deutlich gezeigt — sieht jedoch ganz anders aus. Wieder einmal heißt es: Wer hat uns verraten — Sozialdemokraten. Wer war mit dabei — die grüne Partei.
5 thoughts on “Wer hat uns verraten ...”
Lass uns eine 1‑Prozent-Partei draus machen! Heute ist mir danach.
wie viel prozent sind 11000 wähler? kann es sein, dass es weit mehr sind, als die "grünen" bei den letzten wahlen (nicht nur kommu) bekommen haben?
Wahlergebnisse der Bundestagswahl 2013
Wahlberechtigte: 84 723
Wähler: 62 166
"Grüne"
1. Stimme 4 823
2. Stimme 7 132
mehr siehe http://www.jena.de/statistik/wahl/start.php
eine Sauerei ist das alles....
Diese Politik ist mittlerweile auch von Grünen Kreisverband abgesegnet. In nichtöffentlicher Sitzung hat man sich mit großer Mehrheit für die Bebauungspläne ausgesprochen. Ein Teil der Basis trägt also den Kurs der Stadträte bedenkenlos mit.
Wer sich ein Bild davon machen will, wie sich ein glücklicher Kristian Philler anhört, kann das hier tun:
https://soundcloud.com/jenapolis/kristian-philler-gr-ne-zum
http://www.jenapolis.de/2013/12/11/philler-gluecklich-ueber-mindestens-zwei-gruende/ (mit Transkription)