
Erfurt — Weimar — Jena
"Überheblichkeit ist der sicherste Weg zum Scheitern." (William Butler Yeats)
Im kleinen, aber sympathischen Bundesländchen Thüringen leben nur 2,1 Mio. Menschen. Rund ein Fünftel davon konzentriert sich auf die Städte Erfurt, Weimar und Jena, die (zusammen mit Eisenach und Gera) an der Bundesautobahn A4 aufgereiht die thüringische Städtekette bilden. In der Serie "Das neue Glück im Osten" befragte Die Zeit vor kurzem mehr oder weniger prominente Leute zu Erfurt. Die ersten beiden Fragen lauteten: Wer ist neidisch auf Erfurt? und "Worauf ist Erfurt neidisch?" Neid, gepaart mit Konkurrenzdenken und einer gehörigen Prise Arroganz und Größenwahn ist nicht nur das Problem von Erfurt, sondern auch von Weimar und Jena, denen das Provinzielle noch viel mehr als der Landeshauptstadt anhaftet. Eingebettet in den durch und durch ländlichen Raum eines eher unbedeutenden Bundeslandes ist das Potential, zu bedeutenden Metropolen zu mutieren, leider gering. Die Folge ist eine Art kommunaler Minderwertigkeitskomplex, der — psychoanalytisch gesehen — zu Ersatz- und Übersprungshandlungen führt, die nicht selten skurrile und amüsante Züge annehmen. Sehen wir uns doch mal einige davon an.
Schon kurz nach der Wende begann die Thüringische Landesregierung in Erfurt dafür zu sorgen, dass die über Jena verlaufende ICE-Strecke von Berlin nach München (in Kürze nun endgültig) über die Landeshauptstadt führt. Dass der Bahnhof Jena-Paradies erst vor 12 Jahren für schlappe 21 Millionen Euro zum ICE-Bahnhof umgebaut wurde, geschenkt. Jena ist zwar Stadt der Wissenschaft und Stadt für Fortgeschrittene und Universitätsstadt sowieso, aber hat nun eine Bahnanbindung wie ein sächsisches Provinznest. Wer am Jena-Saalbahnhof oder Jena-Westbahnhof aussteigt, kann sich ohnehin des Eindrucks nicht erwehren, versehentlich irgendwo in der Ukraine gestrandet zu sein — die Bahn rührt keinen Finger für ihre Bahnhöfe in der Lichtstadt. Es gibt noch nicht mal eine Toilette. Dafür reiben sich in Erfurt Immobilienmakler und Investoren die Hände, denn in der Nähe des Bahnhofs folgt nun das nächste millionenschwere Projekt, die ICE-City. Der Umzug der Strecke hat sich gelohnt — für Erfurt, versteht sich. Für das sogenannte Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8 berappt der deutsche Steuerzahler läppische 10 Mrd. Euro.
Da die Profi-Fußballmannschaft der Landeshauptstadt Rot-Weiß Erfurt in der 3. Liga spielt und mit ihrem bisherigen Steigerwaldstadion mit immerhin 17500 Zuschauern keineswegs mehr zufrieden war, wurde bekanntlich dessen Umbau in eine Multifunktionsarena beschlossen. Um 1000 Zuschauer mehr unterzubringen und das Stadion umfassend zu modernisieren, wurden mal eben 41 Mio. Euro verballert. ((Da die Kosten für die Sanierung der Westtribüne höher als geplant sind, könnte sich diese Summe noch auf über 50 Mio. erhöhen. Ursprünglich angesetzt waren 35 Mio. Der Zuschauerschnitt im Stadion beträgt übrigens rund 6000!)) Jeder weiß, dass der Verein wirtschaftlich um sein Überleben kämpft und die höhere Miete für die umgebaute Arena keineswegs zahlen kann und will. Aber das macht nichts. Nicht nur aus dem Sport kennt man die Devise: Gewinne privatisieren, Kosten der Allgemeinheit aufbrummen. Was die Weltstadt Erfurt hat, muss — nur 50 Kilometer davon entfernt — die Weltstadt Jena natürlich auch haben. Der FC Carl-Zeiss Jena, bei dem das Unternehmen Zeiss schon lange kein Sponsor mehr ist, hat in dieser Saison gerade erst den Aufstieg in die 3. Liga geschafft, ist ebenso notorisch pleite wie Erfurt und braucht eine ebenso große und überteuerte Arena wie der ungeliebte Erzrivale. Die bestehende, mit Fördergeldern gebaute Leichtathletik-Laufbahn im Stadion stört da nur und wird abgerissen. ((Die 7000 m2 Kunststofflaufbahn war erst 2010 eingeweiht worden. Damals konnte man in allen Zeitungen lesen, dass auch Usain Bolt keine andere Bahn zum Trainieren hat! Der Stolz floß wie triefendes Fett die Saale hinunter.)) Was kostet die