Störenfried Bürger
oder Das Schweigen im Jenaer Walde
In der Jenaer Stadtratssitzung konnte man an diesem Mittwochabend wieder eine Menge lernen. Zumindest als Bürger. Und als Wähler.
Auf der Tagesordnung stand eine Beschlussvorlage zu Änderungen des Bebauungsplanes zum Eichplatz. Diese Änderungen – und nur diese Änderungen und nicht etwa der geänderte B‑Plan als Ganzes – sollen ab Ende September vier Wochen zur Auslegung kommen. Die Diskussion war langwierig und weitschweifig, insbesondere die Redner der "Koalition" gaben mehrfach ihren Senf zum Besten – der Geschwätzfaktor stieg in ungeahnte Höhen, während Fakten nur dünn gesät zu hören waren. Trotzdem fiel auf, dass man sich der Probleme der Bebauung durchaus bewusst ist. Fast alle Redner kamen auf die möglichen Auswirkungen eines hohen Zuwachses an Einzelhandelsflächen in der Stadt zu sprechen. Auch die offenbar fehlenden Parkmöglichkeiten für immerhin geschätzte 400000 Konsumenten, die man sich für das neue Einkaufscenter vorstellt (oder besser gesagt herbeiwünscht) bereiteten den Stadträten viele Sorgen. Nachdem man monatelang alle Anregungen aus der Bevölkerung abgebügelt hatte, die mehr Grün, mehr öffentlichen Raum für Kultur, Entspannung und Begegnung oder einen Spielplatz gefordert hatten, waren sich die Graugrünen auf einmal sehr einig darin, diese "erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten" für den zentralen Platz in der Innenstadt neu "zu prüfen" – ein offensichtlich angstvolles Zugeständnis an die am Horizont auftauchende Kommunalwahl im kommenden Frühjahr.
Eine nicht enden wollende Weile lang bestätigte man sich gegenseitig darin, welche Probleme mit der Bebauung zu erwarten sind und kam dann zur einhelligen Meinung, trotzalledem der Beschlussvorlage zuzustimmen. Mit Ausnahme der Linken tat dies sogar die Opposition. Besonders unsinnig erschien deren Argumentation in Gestalt der FDP, die wesentliche Aspekte des B‑Planes kritisierte, nur um dann doch dafür zu stimmen. Die absurdeste Begründung lieferte dafür Dr. Nitzsche, der meinte, man müsse deswegen jetzt weitermachen, weil man schon so weit gekommen sei. Mit anderen Worten: auf der rasanten Fahrt sehenden Auges gegen eine Wand macht das Bremsen nun auch keinen Sinn mehr.
Etwas anderes hatte man an dieser Stelle auch nicht erwartet, aber es kam noch viel schlimmer. Denn alle Redner hatten sich selbst darin gefallen zu betonen, wie sehr man doch den Bürger einbezogen und "mitgenommen" hatte und gewillt war, dies auch in Zukunft zu tun. Herr Philler von den Graugrünen trat gleich mehrfach ans Mikrofon, um in nichtssagenden und faktenlosen Beiträgen immerhin die Bürger zu motivieren, doch in der kommenden Auslegung ihre Meinung zu sagen und Anregungen einzubringen.
Nach der also erwartungsgemäß positiven Annahme der Beschlussvorlage hatten nun die Stadträte schon einige Minuten später die allerbeste Gelegenheit, sich mit der Bürgermeinung auseinanderzusetzen. Denn mit einem Einwohnerantrag nach Thüringer Kommunalordnung hatten 414 Bürger der Stadt die Offenlegung der Verkaufsverträge zum Eichplatz inklusive aller Nebenabreden gefordert. In § 16 ThürKO heißt es dazu:
"Ist der Einwohnerantrag zulässig, so hat der Gemeinderat innerhalb von drei Monaten nach Eingang über die Angelegenheit zu beraten und zu entscheiden; er soll hierbei Vertreter des Einwohnerantrags hören."
Nun die 3‑Monatsfrist endete einen Tag nach der Stadtratssitzung und die Einladung an die Vertreter des Einwohnerantrags erging zwei Tage vor der Sitzung. Über "die Angelegenheit", also den Einwohnerantrag selbst, hatte man keine Lust "zu beraten und zu entscheiden", stattdessen legte der Oberbürgermeister eine eigene Beschlussvorlage vor, die die Ablehnung des Antrages der Bürger allen wärmstens ans Herz legte. Mit einer Menge Paragraphen und Gerichtsurteilen gespickt wurde die Ablehnung sinngemäß damit begründet, dass die Vertraulichkeit der Verhandlungen dann erforderlich ist, wenn Vertraulichkeit geboten erscheint. Aaaahja.
