
Macht sie fertig!
oder Gegen den Totalitarismus-Keim kann man leider nicht impfen
Dieser Tage geht eine Meldung durch die Medien, dass die australische Regierung erwägt, Impfverweigerern soziale Zuwendungen zu kürzen. Dies würde für eine betroffene Familie finanzielle Einbußen an staatlichen Zuschüssen in einer Höhe von bis zu 15000 australischen Dollar bedeuten — kein Pappenstiel. In meiner Twitter-Timeline wurde diese Nachricht rege weiter verteilt und selbst wenn man seine Begeisterung nicht in jedem Fall zur Schau stellt, so kann man doch eine gewisse Genugtuung darüber herauslesen, dass es jetzt endlich jemanden gibt, der mal durchgreift. In den Kommentaren zum oben verlinkten Artikel dagegen geht es richtig zur Sache. Dödel ist noch der geringste Ausdruck, mit dem man Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, bedenkt. Die rhetorische Palette reicht bis "dumme und ignorante Arschlöcher" und "Beihilfetäter zu versuchtem Mord". Und natürlich sind Impfgegner mit Verschwörungstheoretikern zu vergleichen, die wiederum grundsätzlich paranoid sind, daher gilt auch für Impfgegner "Diskussionen mit paranoiden Personen sind leider nicht zielführend." Ich habe nicht alle Kommentare durchgelesen, aber eigentlich erwarte ich mindestens noch den Nazi, wahlweise auch den Rassisten, der nichts dagegen hat, dass arme ungeimpfte Kinder der Dritten Welt wie die Fliegen sterben (während deren Unterernährung und Hungertod nicht annähernd so wichtig wie deren Impfstatus ist). Moderate Töne sucht man mehr oder weniger vergebens. Jemand, der den "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" beachtet sehen will, bekommt eine Bewertungsrate von ‑56%. Wie oft in solchen und ähnlichen Diskussionen gibt es nur schwarz oder weiß, dafür oder dagegen, die reine Vernunft vs. Vollidiotie — kurz gesagt gut oder böse. Dazwischen nichts. Du kannst mir nicht zustimmen? Dann hast du mir nichts zu sagen.
Nein, das wird keiner der vielen im Netz kursierenden Blogbeiträge, die entweder Quellen und Argumente gegen das Impfen auflisten oder genauso feinsäuberlich diese Argumente als Irrtum und Unsinn entlarven. Leider bin ich ein meist unbelehrbarer Anhänger des Relativismus und wenig darauf erpicht, andere Leute von der alleinseligmachenden Wahrheit zu überzeugen. Die, die irren, sind sowieso immer die anderen. Die fanatischen "Tod allen Fanatikern!"-Rufe sind nicht so mein Ding. Menschen entscheiden in der Regel aus einem anerzogenen und erworbenen Satz von Erfahrungen und Gefühlen heraus und rechtfertigen diese Mixtur erst im nachhinein mit (ir)rationalen Argumenten. Leider ist Freud und seine Entdeckung (oder besser gesagt sein Modell) des Unbewussten nicht mehr so populär, weswegen die "Argumente" ständig und völlig überhöht im Vordergrund stehen und geradezu biblische Glaubensbekenntnisse einfordern. Wer nicht so recht glauben will, ist dann der Feind. Feinde gehören nicht zur eigenen Primaten-Sippe und können verprügelt oder vertrieben, besser aber ausgemerzt werden, ohne dass dies ein Verlust wäre. Moses tat dies, als er vom Berg Sinai zurückkehrte und sein Volk um das Goldene Kalb tanzend vorfand. Er nahm sich ein paar Getreue, ging kreuz und quer durch das Lager und metzelte alle nieder, die von (seinem) Glauben abgefallen waren. Die Übriggebliebenen waren dann alle fromme Gläubige, die dem einen Gott und nicht den falschen Götzen anhingen. Wer hätte das gedacht.
