Eine Stadt stellt sich quer
Nun ist es amtlich. Bei der Bürgerbefragung zur Eichplatzbebauung fiel das von der Stadt als alternativlos favorisierte Projekt von OFB/jenawohnen sang- und klanglos durch – und zwar so deutlich, wie es wohl die wenigsten erwartet hatten.
Beim Thema Bürgerbeteiligung bekommt man ja sehr oft den Einwand zu hören, dass die meisten Leute gar keine Lust hätten, politisch mitzuentscheiden. Das würden ja immer wieder niedrige Beteiligungsquoten, beispielsweise beim Bürgerhaushalt, zeigen. Dieses Argument riecht förmlich nach Bequemlichkeit und Abwinken bei kommunalpolitischen Akteuren, die Mitsprache als anstrengend empfinden und zwischen Wahlen lieber ihre Ruhe vor allzu aktiven Bürgern hätten. Es ist zudem falsch. Denn zum einen haben Menschen Wichtigeres zu tun, vorausgesetzt man gehört nicht gerade zu den oberen Zehntausend. Man muss seine Brötchen verdienen, sich um Kinder und Familie kümmern, sucht vielleicht einen Job oder eine bezahlbare Wohnung, pflegt einen Angehörigen, ärgert sich mit dem Arbeits- oder Sozialamt herum, kämpft mit Krankheiten oder Schicksalsschlägen – Gründe gibt es viele, warum Politik nicht unbedingt Priorität haben muss und zwar völlig berechtigt. Zum anderen ist der Verweis auf niedrige Beteiligungsquoten deswegen falsch, weil immer dann Bürger tatsächlich nach Beteiligung und Mitsprache verlangen, wenn es um ein Thema geht, das zur Herzenssache wird, das eigene Interessen berührt oder mit dem eigenen Leben zu tun hat, emotional herausfordert oder wo Nachteile für sich selbst oder für alle befürchtet werden. Erschrocken stellt dann der allzu selbstsichere Kommunalpolitiker oder Verwaltungsbeamte fest, dass die vermeintlich schlafende Mehrheit gar nicht schläft, sondern das Heft in die Hand nimmt und innerhalb kürzester Zeit Berge versetzt.
So geschehen auch beim Eichplatz. Aus einer Handvoll von Aktiven in einer Bürgerinitiative, die scheinbar auf verlorenem Posten gegen Unabänderliches kämpft, wurden innerhalb von ein paar Monaten zuerst 12000 Unterzeichner eines Aufrufs für ein Moratorium und dann 34000 Nein-Stimmen bei einer Bürgerbefragung, mit der sich die Stadtoberen lediglich ihre eigenen Pläne nochmal absegnen lassen wollten. Von den 86281 angeschriebenen Bürgern hatten sich 55448 beteiligt, der Rücklauf betrug also mehr als 64 %.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Gründe für die mehrheitliche Ablehnung dieses Bauvorhabens ganz verschieden, persönlich gefärbt und motiviert waren. Ich zähle mal einiges auf, was mir in der öffentlichen Diskussion der letzten Monate so aufgefallen ist:
- Erfahrung, Wissen, Kompetenz und Beurteilungsvermögen der Leute wurden gering geachtet. Man sprach immer wieder abschätzig über "die Unwissenden", die "Freizeit-Architekten", "die Bebauungsgegner", "die Wutbürger", "die Nein-Sager" usw. Oberbürgermeister und Stadtentwicklungsdezernent wurden nicht müde darin zu erklären, dass man den Bürgern einfach nur alles richtig kommunizieren muss. Das impliziert im Umkehrschluss, dass man an der wirklichen Meinung der Bürger gar nicht interessiert ist, sondern lediglich das Ausmass der Überzeugungsarbeit abschätzen will, die noch benötigt wird, um die Zustimmung für die sowieso schon feststehenden Pläne zu erlangen.
