Blassgrün ist gefragt
Wenn kommende Woche im Stadtrat über die drei Beigeordneten-Posten — allgemein auch als Dezernenten bekannt — abgestimmt wird, dann passiert aller Voraussicht nach genau das, was in Jena schon seit Monaten als Gerücht die Runde macht.
2006 war nämlich die letzte Dezernentenwahl mit einem Eklat zu Ende und — was das Dezernat für Stadtentwicklung anbelangt — die regierende Koalition aus SPD, CDU und Grünen leer ausgegangen. Das Verwaltungsgericht Gera hatte den strittig knappen Ausgang der Wahl zugunsten des grünen Kandidaten Marco Schrul kassiert und nachfolgend die parteilose Architektin Katrin Schwarz das Rennen gemacht. Richtige Vollblutpolitiker vergessen soetwas nicht. Oder im Politiker-Jargon: Es entsteht eine Situation, die "geheilt" werden muss. Seit geraumer Zeit ist daher klar, dass neben dem amtierenden Finanzdezernenten Frank Jauch (SPD) und dem Dezernenten für Familie und Soziales Frank Schenker (CDU) noch ein grüner Dezernent in sein Amt befördert, gehoben oder gekungelt werden muss. Der naive Bürger glaubt an dieser Stelle, dass es gerade in den Fachbereichen der Stadtverwaltung auf Kompetenz, Erfahrung und Wissen ankommt, aber weit gefehlt. Die Farbe des Parteibuchs fegt all diese Nebensächlichkeiten vom Tisch.
Gesucht wird also ein Kandidat, der bereit ist, den Willen der Koalitionäre in die Realität umzusetzen und dabei keine auffälligen Sperrigkeiten zeigt. Für diese Wunschkombination aus blassem Profil und politischem Opportunismus bietet sich schon seit längerem Denis Peisker von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen an. Damit scheint sich zu bestätigen, was in Jena sowieso die Spatzen von den Dächern pfeifen. Nämlich dass die Grünen im Stadtrat schon seit Monaten deswegen so schweigsam und antriebslos daherkommen, weil sie auf "ihren" Dezernentenposten spekulieren. Blamabler Höhepunkt dieses Polittheaters bildete unlängst der Grünen-Abgeordnete Kristian Philler, der in der Debatte um die Bürgerbeteiligung bei der Eichplatzbebauung mit einem von seiner Länge her vernachlässigbaren, fast schon absurd inhaltslosen Diskussionbeitrag glänzte. Selbst bei urgrünen Themen wie der bevorstehenden Abholzung aller Platanen auf dem Eichplatz, den geplanten Baumfällungen im Paradies zur Schaffung von "Sichtachsen", der für jeden offensichtlich nicht fachgerechten Baumpflege in Jena oder der Privatisierung des Stadtwalds war und ist von der grünen Fraktion im Stadtrat nichts zu hören. Erst jetzt erscheint es so richtig verständlich, warum Herr Peisker im jüngst stattgefundenen OB-Wahlkampf wenig Biß gegenüber seinem Kontrahenten Albrecht Schröter zeigte. Aus dieser Wahl ging Herr Peisker übrigens als klarer Verlierer hervor; nur 4,5 % der Wähler konnten sich durchringen, ihm ihr Votum zu geben. Auch das ist nicht gerade eine Empfehlung, wenn man bei den desöfteren heftig umstrittenen Stadtentwicklungsthemen um die Akzeptanz der Bürger werben muss.
Wie schon häufig zuvor bleibt also in der Jenaer Kommunalpolitik ein Beigeschmack zurück. Zudem ein Beigeschmack, der eine demokratische Wahl, bei der es insgesamt immerhin fast 30 Bewerber gibt, zu einer bedauerlichen Farce werden läßt. Kungelei und Postenschacher — den Bürgern ist das Ganze hinlänglich bekannt und hängt allen genauso hinlänglich zum Halse heraus. Es macht erneut deutlich, dass es sich bei der angeblichen Politikverdrossenheit der Bürger in Wirklichkeit um eine Politikerverdrossenheit handelt. Schuld daran sind Leute wie der CDU-Fraktionsvorsitzende Benjamin Koppe, der in einem Tageszeitungsartikel frei heraus bekennt: "Ich schätze die Arbeit von Frau Schwarz sehr." Nur um im gleichen Atemzug hinzuzufügen, man werde "natürlich den Koalitionspartner entsprechend unterstützen" und der Dezernenten-Stuhl sei "ein politisch zu besetzender Posten". Danke Herr Koppe, wir hätten es vermutlich auch ohne ihr Statement mitbekommen. Und werden es fein säuberlich in unserem Hinterkopf abspeichern.
Es soll tatsächlich Visionen von Kommunalparlamenten geben, in denen das parteipolitische Kalkül der Vergangenheit angehört und gewählte Volksvertreter über Parteigrenzen hinweg gemeinsam und sachorientiert im Interesse der Bürger ihrer Kommune abstimmen und handeln.
Der Jenaer Stadtrat ist von dieser Vision so weit entfernt wie der Andromeda Nebel von der Erde.