Updates From Hell
Wie uns Software-Firmen die Zeit und den letzten Nerv rauben
Es soll mal eine Zeit gegeben haben, da waren Programmierer bemüht, möglichst fehlerfreie Software zu produzieren und mit der Qualität ihrer Arbeit seriöse Kundenbindung zu betreiben. Heutzutage scheint das etwas anders zu laufen, etwa so: Google-Abteilungsleiter fragt nach neuestem Update der GoogleEarth-App bei Programmierer nach. Der schließt den Browser-Tab mit YouPorn, pflegt das gerade geänderte Google-Logo in die App ein und meldet ein paar Minuten später mit der Version 7.1.6 Vollzug. Auf die brandheiße Version mit dem jetzt aktualisierten Logo habe ich schon lange gewartet. Da war ich regelrecht scharf drauf. Gern opfere ich meine Zeit, um den Bullshit zu downloaden und zu installieren. Alle meine digitalen Endgeräte nerven mich ohne Ende mit angeblich total wichtigen Updates, die allesamt völlig innovative und super abgefahrene Funktionen bringen. Ich blättere mal die 50 angezeigten Updates auf dem iPhone durch, aber der in den höchsten Tönen angepriesene Mist lockt keinen Hund hinterm Ofen hervor. Natürlich update ich trotzdem. Selbst wenn es mal gar nichts Neues zu verkünden gibt, für die Behebung von Bugs und die Installation des x‑ten Sicherheitsupdates sollte man schon Zeit haben. Dir ist doch Sicherheit wichtig, oder nicht??? Wenn tatsächlich eine Funktion, ein Feature, ein Service mal richtig gut war, spätestens das nächste Update sorgt dafür, dass alles wieder anders aussieht, an eine andere Stelle verschoben wurde oder ganz verschwunden ist. Gern passen wir uns als Nutzer an die digitale Dauerejakulation der Software-Firmen an, die ohne Unterlass und völlig selbstlos ihre Softwareprodukte für uns revolutionieren. Bestes Beispiel: Apple.
Die Firma mit dem angebissenen Apfel hat in den letzten Jahren Betriebssysteme am laufenden Band auf den Markt gebracht. Jedes dieser Betriebssysteme war selbstredend das beste aller Zeiten — zumindest wenn man geneigt ist, "aller Zeiten" als "kaum länger als ein Jahr" zu definieren. Im Oktober 2007 wurde Mac OS X 10.5 Leopard veröffentlicht, seitdem gab es bis zum heutigen Tag 50 weitere Versionen, wobei wir mittlerweile bei 10.12 Sierra angelangt sind. Jeder Versionssprung wurde wie eine geglückte Landung auf dem Mars angekündigt. Für jemanden, der einfach nur einen funktionierenden PC benötigt, um daran seine Arbeit zu erledigen oder nach Informationen zu suchen, hat sich kaum etwas geändert. Sicher, alles sieht immer etwas schicker aus, mit noch höheren Auflösungen und Features, die man irgendwie zwar interessant findet, aber dann doch im Alltag weder braucht noch je vermisst hat. Was alle neuen Betriebssysteme auszeichnet, ist ihr unfertiger Zustand, in dem sie ausgeliefert werden. Wer pflichtbegeistert und ungeduldig auf die neue Version wechselt, tappt jedesmal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die Scheiße. Macht nix, denn genau das ist ja der Stuff der Fachmagazine und E‑Zines, die nun wochenlang den endgenervten User mit Ratschlägen bombardieren können, wie er Bugs umschiffen, geliebte Features doch wieder herstellen, Programme und Apps konfigurieren oder verlorene Daten retten kann. Besonders interessant und beliebt sind immer die Anleitungen, wie man das neue Betriebssystem so wie das alte aussehen lassen kann.