Leute, die Impfungen für unwirksam und gefährlichen Blödsinn halten, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht recht. Leute, die Impfungen für harmlos und über jeden Zweifel erhaben wirksam halten, auch nicht. Jeder, der schon mal den Beipackzettel eines Impfstoffs in den Händen gehalten (und auch gelesen) hat, weiß das. Man muss also eine Abwägung treffen zwischen vermeintlichen oder tatsächlichen Vor- und Nachteilen und die Frage ist jetzt, wem ich gern diese Abwägung überlassen möchte. Als 2009 gegen die Schweinegrippe ein Kombinationsimpfstoff entwickelt und angewendet wurde, machten relativ schnell Berichte über gravierende Nebenwirkungen die Runde. Trotzdem gab es nicht wenige Stimmen, die eine komplette Durchimpfung der Bevölkerung forderten, um eine Pandemie zu verhindern. Wie wir wissen, blieb die Pandemie aus, obwohl sich nur verschwindend wenige Leute gegen Schweinegrippe impfen ließen (alle anderen Impfverweigerer?). Damals impfte eine Hausärztin, die sich mit der Materie sehr wahrscheinlich nie richtig beschäftigt hatte, meine erkältete 74-jährige Mutter mit dem Kombinationsimpfstoff. Etwa zwei Wochen nach der Impfung erkrankte meine Mutter an einer sehr schweren Grippe und litt in der Folge an regelmäßig wiederkehrenden Komplettausfällen, bei denen sie zu Boden fiel und sich im Nachhinein nicht mehr daran erinnern konnte, was geschehen war. Mehrfach verletzte sie sich dabei gefährlich. Natürlich gibt es keinen Beweis für einen direkten Zusammenhang. Erst fünf Jahre später las ich dann von einem Bericht der finnischen Regierung, in dem mehrere Dutzend Fälle konstatiert wurden, bei denen Kinder nach einer Impfung mit dem Schweinegrippe-Impfstoff an Narkolepsie litten. Die Experten hielten einen Zusammenhang für sehr wahrscheinlich. Bei Narkolepsie fallen die Betroffenen von einem Augenblick zum anderen in einen Tiefschlaf und stürzen durch plötzliche Muskelerschlaffung (Kataplexie). Viele der Kinder litten außerdem an Halluzinationen und schweren physischen Zusammenbrüchen. Ja, die Realität ist halt manchmal komplizierter als ideologische Wunschvorstellungen. Eltern, deren ungeimpftes Kind an Masern stirbt, werden sich ihr Leben lang bittere Vorwürfe machen (und dafür im Netz verhöhnt und beschimpft), aber genauso wird sich wohl die Meinung eines frenetischen Impfbefürworters rasant relativieren, wenn das eigene Kind oder ein anderer naher Verwandter einen lebenslangen Impfschaden davontragen sollte.
Die Vorstellung, dass mir deswegen nichts passieren wird, weil ich einer bestimmten Überzeugung anhänge, ist genauso irrational wie jede Impfverweigerung. Sie ähnelt der sympathetischen Magie des Mittelalters. Ich muss anerkennen — ob ich will oder nicht — dass Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen eine andere Risikoabschätzung vornehmen als ich selbst. Darüber kann ich mich in kollektivistischer "Die Partei hat immer recht"-Manier hinwegsetzen und die Ergebnisse ihrer individuellen Abwägung übergehen. Ein übermächtiger Staat sagt dann allen, wo es lang geht. Und die, die sich nicht fügen wollen, werden gefügig gemacht. Am einfachsten, in dem man ihnen die Lebensgrundlage entzieht. Womit wir wieder bei den Australiern wären. Bist du ein Querulant, trifft dich der Zorn des Staates und du wirst mit staatlichen Repressionen zurück ins Glied gezwungen. Funktioniert das bei Impfgegnern, funktioniert es auch bei anderen Abweichlern — bei Leuten, die keine elektronische Gesundheitskarte wollen, bei politischen Aktivisten und Dissidenten, bei Leuten, die der falschen Religion angehören oder die für die Segnungen der Political Correctness nicht zugänglich sind. Ziel ist ein Staat, in dem es keine Abweichler mehr gibt und alle die offiziell vorgegebenen und ach so vernünftigen Argumente nachbeten können — und sei es auch nur, um keine persönlichen Nachteile zu erleiden. Gesellschaftsformen dieser Art sind bereits bekannt, man nennt sie Diktatur.
