Wenn böse Autos rollen
In der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am 16. April wurden als "Krönung des heutigen Abends" (Zitat Ausschussvorsitzende) die geplante neue Ampel in Winzerla und der Wegfall von 26 Parkplätzen im Rahmen der Umgestaltung des dortigen REWE-Vorplatzes diskutiert. Beides war ja eine beschlossene Sache gewesen, bis nicht wenige Bürger den Sinn der Maßnahme in Frage stellten, sie als Verschwendung von Steuergeldern geißelten und sich der Ortsteilrat gezwungen sah, sein Votum für die Ampel zu revidieren. Wie immer, wenn sich die regierende Stadtratskoalition aus SPD, CDU und Grünen nicht besonders einig ist, versprach die Diskussion spannend zu werden, inklusive einem leichten Hang zur Absurdität.
Beide Anträge (einer zur Verhinderung der Lichtsignalanlage und einer zur Erhaltung des Parkplatzes) wurden abgelehnt, soviel vorweg. Die Argumente waren ... nun ja, breit gestreut. 140000 Euro für die Ampel wären Peanuts, wenn dieses Wort nicht schon verbraucht wäre, meinte Frau Langhammer von den Linken und sprach sich vehement für den Bau aus. Ich bin gespannt, ob es immer noch Peanuts sind, wenn die Investitionskosten bei Sozialausgaben wieder eingespart würden. Es wurden außerdem noch Exhibitionisten im dunklen Tunnel bemüht, gefährdete oder sich selbst und andere gefährdende Fußgänger (je nach Blickwinkel), Fahrradfahrer, die zu 95% die Unterführung nutzen, aber das angeblich überhaupt nicht dürfen, die freie Straßenquerung für freie Bürger usw. Und natürlich Autos als Zumutung par excellance.
Herr Philler von den Grünen verstieg sich zu der Aussage, wenn man diese Ampel in Frage stellt, könne man auch Fußgängerüberwege vor Schulen wegfallen lassen, "nur damit Autos rollen können". Ja, wenn die bösen Autos rollen, dann sehen Grüne rot. Erstrecht die in Jena. Man fragt sich unwillkürlich, ob sie sich Kraftfahrzeuge als eine eigene Spezies vorstellen, vielleicht als eine Kreuzung aus Ungeziefer und Alieninvasion — autonom, unerträglich und gefährlich. Am liebsten würde man diese Spezies einfach ausrotten, verdrängen, wegdenken, zumindest aber aus der ganzen Innenstadt verbannen. Dass in Autos Menschen sitzen, die mit ihrer Art der Fortbewegung irgendetwas bezwecken, scheint für Grüne ein weithergeholter Gedanke zu sein, mit dem man sich gar nicht erst beschäftigen muss. Fußgänger sind arme, immer irgendwie gefährdete Menschen, die sich wunderbar in Schritt-für-Schritt-Kampagnen integrieren lassen. Fahrradfahrer sind unser aller Vorbild in Sachen Gesundheit und Weltrettung. Aber Autofahrer sind selbstredend bequeme Kreaturen, die nur an sich selbst denken und für den sicheren Klimatod des Planeten verantwortlich sind. Weswegen man sie solange diffamieren und schikanieren muss, bis sie von allein auf ihr lasterhaftes Treiben verzichten und von der Sünde lassen.
