Die Oberlehrer-Gesellschaft
oder Wie wir alle unsere Freiheit demontieren
Anfang November wurde der Deutsche Kinderhörspielpreis verliehen, bei dem Märchentherapie von Max Urlacher zum Gewinner gekürt wurde. In dem Stück werden "sozial unverträgliche Märchenfiguren" in ein Therapiezentrum eingewiesen und bei entsprechendem Behandlungserfolg und guter Führung auf Bewährung in die Menschenwelt entlassen. Was offenbar als Satire auf die allerorten grassierende politische Korrektheit gedacht ist, erscheint in Zeiten, in denen Kinderbücher nach Belieben entschärft, bereinigt und "böse Wörter" daraus getilgt werden, nicht besonders lustig. Ganz im Gegenteil läuft man Gefahr, es irgendwie für richtig und logisch zu halten, dass Hexen, Kinderkannibalen, böse Zauberer und Räuber von Pädagogen und Psychotherapeuten geläutert werden, damit sie zu unproblematischen und funktionstüchtigen Mitgliedern unserer Gesellschaft werden können.
Mitglieder unserer Gesellschaft, die zu ihrem Besten erzogen werden müssen, gibt es haufenweise – unaufmerksame oder böswillige Autofahrer zum Beispiel, die armen Radfahrern auf Straßen und Plätzen das Leben schwer machen. Ein ehemaliger Greenpeace-Campaigner hat nun dafür eine "Sheriff-App" entwickelt ((http://www.metronaut.de/2013/10/ekelhaft-die-denunzianten-app-strassensheriff/)), mit der man motorisierte Mitbürger per Handy bei der Polizei anzeigen kann, inklusive Kennzeichen, Foto und GPS-Daten des Standorts. Ob schon jemand darüber nachgedacht hat, auch Autofahrern eine App an die Hand zu geben, mit der sie wild querende und jegliche Vorfahrtsregeln missachtende Radfahrer an die Obrigkeit ausliefern können, weiß ich nicht. Ich vermute aber, es ist nur eine Frage der Zeit. Zumindest haben Autofahrer gegenüber per se ökologisch und nachhaltig denkenden Radfahrern die schlechteren Karten, denn sie sind natürlich Klimasünder, weigern sich E10 zu tanken und sind am Untergang des Planeten schuld. Solche praktischen Apps sind in Zukunft für viele wundervolle Denunziationen denkbar, sei es nun, dass man Raucher an öffentlichen Haltestellen, Parkgriller, laut musizierende Jugendliche, im Stehen pinkelnde Männer oder unangemeldet demonstrierende Wutbürger überrascht.
Ja, natürlich sind gerade Raucher die perfekten modernen Sünder, die widerspenstig ihrem Laster nicht entsagen wollen und denen man mit Kampagnen, Zwangsmaßnahmen, Gesetzen, Ordnungsstrafverfahren und fantasievollen Brandmarkungen aller Art das Leben so schwer wie möglich machen will. Ihnen droht nicht nur die Hölle des Lungenkrebses, sondern auch noch die der gesellschaftlichen und persönlichen Verachtung. ((siehe z.B. http://www.taz.de/!121129/ oder http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2011–07/newuseeland-rauchverbot-zigaretten)) Sie werden darüber hinaus von fanatischen Nichtraucher-Initiativen bekämpft, die ihr Recht auf saubere Luft notfalls vor jedem Gericht dieses Landes einklagen. Ob sie das auch im Hinblick auf industriell verursachte Luftverschmutzung tun, bleibt unklar, das tut aber ihrem Kampf für die gerechte Sache keinen Abbruch. Auch zu fettes Essen und insbesondere Übergewichtigkeit ist lasterhaft und muss in den immerwährenden Krieg für das Gute, Gesunde, Schöne und politisch Korrekte eingegliedert werden. Die Adi-bösen kosten uns viel Geld aus den Sozialkassen und wenn es ums Geld geht, hört bekanntlich jede Freundschaft auf. ((http://kinder-alarm.blogspot.de/2010/06/bestrafung-von-ubergewichtigen-kindern.html oder http://www.swissinfo.ch/ger/archiv/Lebensversicherer_plant,_Uebergewichtige_zu_bestrafen.html?cid=937856)) Schön, dass endlich auch die grässlichen Fleischesser ins Bewusstsein der Oberlehrer-Gesellschaft rücken, wenn man sogar Hunde und Katzen (zwangsweise) vegan ernähren kann, wozu sollten dann Menschen Fleisch essen? Fleischesser kommen noch vor entarteten Märchenfiguren, denn sie haben kein Herz für Tiere, sorgen für noch mehr klimaschädliche Gase, sind aggressiver und mindestens moralisch mitverantwortlich für alle Hungertoten dieser Welt. Und wenn es schon ein Schnitzel sein soll, dann zumindest kein Zigeunerschnitzel, denn damit werden automatisch alle Sinti und Roma diskriminiert.
