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Der unversehrte Mann

Der unversehrte Mann

28. Juni 2012 Comments 2 comments
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Ein Bei­trag zum Urteil des Köl­ner Land­ge­richts zur Straf­bar­keit von Beschnei­dun­gen nicht ein­wil­li­gungs­fä­hi­ger Jun­gen aus rein reli­giö­sen Gründen

Es ver­ur­sacht eini­gen Wir­bel, die­ses Urteil ((www.lg-koeln.nrw.de/Presse/Pressemitteilungen/26_06_2012_-_Beschneidung.pdf)) — soviel kann man schon­mal sagen. Von den einen als "weg­wei­send" bezeich­net, von den ande­ren als "uner­hört" abge­wie­sen; da haben wir doch wie­der mal eine ech­te Spal­tung in der Gesell­schaft und der Gegen­stand die­ser Spal­tung — wie könn­te es anders sein — ist ein reli­giö­ser. Genau­er gesagt, das welt­weit häu­fig und auch hier­zu­lan­de nicht sel­ten prak­ti­zier­te Ritu­al der "Beschnei­dung" männ­li­cher Kin­der, bei der die Vor­haut am Penis mit­tels Zir­kum­zi­si­on ent­fernt wird. 

Das ver­meint­li­che Recht der Reli­gi­on, über den Kör­per des Men­schen zu ver­fü­gen, phi­lo­so­phisch, men­tal, sozi­al oder ganz real, ist ein altes. Der Kör­per gehört zum Dies­seits, er ist der Alte­rung und dem Tode unter­wor­fen. Die meta­phy­si­sche Essenz, auf die sich so gut wie alle Reli­gio­nen beru­fen, zielt jedoch auf eine wie auch immer gear­te­te Unsterb­lich­keit. Damit haben wir von vorn­her­ein ein oben und unten, ein gut und schlecht, ein rein und schmut­zig, ein hei­lig und ver­dor­ben — hoch lebe die Dicho­to­mie im Den­ken des Men­schen. Kon­se­quen­ter­wei­se sind dadurch Schä­den, die der Natur zuge­fügt wer­den, erst­recht Schmer­zen und Leid, die der Kör­per des Men­schen erfährt, nichts gegen die himm­li­schen Ver­hei­ßun­gen all der reli­giö­sen Gär­ten Eden, die uns ver­spro­chen wer­den — wenn, ja wenn wir frag­los das uns Vor­ge­setz­te glau­ben und uns gehor­sam dem Dik­tat der jewei­li­gen allein­se­lig­ma­chen­den Wahr­heit unter­wer­fen. Dass es von die­ser allein­se­lig­ma­chen­den Wahr­heit gleich meh­re­re gibt, soll uns dabei nicht betrü­ben oder gar in Zwei­fel stür­zen. Schmerz und Leid sind im Grun­de sogar gut. Sie erin­nern uns an die Ver­gäng­lich­keit des Irdi­schen und las­sen uns den jen­sei­ti­gen Lohn erseh­nen, der uns aus dem hie­si­gen Jam­mer­tal befreit. Die hei­li­gen Schrif­ten des Chris­ten- und Juden­tums sind voll von Men­schen, die um ihres Glau­bens wil­len lei­den, ja ster­ben und dafür Selig­keit erlan­gen. In jeder christ­li­chen Kir­che hängt die bild­ge­wor­de­ne Meta­pher die­ses erstre­bens­wer­ten Lei­dens über dem Altar und wird von vie­len Mil­lio­nen Gläu­bi­gen ange­be­tet. Aus die­sem Den­ken her­aus ent­sprin­gen Aske­ten, Mär­ty­rer, hei­li­ge Krie­ger und Selbst­mord­at­ten­tä­ter. Was bedeu­ten dage­gen die Trä­nen in den Augen eines klei­nen Jun­gen, dem man gera­de einen beson­ders emp­find­li­chen Teil sei­nes Kör­pers entfernt?