Welt, man kann ja an anderer Stelle eine neue Anlage bauen. Im Wettbewerb um das teuerste Provinzstadion in Thüringen könnte Jena den Sieg davontragen, denn jetzt ist man schon bei kalkulierten Kosten von 52 Mio. Euro auf dem Papier — die Realität sieht bei solchen Bauprojekten wie man weiß dann anders aus. Der Bund der Steuerzahler hat daher schonmal angekündigt, dass Jenaer Ernst-Abbe-Sportfeld in sein Schwarzbuch der Steuerverschwendung aufzunehmen. Die Jenaer Fans sind mit dem bisschen Kleingeld, was die Allgemeinheit für ihr Stadion aus dem Fenster wirft, allerdings überhaupt nicht zufrieden, denn sie wollen weiterhin in ihrer geliebten Südkurve stehen, die dem Umbau zum Opfer fallen soll. Soviel Tradition muss sein. Der Erhalt der Südkurve schlägt beim Umbau allein mit 400000 Euro zu Buche, "eine Irrsinnssumme, mehr als das Doppelte dessen, was alle Sportvereine der Stadt pro Jahr als Zuschuss bekommen." ((siehe https://heidrunjaenchen.wordpress.com/2017/06/11/normal-ist-das-nicht/)) Als im Relegationsspiel der FCC gewinnt, zerlegen die Fans die Tore, reißen Sitze heraus und tragen Rasenstücken (als Souvenir?) nach Hause. Der Kram wird ja sowieso bald abgerissen, was soll's. Auch die Schäden bezahlen andere. Wie immer. Wie auch bei den Flutlichtmasten, die man mehr als ein Jahrzehnt lang verrotten ließ, nur um sie jetzt für 800000 Euro neu zu bauen, für den Verein vorfinanziert, wie es heißt. Nicht so prioritär dagegen das Jenaer Sozialticket oder die Schülerbeförderung — städtische Leistungen, die der Jenaer Stadtrat in den letzten Jahren immer wieder gekürzt hatte. Wahrscheinlich weil die betroffenen Kinder keine Fußball-Fans sind, oder so.
Was Erfurt und Jena nicht haben, hat Weimar. Schiller und Goethe und Gingko gibt es hier an jeder Ecke. Dazu noch das Nationaltheater, Schlösser, Parks und Museen — die Touristenschwärme ziehen begeistert durch die Stadt — und machen einen Bogen um Erfurt und Jena, was dort allzeit lautklagend bedauert wird. ((Mit einem gewissen Schuss von bösartigem Sarkasmus bemerkt die Welt in einem Artikel, dass der Goethe-Kult nach der Wende zu einer "Invasion pensionierter westdeutscher Germanisten" in Weimar geführt hat, was wiederum die Herzkliniken im Umland befördert haben soll.)) In der oben erwähnten Befragung der Zeit äußert eine Dame ihre Bewunderung für Erfurt mit dem denkwürdigen Satz: "Von der Existenz Erfurts habe ich im Grunde erst erfahren, als mein Mann hier einen neuen Job fand." Womit das Problem gut umrissen ist. Solche Wunden schmerzen tief und man muss selbstredend alles tun, um die Städtekonkurrenten auszubooten. In Jena führt das soweit, dass man in der Auswertung einer Innenstadtstudie jüngst auch noch einen winzigen Anteil an Kaufkraft beklagte, der nach Gera abwandert. Nach Gera! Das geht doch nicht! Man hat bestimmt auch schon überlegt, ob man die chronisch insolvente und nicht annähernd so erfolgreiche östliche Nachbarstadt nicht einfach mit Söldnern überfallen und endgültig vom Erdboden tilgen kann. Dann wäre die Schande aus der thüringischen Welt geschafft, dass Leute zum Einkaufen nach Gera fahren und ihr Geld nicht in Jena ausgeben! Was die neuen Stadien für Erfurt und Jena sind, ist für Weimar der Neubau des Bauhaus-Museums. Er gliedert sich in den Kosmos Weimar ein, der zum 100. Bauhaus-Jubiläum bereitstehen soll und für den Bund und Land mal eben 90 Mio. Euro die Ilm hinunter spülen. Klar, dass dieser Kosmos eines beschaulichen 64000-Einwohner-Städtchens nichts weniger als ein "Masterplan" und eine "Großbaustelle des Geistes" sein kann. Zur Eröffnung sind sicher auch Reisende aus dem Aldebaran-System und von der Wega eingeladen. Das neue Museum, von den Bürgern schonmal liebevoll "Reichsluftschutzbunker" getauft, verschlingt allein 22 Mio. Euro an Steuermitteln. ((In einer satirischen Aktion schlugen die Piraten Weimar vor, stattdessen eine Tankstelle im Bauhaus-Stil zu errichten, die wenigstens eine Chance auf Wirtschaftlichkeit bieten würde.))