Sämtliche Verfehlungen im Straßenverkehr werden demnächst von Blackboxen in den Autos getreulich aufgezeichnet und mindestens durch erhöhte Versicherungsgebühren bestraft. Natürlich lassen wir uns auch darauf gern ein. Im Hintergrund lauert schon das EU-geförderte INDECT-Projekt, das jedwedes verdächtige Verhalten im realen und digitalen Leben aufspüren und an alle möglichen Behörden weiter melden soll. ((siehe http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/eu-ueberwachungsprojekt-indect-die-volle-kontrolle-a-866785.html oder https://netzpolitik.org/2013/indect-geht-in-die-finale-phase-und-will-personen-die-ueber-rote-ampeln-gehen-ueberwachen/)) Ob man dabei Terroristen mit Koffern voller Sprengstoff oder nur Leuten, die bei Rot über eine Ampel gehen, auf die Spur kommt, ist eher nebensächlich. Nur der unverdächtige, sprich perfekt angepasste Mensch kann dem allessehenden Auge der immerwährenden Kontrolle entgehen. Aber natürlich sind alle ganz wild auf diese Art der Unterwerfung unter einen allmächtigen Staat und wählen gern und wiederholt politische Kräfte, die den Knebel dieser Kontrolle weiter anziehen.
In der Oberlehrer-Gesellschaft muss immer irgendjemand an irgendetwas gehindert werden, was er gerade im Begriff ist zu tun. Denn in jeder Sekunde läuft man Gefahr jemanden absichtlich oder unabsichtlich zu diskriminieren, beispielsweise indem man einer Frau die Tür aufhält und ihr damit bedeutet, dass sie das nicht allein kann. Oder sie ohne zu fragen küsst. Oder mit ihr Sex haben möchte, ohne vorherige schriftliche Vereinbarung und juristische Absicherung gegen alle möglichen und unmöglichen Folgen und Fallstricke. Von bösartigen Krankheiten ganz zu schweigen, vor denen man/frau ständig in Angst und Schrecken leben muss. Am besten man kommt überhaupt nicht mehr mit anderen Menschen näher in Kontakt, erstrecht nicht mit Organen, die Horte der Unmoral und/oder gefährlicher Viren sind. Dafür sind dann Schutzfolien nützlich, mit denen man wenigstens so tun kann als ob. ((Diese absurden neoviktorianischen Vorrichtungen nennen sich Dental Dam. Es ist völlig unklar, wie die Menschheit Hunderttausend Jahre ohne Dental Dams überstehen konnte.)) Noch besser ist es allerdings ganz auf geschlechtliche Aktivitäten zu verzichten, die sind sowieso überbewertet und haben in der neuen zölibatären Gesellschaft keinen Platz mehr. ((http://www.heise.de/tp/blogs/3/153417)) Zur fleischlosen und spaßbefreiten Veggieday-Community passen auch fleischliche Gelüste der anderen Art nur schlecht. Der Sexualakt als hassenswerter Teil der Rape-Culture. Das ist so einleuchtend, dass wir Prostitution gleich mit verbieten. Pornografie sowieso. Selbst nackte Kinder am Strand geraten in den Ruch des Unmoralischen, sind sie doch – einfach durch ihre bloße Existenz – optische Vorlage für Pädophile. ((Sehr lesenswert dazu der Text "Kinder sind Pornos" von Erik Möller)) Für die wiederum wünscht man sich eine Art politisch-korrektes Euthanasie-Programm, mit dem man sie möglichst bald aus der sauberen Ariel-Welt entsorgen kann. Kein Mensch ist illegal. Ach ja. Genau wie Homosexuelle, die in nicht wenigen Ländern mittlerweile wieder mit Gefängnis oder gar der Todesstrafe rechnen müssen. Da waren wir vor 300 Jahren schon mal.
