Shakespeare ist mein Freund
Warum mir die Homöopathie-Aufregung gegen den Strich geht
"Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio." – William Shakespeare, Hamlet, 1. Akt, 5. Szene
Ich schreibe ganz gern mal etwas über Dinge, die einen Bezug zu meinem persönlichen Leben haben – was man von den aufgeregten und nicht selten fanatischen Teilnehmern an der ständig schwelenden Diskussion über Homöopathie nicht gerade behaupten kann. Sehr wahrscheinlich sind die meisten der verbal um sich schlagenden Homöopathie-Kritiker noch nie mit homöopathischen Arzneimitteln in Berührung gekommen oder wollen damit auch gar nicht in Berührung kommen. Ihr Besserwissertum, das von wenig bis gar keiner Lebenserfahrung getragen wird, erinnert mich an die Zwangsbeglückungsvorschläge und ‑maßnahmen der Grünen, die sich ebenso damit schwertun, irgendjemanden ganz nach eigenem Gusto glücklich werden zu lassen. Nein, man darf nicht eher ruhen, bis man – ganz Zeugen-Jehova-Natur – seine eigene Sichtweise auf die Welt als die einzig wahre und richtige durchgesetzt hat. Ich finde das langweilig, intolerant und armselig.
Ich selbst bin kein Homöopathie-Fan und habe bisher ganz selten derartige Arzneimittel eingenommen. Dafür bin ich Skeptiker, hinterfrage gern und mache mir über vieles so meine Gedanken. Es gab mal einen Fall, bei dem ich meine Hoffnung ganz auf Homöopathie gesetzt hatte, die aber leider versagte. Stattdessen half mir eine ziemlich gewöhnliche und nicht ganz ungefährliche allopathische Salbe. Ich kann mich allerdings auch an einen Fall erinnern, bei dem das Gegenteil der Fall war und den möchte ich an dieser Stelle einmal erzählen. Etwa im Alter von 6 — 8 Monaten wurde bei meinem ältesten Sohn eine Analfistel festgestellt. Dies ist eine nicht seltene Fehlbildung bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen, die Entzündungen und weitere Unannehmlichkeiten verursacht und in der Regel chirurgisch saniert wird. Ein solcher chirurgischer Eingriff ist bei einem Säugling keine Kleinigkeit, sondern ein Risiko, das Eltern schonmal den Angstschweiß auf die Stirn treiben kann. Mein Sohn wurde nichtsdestotrotz operiert. Nach kurzer Zeit machte uns eine Kinderärztin klar, dass sich die Kinderchirurgin wahrscheinlich in der Schnittführung irgendwie vertan hatte und die gespaltene Fistel wieder zusammengewachsen und nach wie vor vorhanden war. Nun, in der Schulmedizin ist Pfusch auch keine seltene Angelegenheit, leider vermisse ich auf Twitter noch den Sermon der Besserwisser zu diesem Thema. Aber vielleicht kommt der Aufschrei ja noch. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben.
Als verantwortungsbewusste Eltern wollten wir unserem Sohn keine zweite Operation zumuten (wer konnte wissen, ob sich die Kinderchirurgin dieses Mal nicht anders irren und unserem Sohn gleich den halben Anus mit rausschneiden würde). Besagte Kinderärztin schlug vor, einen Versuch mit Homöopathie zu unternehmen und verordnete eine Gabe von Globuli – ich glaube es war Silicea, die Verdünnungsstufe habe ich vergessen. Sie kündigte an, dass nach der Gabe die Fistel anfangen würde zu eitern, um dann – im besten Fall – abzuheilen. Ich weiß nicht, wer von den Besserwissern überhaupt schon Kinder hat, aber es ist schon ein Unterschied, ob man ein Kind unter eine Narkosemaske und ein Skalpell legen soll oder ihm ein paar Kügelchen unter die Zunge schiebt. Nicht ohne Grund sind homöopathische Arzneimittel heute vor allem im kindermedizinischen Bereich weit verbreitet und auch beliebt.
So gesagt und getan. Alles passierte genauso wie es die Kinderärztin vorausgesagt hatte. Ein paar Tage lang eiterte die Fistel und verschlimmerte sich und dann heilte sie einfach ab und war verschwunden. Sie kehrte überdies niemals wieder.