In Diktaturen werden Leute, die stören, einfach fertiggemacht. Der Staat identifiziert Kritiker und knöpft sie sich vor. Die Roten Khmer unter Pol Pot fanden das auch gut. Sie identifizierten die Intellektuellen des Landes als größte Gefahr für das eigene eindimensionale Weltbild und liquidierten sie. Das Risiko unkontrollierbaren Widerstandes wurde so perfekt minimiert. Und größtmögliche Sicherheit (für das politische System) hergestellt. Es bedurfte der vietnamesischen Armee von außen, um diesen Alptraum zu beenden. Leider kann man gegen den Keim des Totalitarismus nicht impfen, das macht das Zusammenleben domestizierter Primaten etwas kompliziert. Mir scheint, als ob wir alle nicht so recht gegen diesen Keim immun sind. Es ist einfach zu verführerisch, unbequemen Meinungsträgern den Schädel einzuschlagen — oder wahlweise die soziale Existenz zu entziehen.
Die Risikominimierung betrifft jeden Teil unseres Lebens. Ich muss in jeder Minute Abwägungen durchführen und Entscheidungen treffen. Und dies betrifft beileibe nicht nur meine Gesundheitsvorsorge. Es gibt Leute, die vollständig durchgeimpft sind und als Alkoholiker oder Amokläufer enden. Es kann eine schwierige, u.U. lebensbedrohliche Entscheidung sein, wieviel Zucker ich jeden Tag konsumiere oder ob ich meine Kinder mit dem Bus, dem Fahrrad oder zu Fuß zur Schule schicke. Seit dem Beginn des immerwährenden Krieges gegen den Terrorismus wägen wir ständig zwischen Freiheit und Sicherheit ab. Die Freiheit verliert dabei kontinuierlich an Boden, zugunsten einer Sicherheit, die letztendlich nur eine Illusion ist. Das Universum ist ein gefährlicher Ort und wird es immer bleiben. Der Kampf gegen den Terrorismus bringt es mit sich, dass jeder, der nicht meiner Meinung sein will oder sich meinem Zugriff entzieht, verdächtig wird. Er bedroht mich in meiner gefühlten Sicherheit und stellt eine Gefahr dar. Da sich diese Denkweise langsam aber sicher zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens entwickelt, sind alle verdächtig. Es gibt keine Unschuldigen mehr. Es wird nicht mehr lange dauern, dann haben wir autonome, selbstentscheidende Waffensysteme, die gefährliche Leute aus dem Verkehr ziehen. Sie stellen sozusagen die maschinelle Analogie zur Antibiose von Krankheitserregern dar.
Besonders tückisch ist dabei, dass der totalitaristische Keim auch vor Leuten nicht haltmacht, die sich dem Kampf für die Freiheit verschrieben haben. Das Thema, wie man störrische Impfgegner am besten zur Räson bringt, ist dafür ein gutes Beispiel. Mir graust vor Aktivisten, die gegen die Vorratsdatenspeicherung auf die Barrikaden gehen oder für die es eine unerträgliche Zumutung darstellt, wenn der Staat ihre Daten auf einer elektronischen Gesundheitskarte speichern will, die aber staatlich sanktionierte Repressalien gegen Impfverweigerer für "eine gute Idee" halten. Offenbar sind sie sich nicht im Klaren darüber, dass sie die Büchse der Pandora in der Hand halten und liebend gern mal gucken möchten, was denn so Schönes in dem Kästchen ist. Dieser klare Blick fällt umso schwerer, wenn man sich selber auf der Seite der Guten und Vernünftigen wähnt. Solange ich selbst nicht im unerbittlichen Fokus des Staates stehe, ist die Welt in Ordnung. Heute sind es die Impfverweigerer, morgen die Homöopathie-Fans, übermorgen die Raucher, überübermorgen die Fetten, in Zukunft die Unerziehbaren, die keine Uniform tragen wollen oder die nicht jede Arbeit ausführen, die man ihnen vorgibt. Wenn du schön brav und angepasst bist und immer all das machst, was von dir erwartet wird, hast du vielleicht Glück und bist dann immer noch nicht dabei. Vielleicht hast du aber auch Pech. Wer weiß. Das Universum ist ein unwirtlicher Ort. Wenn du stolz darauf bist, die Masern-Erreger im Griff zu haben, verteilst du möglicherweise ohne es zu wissen multiresistente Staphylokokken aus deinem Nasenvorhof über die Hände an deine ganze Umgebung. Oder wirst morgen vor deiner Haustür von einem Lastwagen erwischt. Der Lastwagenfahrer ist mit hoher Wahrscheinlichkeit geimpft.
Gib dich keiner Illusionen hin, mein Lieber. Selbst wenn du alle Impfverweigerer fertigmachst. Irgendwann erwischt es dich, auf die eine oder andere Weise.