Über uns rollt eine Orgie der Verbote oder zumindest Gebote hinweg. Und da wo es noch keine gibt, kommen sie auf uns zu. Es ist zu verbieten, wenn männliche Musiker auf der Bühne ihr T‑Shirt ausziehen. Weil Frauen das ja auch nicht dürfen. ((http://maedchenmannschaft.net/warum-es-hin-und-wieder-solidarisch-ist-das-t-shirt-einfach-mal-anzulassen/)) Es ist je nach Land verboten, Kopftücher zu tragen oder nicht zu tragen, sich auf der Straße zu küssen oder Hand in Hand zu gehen oder nackt durch einen Wald zu joggen. ((http://www.rp-online.de/panorama/leute/nackt-joggen-bleibt-verboten-aid‑1.2066312)) Auf öffentlichen Plätzen Alkohol zu trinken ist entweder schon verboten oder sollte möglichst bald verboten werden. Killerspiele, Paintball, Glühbirnen, Tanzveranstaltungen an christlichen Feiertagen, Popcorn in Kinos, Trödelmärkte zu Ostern, Aufsichtsräte ohne Frauen und immer so fort. Die Frage ist nicht, was verboten, sondern was überhaupt noch erlaubt ist.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo man Menschen mit Phobien, Berührungsängsten und emotionalen Hemmungen als behandlungsbedürftig ansah, ist heute im Grunde jeder ein Fall für die Klapse und die lautesten Behandlungsbedürftigen zwingen der ganzen Gesellschaft ihren Wahn als neue Norm auf, an die sich alle anpassen müssen. Wer das nicht will und aufmüpfig gegen die neue Sachlichkeit, die neue Gleichberechtigung, den neuen Kampf gegen jegliche Diskriminierung, gegen die Befreiung der Frau vom Joch des Patriarchats und ein paar Dutzend mehr neue Regeln einer neuen Zeit rebelliert, läuft Gefahr von den Segnungen der Moderne ausgeschlossen, umerzogen und bestraft zu werden. Auch das finden im Grunde alle supi, irgendwas mit Freiheit kann man sich ja immer noch als Abenteuerserie im TV-Vorabendprogramm ansehen. Wir wähnen uns in einer liberalen und aufgeklärten Gesellschaft und schreien jederzeit 'Hier!', wenn es darum geht, sich die nächste neue Zwangsjacke überzustreifen. Tugendterror und ideologisch motivierte Wahnideen jeder Art haben sich dabei längst das Mäntelchen von Toleranz, Menschenliebe und Vernunft umgehängt. Wir wollen doch alle nur das Beste für dich.
Zur erwähnten Sheriff-App kommentiert daher ein in vorauseilendem Gehorsam beflissener Bürger ganz richtig und nachvollziehbar: Also ich finde das gut. Bürger, die sich nichts zu schulden kommen lassen, müssen ja auch nichts zu befürchten haben. ((http://www.metronaut.de/2013/10/ekelhaft-die-denunzianten-app-strassensheriff/#comment-107349)) Die gleiche Argumentation hören wir tagein und tagaus, wenn es um die Enthüllungen zum größten Überwachungsskandal aller Zeiten geht, bei dem nach und nach klar wird, dass unser aller Privatleben nur noch Makulatur ist und im Dienste von Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaat geopfert wurde. In der Oberlehrer-Gesellschaft ist es kein Widerpruch, im gleichen Atemzug die Stasi ganz schlimm und die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen. NSA & Co. sind ja nur zu unserem Besten unterwegs und verteidigen Frieden, Freiheit und Wohlstand — gegen, na ja egal, gegen irgendwen halt. 1984 nicht mehr als drohende Dystopie, die unbedingt verhindert werden muss, sondern als alltägliche Realität, an die man sich gewöhnt und die man eigentlich sogar ganz gut findet. Sanftmütig wie Lämmer, die man zum Bolzenschussgerät führt, um sie anschließend an einen Haken zu hängen und auszuweiden, machen wir uns den größten Bullshit zu eigen, ohne darüber nachzudenken oder gar dagegen aufzubegehren. Immer bemüht, ja nicht aufzufallen, noch dazu zu gehören, nicht die Reputation zu verlieren oder die materielle Lebensgrundlage. Und selbst auf dem Weg zum Schafott strengen wir uns noch an, wenigstens unseren Mitbürger und Nachbarn noch ein klein wenig schlimmer aussehen zu lassen. Die bekannte Hoffnung des Denunzianten, damit den eigenen Arsch retten zu können. Meistens eine vergebliche Hoffnung.
