Augen zu und weiter so (Wahlkommentar Teil 1)
Nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin wird viel geschrieben, analysiert und kommentiert. Obwohl es illusorisch ist zu glauben, ich könnte mit einem Beitrag in einem kleinen privaten Blog etwas Relevantes zur dringend notwendigen Debatte in diesem Land beitragen, möchte ich mich trotzdem dazu äußern. Insbesondere weil mir auffällt, dass die Diskussion — vielleicht nicht zufällig — in die falsche Richtung geht. Oder besser gesagt, etwas Wichtiges außer acht lässt. Im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit steht nämlich das Wahldesaster der CDU, deren historische Niederlage, der Absturz unter 20 %, ja sogar unter 18 % (wir erinnern uns unwillkürlich an die FDP und deren 18 %-Kampagne). Daraus wird dann die Schicksalsfrage für die Kanzlerin abgeleitet oder deren Rücktritt vorausgesagt. Im weitesten Sinne lautet die Botschaft, die alten, verbiesterten, konservativen, männlichen Stammwähler der CDU sind mit der Flüchtlingspolitik von Merkel nicht einverstanden und laufen ihrer Partei davon — hin zur AfD.
Über die linken Parteien wird dagegen nicht annähernd so vernichtend geurteilt. SPD, Grüne und Linke deuten sich trotz ihrer offensichtlichen Verluste zu Wahlsiegern um, konstatieren einen Vertrauensbonus und wollen einen politischen Wille der Bevölkerung erkennen, der zur linken Seite des politischen Spektrums neigt. Die rhetorischen Exzesse der letzten Wochen lassen eigentlich sowieso nur noch diese linke Seite als demokratisch, weltoffen, zukunftstauglich und fortschrittlich gelten, alle anderen Meinungen, ja die Bevölkerungen ganzer Bundesländer, die nicht ins Schema L passen, werden mit der Nazikeule plattgeschlagen. Doch wenden wir einmal einen kleinen Kunstgriff an und definieren der Einfachheit halber ein linkes Lager, bestehend aus SPD, Linken, Grünen, Piraten und Die Partei und ein rechtes oder rechtskonservatives Lager, bestehend aus CDU, FDP, AfD, NPD, Alfa und pro Deutschland. In beiden Lagern bleiben sonstige kleinere Gruppierungen und Splitterparteien wegen vernachlässigbarer Stimmenanteile unberücksichtigt. Jetzt tragen wir die aufsummierten Zahlen der beiden Lager sowohl für Mecklenburg-Vorpommern als auch für Berlin zusammen ((jeweils Stimmanteile der Zweitstimmen, gerundet auf die erste Stelle hinterm Komma)):
Mecklenburg-Vorpommern | Wahlergebnis 2016 | Differenz zu 2011 |
Linkes Lager | 49,7 % | 64,8 % (- 15,1 %) |
Rechtes Lager | 46,1 % | 31,8 % (+ 14,3 %) |
Berlin | Wahlergebnis 2016 | Differenz zu 2011 |
Linkes Lager | 56,1 % | 67,4 % (- 11,3 %) |
Rechtes Lager | 40 % | 28,5 % (+ 11,5 %) |
Wie man leicht erkennen kann, ergibt sich ein völlig anderes Bild, nämlich eine erdrutschartige Wählerwanderung von links nach rechts! Und das urbane, multikulturelle, weltoffene Berlin ist davon fast in gleichem Ausmaß betroffen wie das ländliche Mecklenburg-Vorpommern. Es geht also gar nicht mal so sehr um die Probleme der CDU, die natürlich mit dem neuen Konkurrenten rechtsaußen zu kämpfen hat. Hier wird vielmehr deutlich, dass große Teile der Bevölkerung sich in der Politik typischer linker Parteien nicht mehr vertreten sehen, selbst dann nicht — oder erstrecht nicht — wenn es um soziale Belange geht. Je aggressiver die linke Agitation und Propaganda über den Ottonormalbürger herfällt und ihn versucht in eigene ideologische Denkmuster zu zwingen, umso stärker entzieht sich der Wähler und tritt die Flucht ins andere Extrem an.
Die Argumentation von Parteien und Politikern des linken Lagers, die nicht gewillt sind, den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören und sich mit deren Interessen, Bedürfnissen und Sorgen auseinanderzusetzen, läuft seit einiger Zeit darauf hinaus, dass man den unwilligen Wählern nur nicht ausreichend überzeugt hätte. Man müsse den eigenen — selbstverständlich einzig richtigen — Standpunkt nur besser erklären, dann würde schon wieder alles ins Lot kommen. Dahinter verbirgt sich jedoch lediglich ein borniertes Festhalten an Macht, Privilegien, Pöstchen und Geldern. Das, was die Leute davon halten oder denken, ist letztendlich vollkommen egal. Konsequenzen zu ziehen, auch persönlich als Rücktritt, kommt überhaupt nicht in Frage. Die Devise heißt Augen zu und weiter so.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Berliner demnächst eine rot-rot-grüne Regierung bekommen und damit das Gegenteil dessen, was ein stetig größer werdender Anteil von ihnen will. Diese Regierung wird den Druck auf eine eher moderat und bürgerlich-liberal eingestellte Mitte weiter erhöhen, sich links zu positionieren. Sie wird an der Realität, die vielen Menschen zu schaffen macht, vorbei regieren, die Probleme kleinreden, Kritik am Wir-schaffen-das-Paradigma diskreditieren und ignorieren und linke Lieblingskonzepte und ‑projekte wie Gendergaga, Frühsexualisierung von Kindern in Bildungseinrichtungen, Deutschlandhass, grüne Symbol- und Verbotspolitik oder die Einschränkung der Meinungsfreiheit aus ideologischen Gründen vorantreiben. Erreichen wird man damit das Gegenteil. Die Ausweichbewegung nach rechts wird weiter zunehmen, ehemals moderat und politisch mittig ausgerichtete Bürgerinnen und Bürger werden sich radikalisieren, die Fronten sich weiter verhärten, die Aggressivität der politischen Auseinandersetzung wird sich verstärken. Der gefährliche Rechtsruck in der Gesellschaft ist nicht eine Folge der Attraktivität der AfD, sondern logische Folge einer Politik, die völlig abgehoben und weitab vom Wählerwille nur noch die Verwirklichung der eigenen ideologischen Standpunkte als Ziel anstrebt. Wer die Zahlen sieht, könnte das erkennen und gegensteuern — wenn er denn will. Davon sind wir meiner Meinung nach jedoch weit entfernt.
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