Jena ist ohne Großindustrie und Hightech-Firmen, ohne Wissenschaft und Forschung, ohne Fachhochschule, ohne Universität und Uniklinikum nicht denkbar. Etwa 65000 Erwerbstätige finden hier ihr Auskommen ((Stand 2012)), ganze 10000 mehr als 2005. Die wenigsten von ihnen können wie Herr Philler mit Hund an der Leine gemächlich zu ihrem Arbeitsplatz schlendern. Ganz im Gegenteil gibt es knapp 25000 Einpendler ((Daten für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte vom 30.06.2014)). Hinzu kommen weitere 10000 Leute, die Jena verlassen müssen, um zu ihrem Job zu kommen. Besonders kritisch sind die Verhältnisse in der Handwerksbranche, wo die Unternehmen immer weitere Anfahrtswege zum Ort der Leistungserbringung in Kauf nehmen, um Aufträge zu generieren und konkurrenzfähig zu bleiben. Nicht einmal die Hälfte der Arbeitnehmer benötigt für Hin- und Rückweg zum Arbeitsplatz nur weniger als eine Stunde. Mehr als ein Drittel braucht dafür schon bis zu zwei Stunden. Immerhin 16% sind dafür zwischen 2 und 4 Stunden unterwegs. ((Umfrageergebnisse aus dem Jahr 2012)) Täglich. Die merkwürdig verquere Vorstellung von grünen Politikern, dass Menschen ja einfach so zum Spaß wertvolle Lebenszeit im Auto verbringen, könnte falscher nicht sein. Während man Autofahrer als ökologische Feinde definiert und ihnen symbolpolitisch zu Leibe rückt, vergisst man mal eben nebenbei, dass hinter jedem Auto auch ein oder mehrere Leben, Familie, Kinder, Erwerb und das Hamsterrad des Alltags mit seinen Terminen, Besorgungen, Einkäufen, Schulwegen usw. stehen. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein hoher Mobilitätsaufwand regelrecht krankmachen kann und Stress und Unzufriedenheit fördert. Aber in einer Markt- und Leistungsgesellschaft, in der der Wert eines Menschen nur über seine Arbeits- und Kaufkraft definiert wird, können sich die Allerwenigsten aussuchen, wie und wo sie ihre Brötchen verdienen. Nimmt man den Aufwand und die Anstrengungen nicht auf sich, sind nicht selten Arbeitslosigkeit und sozialer Abstieg die einzige reale Alternative.
Auf dem täglichen Arbeitsweg kann eine Ampel mehr entscheidend sein und zu einem nervenaufreibenden Zeitverlust werden. Es ist arrogant und realitätsfremd zu meinen, man bräuchte seine idealisierte Weltvorstellung nur in repressive Maßnahmen zu gießen und schon würden die bösen PKW von allein verschwinden. Von den oft wenig attraktiven Möglichkeiten, die vielerorts der öffentliche Nah- und Regionalverkehr bietet, will ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen. Es ist zudem erstaunlich, wie weit weg mittlerweile sogar Kommunalpolitiker von den tatsächlichen Sorgen und Nöten der Menschen sind. Das politische Augenmerk auf ein paar Leute zu legen, die gern bei fließendem Verkehr die Straße überqueren wollen, im Gegenzug aber die berechtigten Interessen und Bedürfnisse von Tausenden von Menschen auf ihrem täglichen Arbeitsweg gering zu schätzen oder gar zu ignorieren, ist sehr bezeichnend. Man gibt mittlerweile offen zu, dass die Blitzer in der Stadt vor allem dem Zweck einer bequemen Geldquelle dienen. Stehen sie zu lange am selben Ort und haben sich die Ortsansässigen auf sie eingestellt, müssen sie woanders hin. Nur so lassen sich dauerhaft Einnahmen erzielen. Dafür ist der Autofahrer natürlich wieder gut. Hinzu kommen Geschwindigkeitsbegrenzungen, Parkplatzsuche und ein fleißiges Ordnungsamt. Man darf gespannt sein, wann der Bogen überspannt ist und die Leute genug von dieser Art Politik haben.
Quellen:
- http://www.jenapolis.de/2014/06/23/jeder-zweite-arbeitsplatz-in-jena-durch-einpendler-besetzt/
- http://www.statistik.thueringen.de/datenbank/portrait.asp?auswahl=krf&nr=53&vonbis=&TabelleID=kr000306
- http://de.statista.com/statistik/daten/studie/245765/umfrage/fahrzeiten-fuer-arbeitnehmer-im-pendelverkehr/
- http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article109270222/Langes-Pendeln-zur-Arbeit-kann-krank-machen.html
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