Man könnte beliebig die Beispiele für eine Entwicklung fortsetzen, die man nur noch mit Worten wie Angst, Grauen und Terror beschreiben kann. Und doch ist eine ganze Gesellschaft in seltsamer Übereinkunft dabei, sich freiwillig und ohne Widerstände in dieses Grauen hineinführen zu lassen. Es sind nicht mehr nur die politischen Machteliten, die ihre Stellung ausnutzen, um den Rest übers Ohr zu hauen und zu versklaven. Die Versklavung findet längst in unseren eigenen Köpfen statt und wird von den meisten Zeitgenossen begrüßt, hingenommen, übersehen, stillschweigend akzeptiert. Es ist besorgniserregend, diese Tendenzen weltweit zu beobachten. Ganze Kulturen rutschen in einem atemberaubenden Tempo in ein rechtskonservatives Tugendterror-Nirwana, hin zu einem Totalitarismus, den man längst nicht mehr nur politisch fassen kann, sondern der in unser aller Fleisch und Blut übergeht, ohne dass wir das irgendwie zu bemerken scheinen. Beängstigend sind nicht mehr nur politische Akteure oder Strukturen – beängstigend ist unsere eigene Geisteshaltung.
Natürlich habe ich nichts zu verbergen. Ich gehöre zu den Guten, Braven und Staatstreuen. Wenn ihr jemanden abholen wollt, dann bitte verschont mich und nehmt meinen Nachbarn. Der ist mir schon immer aufgefallen und war anders als die anderen. Wenn ihr in euren gespeicherten Daten nachseht, werdet ihr das schnell bemerken. Er/Sie ja, ich nicht.
Auf einem schrecklich faszinierenden Horror-Trip schätzen wir unsere letzten Freiheiten gering und sind begierig darauf, sie selbst zu demontieren. Hinter der nächsten historischen Ecke warten die Umerziehungslager und die automatisierten Drohnen und intelligenten Kampfroboter, die jeden eliminieren, der nicht ins Schema passt. Aber wir lieben nicht mehr die Freiheit, sondern freunden uns mit den Gattern an, in die wir gepfercht und angekettet sind. Von Friedrich II. ist der Satz überliefert „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“. Ich hätte nie gedacht mal in einer Zeit zu leben, in der das herablassende Salon-Motto eines stocksteifen Preußen wie die Verheißung des Himmelreichs klingt.
6 thoughts on “Die Oberlehrer-Gesellschaft”
Ich falle vom Glauben an die Menschheit ab. Zu mindestens an die eine Hälfte. Heute habe ich geschrieben, kein normaler Mann würde jemals das Wort "supi" verwenden ... Das ist nicht fair, weißt du.
Nackt joggen übrigens auch nicht. Versuch das mal mit Brüsten. Echt doof. Andererseits — seit wann ist das Leben fair?
Hallo Frank,
verstehe ich Dich falsch, oder propagierst Du in Deinem Beitrag genau den Egoismus, der die von Dir geschmähten Regularien erst notwendig macht? Ich gestehe, auch ich gehöre zu denjenigen, die sich nicht von einer roten Lampe das Überqueren der Straße verbieten lassen, wenn das ohne Gefahr für irgendjemanden möglich ist. Andererseits bedeuten die Einschränkungen für Raucher für mich als Nichtraucher einen Zugewinn an Lebensqualität, und die Benutzung von Schutzfolien beim Sex ist für mich als Frau im gebärfähigen Alter die beste Alternative zu einem Leben in einem durch tägliche Hormongabe fremdbestimmten Körper.
Für mich bedeutet Freiheit in einer Gesellschaft sowas wie der kategorische Imperativ des alten Kant. Leider ist der ziemlich aus der Mode gekommen und muss durch irgendwas anderes ersetzt werden – wenn alles andere nicht mehr hilft, eben durch Ängste...