- Der offensichtliche Wunsch nach Beteiligung und Mitsprache wurde immer wieder vom Tisch gewischt. Eine Jury, deren Mitglieder zur Geheimhaltung verpflichtet wurden, deren Protokolle nicht einsehbar sind und deren Votum letztendlich keine Rolle spielte. Bürgerbegehren wurden abgelehnt. Ein Einwohnerantrag auf Veröffentlichung der Vereinbarungen und Verträge ebenfalls. Über 300 Einwände und Verbesserungsvorschläge zum Bebauungsplan hatten für das weitere Verfahren keinerlei Relevanz. Man lehnte es ab, mit der Bürgerinitiative "Mein Eichplatz" auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren (und behauptete in der Öffentlichkeit das Gegenteil). Protestaktionen, Demonstrationen und Kundgebungen wurden nicht ernstgenommen. Öffentliche Bürgerversammlungen gerieten zu Investorenpropagandaveranstaltungen, bei denen man kritischen Medien sogar die Aufzeichnung verbot. Das Signal war klar: jede Störung des geplanten Ablaufs ist nicht erwünscht. Offenheit sieht anders aus. Jeder, der sich nur ein paar Minuten Zeit nahm, um sich mit dem Thema zu beschäftigen, konnte das erkennen.
- Die Diffamierung von Kritikern des favorisierten Bebauungsprojektes als angeblich fanatische Bebauungsgegner. Selbst jetzt, nach der Abstimmung, werden die schlechten Verlierer als Kommentatoren auf den Online-Portalen von TLZ/OTZ nicht müde zu behaupten, die Gegner hätten ja nun ihren gewünschten Parkplatz. Zwei seriöse und attraktive Alternativvorschläge (Modell der Weimarer Architekturstudenten und der von Lesern der TLZ erarbeitete Vorschlag) wurden ignoriert. Obwohl es ziemlich genaue und immer wieder öffentlich geäußerte Vorstellungen über die Bebauung des Platzes gibt (mehr Freiraum, nicht so enge Bebauung, kleinteiligere Bebauung, mehr Grün, Spielplätze, Wasser, Bäume, kein Einkaufszentrum usw.), blieb man bei der engstirnigen und ignoranten Behauptung, die Kritiker würden ja gar keine Bebauung und stattdessen den tristen Parkplatz wünschen. Etwas wird nicht richtiger, nur weil man es unentwegt wiederholt. Wenn man seine Meinung vorträgt, aber diese Meinung immer wieder absichtlich fehlinterpretiert wird, bleibt zum Schluss nur ein symbolischer Schlag ins Gesicht derjenigen, die nicht zuhören wollen.
- Die Interessen von Investoren wurden über die der Bürger gestellt. Das fängt mit der unsäglichen Herrenausstatter-Geschichte an (wer braucht den eigentlich wirklich?) und hört bei Geheimhaltung von Verträgen und einem Verlustgeschäft der Stadt auf, weil man den vermeintlich segensreichen Geldbringern die Investition ja schmackhaft machen muss. Wenn diese Abstimmung etwas gezeigt hat, dann die völlige Diskrepanz in den Interessenlagen zwischen den Beteiligten. Die Putzfrau in Lobeda, den überarbeiteten Pfleger im Klinikum, die wohnungssuchenden Studenten und Familien mit Kindern, die Langzeitarbeitslosen, die Jugendlichen, für deren Kreativität kein Raum zur Verfügung steht – niemand von denen interessiert sich für die nächste tolle Ladenkette, die überteuerten Luxuswohnungen mit Terasseninnenhof, für die Rendite von Investmentfonds und städtischen Wohnungsunternehmen, für die Einkaufsbedürfnisse eines Oberbürgermeisters und der sogenannten Privilegierten.