Nicht zu vergessen die berechtigten Interessen der Investoren! Und der Schaden, der von der Stadt abgewendet werden muss! Und überhaupt, wo kämen wir denn dahin, wenn Bürger über den Verkauf ihres Gemeineigentums Bescheid wüssten? Das geht doch nun wirklich nur die Vertragspartner etwas an und sonst niemanden.
Nach der Vorstellung dieser Vorlage durch den OB selbst, räumte man der Vertreterin des Einwohnerantrages, Frau Dr. Heidrun Jänchen, Rederecht ein. Diese ließ die Stadträte erstmal wissen, dass nicht wenige in diesem Gremium mit weniger Stimmen in den Stadtrat gekommen waren als der Einwohnerantrag Unterstützer vorzuweisen hat. Eine Reihe weiterer, sehr kluger Argumente folgte. Insbesondere, dass es den Bürgern mit ihrem Antrag mitnichten um die Vertraulichkeit der Verhandlungen geht, sondern vielmehr um die Ergebnisse dieser Verhandlungen. Und dass es den Stadträten gut zu Gesicht stünde, wenn sie einmal "die berechtigten Interessen der Bürger", also ihrer eigenen Wähler, über die von finanzstarken Investoren stellen würden.
Nachdem nun Heidrun Jänchen den Stadträten einiges ins Gebetbuch geschrieben hatte, folgte ... ähm nun ja ... NICHTS. Die Anregungen, Fragen und Forderungen von Seiten der Bürger wurden mit lähmendem Schweigen quittiert! Keinerlei Diskussion, keine Entkräftung der vorgetragenen Argumente, nicht mal ein Austausch darüber ... nichts, niente, nada, null.
Die unmittelbar folgende Abstimmung fegte den Antrag der Bürger vom Tisch, ohne die von der ThürKO sinnvollerweise geforderte Beratung und ohne, dass es irgendjemand für nötig gehalten hatte, auch nur ein einziges Wort dazu zu verlieren. Nein, auch die Linken nicht.
Ich weiß nicht, ob man sich für die Abgeordneten seines Kommunalparlaments schämen sollte oder kann. Aber angesichts ihrer Feigheit tat ich genau das in diesem Moment. Ich schämte mich für selbstgefällige Politiker, für die der Bürger nur noch Störenfried in ihrer eigenen kleinkarierten Welt ist. Niemand hatte erwartet, dass der Einwohnerantrag den Stadtrat mit wehenden Fahnen passieren würde. Doch jegliche Auseinandersetzung darüber zu verweigern, ist politisch so unglaublich schwach, dass einen unwillkürlich schaudert. Man kann jemandem nicht deutlicher zeigen, was man von ihm hält, wenn man jedwedes Gespräch mit ihm verweigert.
Die Botschaft, ihr Stadträte von Jena, ist angekommen.
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4 thoughts on “Störenfried Bürger”
Wieso schämen? Dazu ist noch Zeit, wenn Du in vier Jahren genauso geworden bist ... Und dann trete ich dir derart in den Arsch, dass du das Schämen vergisst — versprochen. 😉
Ich find's schön, dass es dir gelingt, aus dem Trauerspiel eine Komödie zu machen. Spaß muss sein bei der Leich', sonst geht keiner hin.
Hier noch die Anmerkungen von Heidrun selbst zum Thema:
http://heidrunjaenchen.wordpress.com/2013/09/12/donna-quixote-reitet-wieder/
Ich habe lange überlegt, aber 'schämen' ist trotzdem das richtige Wort. Schämen für einen derartig schlechten Stil, für die Feigheit, die dahinter steckt, für den fehlenden Willen zur Verständigung. Es ist auch meine Stadt, nicht nur die dieser Betonkoalitionäre. Es ist außerdem eine schöne und lebendige Stadt, die SO einen Stadtrat garantiert nicht verdient hat.
Hallo Frank,
Du mußt in einer Stadtratssitzung in Gotha gesessen haben, hier GENAU das selbe. ;(