Grüße
Inge
P.S. Vielleicht ist Dein Blog ja auch als Satire in beide Richtungen gemeint – leider läuft man auch bei dir Gefahr, ihn für ernst gemeint zu halten.
Danke Inge für deinen Kommentar. Nun zum einen ist so gut wie jeder Artikel in diesem Blog ein uneingeschränktes Plädoyer für die Freiheit des Menschen. Ironie, Sarkasmus, ja ein Schuß Zynismus, sind tatsächlich die Werkzeuge, mit denen ich arbeite. Auch ein bisschen als Selbstschutz, um angesichts der Entwicklungen nicht wahnsinnig zu werden.
Ich gebe dir gern Recht, dass Freiheit auch immer Selbstverantwortung impliziert. Etwas, dass gern und bequemerweise vergessen wird. Aber nur, weil es Menschen heutzutage offenbar schwieriger gelingt, selbstverantwortlich zu handeln, muss man totalitären Entwicklungen nicht den Vorzug geben.
Freiheit hat jedoch immer auch mit Grenzverletzung zu tun, weil ich auch dem anderen die Freiheit einräumen muss, die ich selbst schätze. Das ist nicht immer schön (wie bei den Nichtrauchern), aber immer noch besser, als in einem Umerziehungslager statt einer freien Gesellschaft zu leben, in dem jeder auf ein korrektes Verhalten getrimmt wird. Wogegen ich allerdings absolut allergisch reagiere, ist jede Art von viktorianisch-selbstgerechter Tugend, die neuerdings im Gewand von Antidiskriminierungsideologien auftritt, aber genau dieselbe verquaste Moralscheiße darstellt, wie sie in vergangenen Jahrhunderten die Religionen einforderten.
Hallo Frank,
vermutlich sind wir einer Meinung, was Totalitarismus und Selbstgerechtigkeit betrifft, aber es macht mir Angst, wenn jemand zu laut nach Freiheit schreit. Weil in unserer überbevölkerten Welt die Freiheit des einen ganz schnell eine Einschränkung der Freiheit der anderen ist. Weil die meisten Menschen nicht willens und/oder in der Lage sind, ihre Freiheit verantwortungsvoll zu leben. Und weil das Versprechen, Freiheit zu bringen, allzu oft in Chaos endet. Das Leben kann nicht funktionieren ohne (manchmal strenge) Regeln. Leider werden die, die derzeit die Regeln machen und durchsetzen, in den seltensten Fällen von Vernunft und Weitsicht geleitet...
Ich finde Deinen Text sehr gelungen und das darin benannte Problem auch sehr real.
Ich stimme @Inge auch nur begrenzt zu. Korrekt, jede Gesellschaft braucht Regeln und sie entwickelt auch welche. Für gewöhnlich macht sie das, ohne gleich Juristen zu bemühen. Wir alle werden in diesen Regeln sozialisiert.
Vergleicht man unsere Gegenwartsgesellschaft, so ist sie relativ friedlich und zivil (Wer es nicht glaubt, schaue sich die Geschichte der Gewalt an). Es gab andere Zeiten mit sehr viel rauheren Sitten. Aber in Zeiten des geordneten Lebens steigt wohl auch die Empfindlichkeit gegen schon kleine Verstöße. Diese werden dann schnell skandalisiert als vermeintlich ungeheure Probleme, die der Staat zu lösen habe.
Die Gefahr bei staatlichen Regulierungen ist leider, dass dieser die Kriminalisierung von Abweichungen folgt. Und das ist gefährlich. Ich möchte keine Tugend-DDR. Mir hat die andere real existierende DDR gereicht, vor allem die weitreichende Macht selbst kleiner Schuldirektoren, staatliche Kräfte gegen Leute jenseits irgendwelcher Normen zu mobilisieren.
Schließlich besteht immer die Gefahr, dass solche Machtmittel missbraucht werden. Diese Gefahr ist real, weil es die Versuche des Missbrauches längst gibt (man denke an die Maut-Überwachungssysteme und die Lust einiger Politiker, sie zu anderen Zwecken zu nutzen).
Ein wichtiger Beitrag zu einem Thema, dass uns mehr beschäftigen sollte — staatliche Regulierungswut in Verbindung mit dem zunehmenden Wunsch der Bürger nach totaler Sicherheit, unter "freiwilliger" Aufgabe persönlicher Freiheiten!
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