Ich habe immer gern mit OS X 10.6 Snow Leopard gearbeitet und fand es für meine Zwecke stabil und ausreichend. Wegen mir hätte alles so bleiben können, aber der naheliegende Gedanke, dass ein Software-Gigant wie Apple eine arme digitale Seele wie mich in Ruhe lässt, ist so absurd wie ein IS-Fanatiker, der für Religionsfreiheit kämpft. Ohne Unterlass wird man durch eingeblendete Hinweise und Erinnerungen gedrängt, auf das jeweils neueste OS zu updaten. Auf dem iPhone lösche ich regelmässig die iOS10-Update-Datei im Umfang von schlappen 1,3 GB, die ohne mein Wissen und Zutun im Hintergrund heruntergeladen wurde und das obwohl ich in den Einstellungen die automatischen Updates ausgeschaltet habe. He Mann, ist uns doch egal, ob du das jetzt haben willst oder nicht, du kriegst es trotzdem. Freu dich doch mal! Beim Wechsel auf 10.11 El Capitan gab es vor allem eine auffallende Neuerung: auf Nicht-Retina-Displays sahen die Systemschriften verwaschen und unscharf aus, das Arbeiten an diesen Arbeitsplätzen verursachte den Kollegen Kopfschmerzen. Egal, Hauptsache erstmal raus mit dem Mist. Man kann ja in einer späteren Version die Schrift wieder ändern, was dann auch geschehen ist. Jeder weiß, dass es mit Sierra ein Haufen Probleme gibt, veröffentlicht ist es trotzdem. Die Bugs — beispielsweise bei eingescannten PDF-Dokumenten — können in einem Unternehmen reihenweise Arbeitsplätze lahmlegen und die Effizienz der Nutzung gegen Null fahren, aber wen interessieren schon solche Nebensächlichkeiten, du musst doch Sierra haben, installier' endlich den supergeilen neuen Mega-Shice!
Im Sekundentakt werden die sozialen Netzwerke mit nützlichen Hinweisen überschwemmt, die deine ganze Aufmerksamkeit erfordern:
Was können Sie tun, wenn ihr iPhone-Bildschirm plötzlich gelb ist? (Wie wäre es, wenn der Bildschirm erst gar nicht gelb wird???)
So lassen Sie Siri Wörter buchstabieren. (Wozu sollte das gut sein???)
In Safari 10 wurde jetzt der Lesezeichen-Manager überarbeitet. (Ist mir egal, ich surfe mit Firefox!)
So richten Sie Lesebestätigungen in der Nachrichten-App pro Kontakt ein. (What???)
In iOS 10 sind Screenshot-Funktionen jetzt eingeschränkt. (Bestimmt überlebensnotwendig zu wissen, warum.)
Siri ist begriffstutzig. (Na dann frag es doch nicht.)
Großes Dropbox-Update jetzt in iOS 10. (Achja, die Cloud, in die amerikanische Behörden und Dienste hineinschauen ...)
Und so weiter und so fort. Wie kann ich eine Seitenleiste, die links war, jetzt rechts haben? Wie kann ich Plugins suchen, installieren, deinstallieren, updaten oder zur Hölle wünschen? Warum ist eigentlich der Adobe Flash Player immer noch nicht sicher und benötigt das x‑trillionste Sofort-Update? Wozu sollen eigentlich Tabs im Finder gut sein? Wenn du sonst keine psychischen Probleme hast, benutz doch mal riesige Emojis in der Nachrichten-App! Oder die völlig überarbeitete Rote-Augen-Funktion! Oder das gesichtserkennende Personen-Album in der Fotos-App! Du weißt nicht, wozu der Chip im Lightning-Adapter da ist? Oder wie man Verbindungsprobleme zwischen Macs und Windows-Geräten behebt? Und du kannst immer noch nicht mit den neuen Quick-Actions bei Ordnern umgehen? Sag doch Siri, dass es dein WLAN an oder ausschalten oder ruinieren soll. Oder schieß dir gleich eine Kugel in den Kopf!
Mittlerweile bin ich nicht mehr auf Arbeit und zu Hause angelangt. Da ich dringend die Unterlagen für die nächste Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses downloaden muss, schalte ich meinen Windows-PC an. Auf dem hellblauen Bildschirm erscheint eine Meldung: 3 von 24 Updates installiert ... Bitte warten ... Prima, Wartezeit ist immer gut. Dann kann ich mich schon mal informieren, wie ich in iOS 10 die interaktiven Benachrichtigungen ohne 3D-Touch nutze (oder war es umgekehrt?) oder warum ein neues Patent den Home-Button endgültig überflüssig macht ... Spannend, nicht? Ähm, gab es eigentlich ein Leben vor der digitalen Revolution?