Von meiner wissenschaftlichen Ausbildung her bin ich übrigens Diplom-Chemiker. Man kann mir durchaus zutrauen, eine gewisse Vorstellung von Lösungen, Konzentrationen, Verdünnungen und Wirkmechanismen chemischer Substanzen auf den Körper zu haben. Ich bin an systematisches Denken gewöhnt und an methodisches Arbeiten ebenso. Es ist ein Leichtes für mich, Homöopathie von dieser Sichtweise her für Scharlatanerie zu erklären, ihre angebliche Wirkweise für Humbug und ihre Anhänger für Idioten. Ich muss euch enttäuschen, ich habe daran kein Interesse. Ich habe auch kein Interesse daran, die endlosen Argumente für oder gegen Homöopathie durchzukauen oder zu meinen eigenen zu machen. Wer googeln kann, kann sich auch informieren und in beliebigem Verdünnungsgrad selbst involvieren.
Es gibt eine Menge Leute, die Homöopathie verdammen und für Aberglauben halten und diejenigen verspotten, die darauf setzen. Es gibt aber genauso eine Menge Leute, die auf Homöopathie schwören. Vermutlich weil sie damit – zumindest hin und wieder – gute Erfahrungen gemacht haben. Wenn man mich nun fragt, was für mich wichtiger wiegt, die abstrakte Theorie und die Suche nach der alleinseligmachenden Wahrheit oder die Erfahrung, dann fällt es mir leicht die Erfahrung zu wählen. Vermutlich liegt es an meinem schon leicht fortgeschrittenen Alter, dass ich in meinem Leben schon ein paar Mal Erfahrungen gemacht habe, die gelinde gesagt seltsam waren oder um es anders auszudrücken, nicht so richtig in mein Weltbild passen wollten.
Wenn einem etwas passiert, was nicht ins eigene Weltbild passt, gibt es meist zwei Handlungsmuster. Die eine Fraktion erklärt das alles für Blödsinn, nur um die eigene Weltanschauung nicht zu gefährden, verdrängt und vergisst fleißig oder bekämpft gar fanatisch. Die andere Fraktion mag ungewöhnliche Erfahrungen und sieht sie als Bereicherung an. Sie nutzt sie als Ausgangspunkt für unbequeme Fragen oder dafür, den eigenen Horizont ein klein wenig hinauszuschieben. Wissenschaft – sprichwörtlich als Irrtum auf dem neuesten Stand bezeichnet – vergisst manchmal, dass sie sich auch nur auf einem sehr begrenzten Raum-Zeit-Horizont bewegt, der wenige Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte später gewaltig ins Wanken geraten kann. Es ist schade, dass sich die Welt bisher noch nicht bequemt hat, der Wissenschaft die Universalformel zur Verfügung zu stellen, mit der sich endlich alles erklären lässt. So werden wir auch in Zukunft immer nur Puzzlesteine zusammentragen, hier und da ein paar Lichtblitze der Erkenntnis erhaschen und bei anderen Dingen wiederum völlig danebenhauen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als man einen gewichtigen Anteil der DNA des Menschen für Müll ("Junk-DNA") erklären wollte, weil man keine Vorstellung davon besaß, für was diese Teile des Erbguts eigentlich nützlich sein sollten. Mittlerweile sind Forscher auf der ganzen Welt von den Unmengen an "Schaltern" fasziniert, die man im vermeintlichen Müll entdeckt hat.
Ich weiß nicht, ob Homöopathie funktioniert oder ob es nur Placebo-Denken ist. Vielleicht wäre die Fistel meines Sohnes auch ohne Globuli ganz allein abgeheilt. Vielleicht war es nur der Glauben und die Hoffnung der Eltern. Vielleicht war ein bis dato unbekannter molekularer Wirkmechanismus am Werk oder nur die Einbildung. Keine Ahnung. Vielleicht sind aber auch nur die Erklärungsversuche der Homöopathie-Fans nicht besonders glücklich und die eigentliche Wirkungsweise wird erst in 200 Jahre entdeckt und mit dem Nobelpreis geehrt. Ich weiß es echt nicht. Was ich aber weiß, ist, dass Arroganz immer Dummheit ist und vermeintliche Wahrheiten sich oft im Leben als Schwachsinn herausstellen. Diesen Satz kann man jetzt pro oder contra Homöopathie ins Feld führen, aber das überlasse ich den Leuten, die zu viel Zeit haben.