Ein nicht zu unter­schät­zen­der, aber still­schwei­gend akzep­tier­ter Aspekt ist zudem die Unter­drü­ckung der Sexua­li­tät durch mono­the­is­ti­sche Reli­gio­nen. Die archai­schen Zei­ten, in denen Sexua­li­tät wie selbst­ver­ständ­lich als hei­lig galt und reli­giö­se Ver­eh­rung genoss, sind lan­ge vor­bei. Die Tat­sa­che, dass auf fast jedem anti­ken Markt­platz ein Her­mes oder Pria­pos mit eri­gier­tem Glied stand und in den Tem­peln Göt­tin­nen der Lie­be und Lust ver­ehrt wur­den, erscheint dem heu­ti­gen — ach so auf­ge­klär­ten — Men­schen wie ein Mär­chen oder schlicht als "unzi­vi­li­siert". Auch das haben wir einer bestimm­ten Art von Reli­gi­on zu ver­dan­ken, dass wir die Unter­drü­ckung unse­rer urei­ge­nen, natür­li­chen Instink­te und Begier­den für eine Errun­gen­schaft hal­ten und mit zivi­li­sa­to­ri­schem Fort­schritt ver­wech­seln. Das Gegen­teil ist der Fall, weil Unfrei­heit nie­mals ein Fort­schritt sein kann. Die Kraft des Sexus, die Unge­bun­den­heit, Unbe­dingt­heit und natür­li­che Frech­heit des Trie­bes steht der reli­giö­sen Zäh­mung dia­me­tral gegen­über und ist eine Gefahr für den Macht­an­spruch der Reli­gi­on. Men­schen, die lei­den­schaft­lich lie­ben, den­ken nicht an Gott, sie sind sel­ber Göt­ter. Der Zugriff der Reli­gi­on auf den Kör­per war daher schon immer auch ein Zugriff auf die Geschlecht­lich­keit des Men­schen, auf sei­ne Geschlechts­or­ga­ne im rea­len Sin­ne. Es ist noch nicht lan­ge her, da gal­ten Frau­en mit star­ker Libi­do wahl­wei­se als Hexe, hys­te­risch oder als Hure. Man konn­te sie auf Schei­ter­hau­fen ver­bren­nen, um ihre See­le zu ret­ten, von Psych­ia­tern behan­deln und mit Seda­ti­va voll­stop­fen las­sen oder pro­fi­ta­bel aus­beu­ten. Man konn­te bereits im Kin­des­al­ter dafür sor­gen, dass ihre Lust­or­ga­ne irrepa­ra­bel geschä­digt wur­den — eben­so wahl­wei­se aus reli­giö­sen, sozia­len, tra­di­tio­nel­len oder "ehe­hy­gie­ni­schen" Grün­den. Auch die selbst­ver­ständ­lich wis­sen­schaft­li­che und damit außer­halb jeg­li­cher Kri­tik ste­hen­de Medi­zin stand dabei immer in vor­ders­ter Front. ((Dar­an hat sich bis heu­te nichts geän­dert, etwa wenn in den USA Kin­der und Jugend­li­che unter dem Vor­wand einer The­ra­pie wegen Mas­tur­ba­ti­on und Dok­tor­spie­len regel­recht gefol­tert wer­den. Sie­he www.heise.de/tp/artikel/5/5865/1.html))

Es ist ein unglaub­li­cher Ver­dienst, dass in den letz­ten Jahr­zehn­ten femi­nis­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen und Akti­ons­grup­pen auf das unsäg­li­che Leid von Mil­lio­nen Mäd­chen und Frau­en auf­merk­sam gemacht haben, deren Geschlechts­or­ga­ne absicht­lich beschä­digt wur­den und wer­den, mit allen unsäg­li­chen kör­per­li­chen und psy­chi­schen Fol­gen, die mitt­ler­wei­le aus­führ­lich unter­sucht und doku­men­tiert wur­den. Sie waren die ers­ten, die "Beschnei­dung" als das bezeich­ne­ten, was sie wirk­lich ist: Geni­tal­ver­stüm­me­lung. Es ist jedoch genau­so eine unglaub­li­che Schwä­che all die­ser Initia­ti­ven, die Augen davor ver­schlos­sen zu haben, dass unter die­sem Wahn auch die Jun­gen und Män­ner nicht wenig zu lei­den haben. All die schö­nen Recht­fer­ti­gun­gen und hoch­ge­sto­che­nen theo­lo­gi­schen Begrün­dun­gen kön­nen nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass die­se häß­li­chen Tra­di­tio­nen sich doch nur die Sexua­li­tät als Feind einer jen­sei­tig aus­ge­rich­te­ten Meta­phy­sik unter­tan zu machen ver­su­chen. Nur sel­ten wur­de das so deut­lich aus­ge­spro­chen wie bei Moses Mai­mo­n­i­des, der die Beschnei­dung auf­grund ihrer trieb­dämp­fen­den Wir­kung befür­wor­te­te und der Mei­nung war, man müs­se die Geschlechts­or­ga­ne so ver­let­zen und schwä­chen, dass sie zwar noch funk­tio­nie­ren (die reli­giö­se Gemein­schaft braucht ja neue Schäf­chen), aber "über­schüs­si­ge" Lust nicht mehr mög­lich ist (kein auf­säs­si­ger Sexus, der vom Glau­ben ablenkt). ((http://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision#Judentum))  ((Man fin­det die­se Auf­fas­sung im übri­gen fast unver­än­dert auch heu­te noch, bei­spiels­wei­se wenn ein die Beschnei­dung ver­tei­di­gen­der Leser in sei­nem Kom­men­tar unter einem Arti­kel in der FAZ schreibt: "Ich glau­be, dass kein Arzt der Welt einen beschnit­te­nen Penis als kaputt oder nicht funk­tio­nie­rend bezeich­nen wür­de." Gemeint ist dabei im Grun­de nur die Funk­ti­ons­fä­hig­keit eines Organs im Sin­ne der Fort­pflan­zung. Das bei der männ­li­chen Beschnei­dung zwei wesent­li­che und hoch­sen­si­ble ero­ge­ne Zonen ent­fernt wer­den, ist in den Augen die­ses Lesers offen­bar kein Verlust!))