Im Wettbewerb um die hässlichsten modernen Gebäude kann Jena das kulturell so schrecklich erfolgreiche Weimar nicht einfach vorbeiziehen lassen. Daher ist man neuerdings auf den Gedanken verfallen, dem im Saaletal eingekesselten "lieben, närrischen Nest" (natürlich hat auch Jena seinen Goethe!) würde doch eine Art Skyline mit "Hochpunkten" gut tun. Damit könnte man zum einen den endgültigen städtebaulichen Schwanzvergleich antreten, die Größten (zumindest in Thüringen) zu haben, zum anderen das München des Ostens weiter aufwerten, zumindest was die Profite von Spekulanten und Immobilienhaien angeht. Je höher die Mieten, je geringer die Zahl der Sozialwohnungen, umso stolzer die Stadtoberen. Seht nur, unsere Boomtown! Um den eigenen Anspruch deutlich zu machen, initiierte die Stadt 2016 eine städtebauliche Vortragsreihe, in der Zürich, Tokyo und Kopenhagen "Inspirationen für Jena" abgerungen wurden. ((Zum Vergleich: Tokyo hat eine 16x so hohe Einwohnerdichte wie Jena und nimmt mehr als die fünffache Fläche ein.)) Als die zukünftigen Hochhäuser nicht nur auf dem brachen Eich- und Inselplatz, sondern auch in einem kleinteiligen Wohngebiet in Jena-Zwätzen geplant wurden, gingen die Einwohner auf die Barrikaden und zwangen den Stadtrat, den eigenen Baubeschluss binnen eines Monats wieder aufzuheben. An der vordersten Front im Krieg um die fantasiereichste Selbstüberschätzung kämpfte wie immer Stadtarchitekt Dr.-Ing. habil. Matthias Lerm, der das neue Hochhaus in Jena-Nord (im reizvoll-romantischen Zusammenspiel mit dem Schornstein der Stadtbäckerei) als Begrüßungspunkt für von Norden kommende Besucher der Stadt anpries und nach Hörensagen irgendetwas von "Kinder-Aufzucht" in "Lebensabschnittsimmobilien" (= Einfamilienhäuser, in denen protestierende und daher störende Bürger leben) faselte, was den Oberbürgermeister nach einem öffentlichen Aufschrei zwang, ein Disziplinarverfahren gegen seinen eigenen Mitarbeiter in Gang zu setzen.
So könnte man eine lustige Anekdote an die andere reihen und diesen Blogbeitrag zu einem endlosen Skurrilum des thüringischen Stadt-Adels aufblähen. Denn wir haben ja noch gar nicht über die Thüringische Gebietsreform gesprochen, in der alles außerhalb von Erfurt, Weimar und Jena (die kreisfrei bleiben) ohne Rücksicht auf Verluste zu Großkreisen zusammengeklumpt wird. Naja, mit dem Land kann ja sowieso niemand was anfangen. Waren Sie schonmal in Suhl, Neustadt oder Altenburg? Sehen Sie, das meine ich. Wenn erst die gesamte Kaufkraft der Thüringer Bevölkerung in den Oberzentren zusammengeflossen ist, um dort die Zentralitätskennziffer zu stärken, wird in der Fläche sowieso niemand mehr leben. Ich sehe schon, Sie haben noch Lust auf einen Abschluss-Joke. Der kommt in Gestalt des bundesweiten Wettbewerbs "Digitale Stadt" daher, in dem sich die Stadt Jena schon als Gewinner sah, es aber dann nicht mal unter die letzten Fünf schaffte. Während der Sieger Darmstadt z. B. mit einem in Echtzeit gesteuerten Stadtverkehr glänzt (dessen Daten automatisch in eine OpenData-Plattform eingespeist werden), konnte man sich in Jena nicht mal auf eine App für ein Parkleitsystem einigen. Beim Stichwort Digitale Verwaltung, wo in der Ausschreibung des Wettbewerbs schonmal vorausschauend auf ein erwartetes Transparenzportal verwiesen wurde, glänzt die Lichtstadt auch: Als der Jenaer Stadtrat beschloss, alle im Auftrag der Stadt angefertigten (und mit öffentlichen Geldern bezahlten!) Gutachten und Studien umgehend im Internet zu veröffentlichen, erließ der Oberbürgermeister eine Dienstanweisung, die diesen Beschluss torpedierte und dafür sorgte, dass alles beim Alten, sprich hinter den Kulissen blieb. Immer ganz vorn mit dabei, besonders bei den Negativbeispielen. Und trotzdem stolz wie Bolle. Thüringen eben.
Titelbild: F. Cebulla
Bild im Text: Hochpunkt am Inselplatz (Quelle: Jena — Standortstudie zu vertikalen Bautypologien in der Innenstadt)