Was mir aber schlussendlich noch viel wichtiger ist, als Pirat streite ich für die Freiheit und sehr gern überlasse ich jedem Menschen die freie Entscheidung, was er denken und glauben möchte, was gut für ihn ist. Die selbsternannten Inquisitoren mögen woanders hin gehen, ihre Denkweise ist mir fremd. Sie ist mir auch deswegen fremd, weil sie unfähig sind, den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen, aber militant den Splitter aus den Augen der anderen herausreißen wollen. Jährlich fordern die Nebenwirkungen oder der Missbrauch allopathischer Pharmazeutika Tausende Tote – für die EU schätzt man eine Zahl von 200.000! Wenn also die selbsternannten Krieger wider die Homöopathie demnächst wieder jammern, wieviel Geld ja so sinnlos für eine nicht wirksame Heilmethode aufgewendet werden muss, dann rate ich mal dringend an, gleichermaßen das finanzielle Desaster infolge Unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu studieren. Und wenn ihr mich fragt, was mir lieber ist, erstmal Globuli zu nehmen und abzuwarten, was passiert oder Chemotherapeutika, die mir gleich die halbe Leber vergiften, dann kennt ihr sicher meine Antwort.
Gute Nacht!
Anm. 1: Abgesehen davon, dass es keine offizielle, durch einen Parteitag gedeckte, Position der Piratenpartei zum Thema Homöopathie gibt, ist der dümmste Satz in Julia Groß' Interview folgender: "Ausschlaggebend für die Förderung einzelner Therapieverfahren sollte ausschließlich das Zusammenspiel zwischen Kosten und Nutzen für die Bevölkerung sein, nicht wie viele Teile der Bevölkerung ein Verfahren ohne besseren Wissens anwenden." Selbstredend, dass wir dann offensichtlich diejenigen repräsentieren, die zweifellos mit dem "besseren Wissen" ausgerüstet sind und die anderen die Dummen, die den Nutzen nicht mit den Kosten abwägen können. Brrr, da wird mir schlecht. So wird das nichts mit dem Bundestag, liebe Piraten. Menschen lieben keine Bevormundungen, sie sind immer noch in der Lage für sich selbst zu entscheiden.
Anm. 2: Der wissenschaftliche und evidenzbasierte Nachweis von was auch immer in allen Ehren, lieber Andi Popp, aber manchmal funktioniert die Wirklichkeit nicht wie ein Biochemie-Lehrbuch aus dem ersten Semester Medizin. Sie ist komplexer oder auch mal einfach nur verrückt. Wer hat denn eigentlich schon mal richtig untersucht, wie hoch der Placebo-Anteil bei ganz normalen Arzneimitteln ist? Als ich mal 5 Jahre meines Lebens an die Pharma-Industrie verschwendete, galt es in der Firma, in der ich mich um die Bewerbung von H2-Blockern in Arztpraxen kümmern sollte, als offenes und wenn man so will evidenzbasiertes Geheimnis, dass auch ohne Medikament 50% aller Magengeschwüre einfach abheilen. Viel wichtiger als die ach so evidenzbasierte Pharmazie waren da einfach Stressvermeidung, Klärung persönlicher Probleme und Änderungen in einem festgefahrenen Lebenswandel. Na dann, psychologische Beratung und Kuren auf Rezept?
Links:
3 thoughts on “Shakespeare ist mein Freund”
Ich weiß nicht was ich zu der Anmerkung sagen soll. Wenn du der festen Überzeugung bist das wissenschaftliche Argumente (das Bio-Chemie-Lehrbuch) Bullshit sind und du ja anscheinend der Meinung bist, das persönliche Erfahrungen (und ich habe tiefstes Mitgefühl für die Probleme, die deine Familie durchgemacht hat) belastbare Belege darüber darstellen, wie die Welt funktioniert, dann erübrigt sich halt jede Argumentation.
Nein, ich bin ja gar nicht der festen Überzeugung, dass wissenschaftliche Argumente Bullshit sind, warum sollte ich das sein? Trotzdem ist die Welt nicht immer so einfach, wie wir das gerne hätten und man muss ein paar mehr Faktoren und Variablen mit einbeziehen, um sich wirklich eine Meinung zu bilden als einfach nur für oder gegen etwas zu sein.
Natürlich kennen wir die Welt nicht vollständig. Deswegen ist die Wissenschaft ja ein immer fortlaufender Prozess. Aber zu sagen "wenn die Ergebnisse nicht passen, dann ist die Wissenschaft unzureichend" (und dabei auch immer wieder den armen Shakespeare aus dem Kontext zu reißen), negiert halt jedwede Erkenntnis und reißt alle brauchbaren Diskussionsgrundlagen mit dem Hintern ein. Ab da kann sich halt jeder die Welt machen wie sie ihm gefällt.