- Die Ostdeutschen sind gebrannte Kinder, was Agitation und Propaganda anbelangt. Wenn mir jemand mit all der ihm zur Verfügung stehenden Macht einzubleuen versucht, was gut für mich ist, dann fängt sich in mir schon aus psychologischen Gründen etwas an gewaltig zu sträuben. Ein Stadtentwicklungsdezernent, der sich selbst nicht als neutraler Moderator in einem Prozess sieht und einen Interessensausgleich anstrebt, sondern im Gegenteil als Anführer einer Schar von PR-Kriegern auftritt, die eine Schlacht gewinnen müssen, erzeugt nicht Zustimmung, sondern instinktive Abwehr. Beim Blick auf ein Plakat, das die Bebauung des Eichplatzes bewerben soll, statt Beton und Glas aber eine grüne Wiese zeigt, auf der ein Vater mit seinem Kind tollt, fühlt man keine Zustimmung, sondern greifbar die Manipulation, mit der man über den Tisch gezogen werden soll. Leute, wir lassen uns nicht mehr verarschen.
- Politische Unglaubwürdigkeit bleibt politisch unglaubwürdig, da können sich die Protagonisten des Theaters noch so sehr anstrengen, einen anderen Eindruck zu erwecken. Eine grüne Partei, die sich für ein Einkaufszentrum stark macht und dafür 51 große Bäume im Stadtzentrum fällen lassen will? Eine sozialdemokratische Partei, die das städtische Wohnungsunternehmen Luxuswohnungen bauen lässt, während man seit Jahren nicht mal Ansätze von sozialem Wohnungsbau auf die Reihe bekommt? Eine christdemokratische Partei, deren einziges Bestreben darin besteht, potentiellen Investoren in den Hintern zu kriechen? Eine fast in Vergessenheit geratene liberale Partei, die sich erst als großer Befürworter des Projektes geriert, aber beim immer schnelleren Abrutschen in den Abgrund dann doch nicht mit rutschen möchte? Wer glaubt, dass Bürger dafür keine Antenne besitzen, dass ihnen etwas anderes erzählt als im Hintergrund betrieben wird, der irrt.
Ich glaube, je länger man darüber nachdenkt, umso mehr der grundsätzlichen Fehler offenbaren sich, die in diesem Verfahren von Anfang an gemacht wurde. Wenn Bürgerbeteiligung nur ein schönes Wort ist, das gerade in Mode ist, ein Mäntelchen, das man sich umhängen muss, um schneller voranzukommen, dann läuft etwas gewaltig schief. Dann haben die politisch Verantwortlichen die Zeichen der Zeit nicht nur mißverstanden, sondern komplett verpennt. Eine Stadt ist vor allem anderen ein wunderbarer, vielfältiger, kreativer Lebensraum für die Menschen, die in ihr wohnen. Wer über das Bedürfnis nach mehr Freiraum, mehr Grün, mehr Spielraum für Kinder, nach Ruhezonen und Bereichen, die nicht nur durch kommerzielle Interessen definiert sind, von oben herab lächelt, der sollte keine Verantwortung für diese Stadt übertragen bekommen. So einfach ist das. Das Leben von Menschen besteht aus mehr als nur Einkaufen, mal abgesehen davon, dass man dafür auch das nötige Geld braucht.
So romantisch das auch klingt, aber vielleicht sollte man ja die nächsten Millionen in das konkrete Lebensglück von Menschen investieren und nicht in die feuchten kapitalistischen Träume der wenigen Unverbesserlichen, die meinen, mit ein paar Tausend Quadratmetern neuer Einkaufsfläche würde schon alles von allein gut werden. Eine Stadt hat sich quer gestellt. Und die Unverbesserlichsten unter den Unverbesserlichen stimmen jetzt das große Wehklagen über die vermeintlich entgangenen Chancen an und hören nicht auf, die Bürger darüber zu belehren, woran sie jetzt mit ihrer Ablehnung alles schuld sind. Eine Chance sollten sich daher die Bürger tatsächlich nicht entgehen lassen. Diese Leute in die Wüste zu schicken.
Am 25. Mai ist Kommunalwahl.