Man muss dies alles ver­stan­den haben, um den Auf­schrei rich­tig ein­ord­nen zu kön­nen, den die ver­schie­de­nen Pries­ter­kas­ten und deren Hand­lan­ger jetzt in die Öffent­lich­keit tra­gen. Man muss dies alles ver­stan­den haben, um den Mut zu wür­di­gen, den die Köl­ner Rich­ter auf­brach­ten, als sie das grund­ge­setz­lich geschütz­te Recht auf kör­per­li­che Unver­sehrt­heit des Men­schen über jeg­li­chen reli­gi­ös moti­vier­ten Zugriff auf die Kör­per von Kin­dern und deren Geschlecht­lich­keit stell­ten. Man kann gar nicht genug beto­nen, wie begrü­ßens­wert dies ist. Eine säku­la­re Gesell­schaft muss das Recht der frei­en Reli­gi­ons­aus­übung ach­ten und ver­tei­di­gen, aber sie darf nie­mals das Selbst­be­stim­mungs­recht von Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten dem Selbst­be­stim­mungs­recht des ein­zel­nen Indi­vi­du­ums vor­zie­hen. "Es wäre ein selt­sa­mes Ver­ständ­nis von Reli­gi­ons­frei­heit, wenn sie ohne wei­te­res kör­per­li­che Ver­let­zun­gen erlau­ben wür­de und damit sonst in unse­rer Gesell­schaft gel­ten­de Straf­tat­be­stän­de aus­he­beln könn­te." stellt Dr. jur. Holm Putz­ke voll­kom­men zu Recht klar. ((www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2012/06/455709/nach-urteil-%E2%80%9Eaerzte-sollten-religioese-beschneidung-ablehnen%E2%80%9C/)) Wenn jetzt der Prä­si­dent des Zen­tral­rats der Juden Die­ter Grau­mann pol­tert, das Urteil sei ein „uner­hör­ter und unsen­si­bler Akt“, dann tut mir die­ser Mann leid. Denn in einer Gesell­schaft, in der — hart erkämpft — Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit eines jeden Men­schen wesent­li­che — d.h. dem Wesen des Men­schen ent­spre­chen­de — Grund­rech­te dar­stel­len, ist jeder Akt, der die­se Grund­rech­te angreift, selbst uner­hört und unsen­si­bel. Jedes mit­füh­len­de Geschöpf ver­steht das ohne wei­te­re Erklärungen.

Doch ist mir noch etwas ande­res wich­tig. Ganz im Gegen­satz zur weib­li­chen Geni­tal­ver­stüm­me­lung hat die Aner­ken­nung der Ver­letz­lich­keit der männ­li­chen sexu­el­len Iden­ti­tät mit nicht weni­gen Schwie­rig­kei­ten zu kämp­fen. Ich habe das selbst immer wie­der im Freun­des- und Bekann­ten­kreis erlebt. Frau­en, erst­recht wenn sie sich selbst als femi­nis­tisch den­kend ein­ord­nen oder poli­tisch enga­giert sind, gera­ten in Trau­er oder Zorn, wenn man das The­ma Geni­tal­ver­stüm­me­lung bei Mäd­chen anspricht. Das adäqua­te The­ma das männ­li­che Geschlecht betref­fend, wird jedoch meis­tens fast auto­ma­tisch rela­ti­viert und her­un­ter­ge­spielt. Man hört dann Sät­ze wie "aber bei euch Män­nern ist das doch nicht so schlimm", "das tut doch nicht so weh wie den Frau­en", "das ist doch nur ein Stück­chen Haut" oder es "ist hygie­ni­scher", "sieht doch ero­ti­scher aus", "ist nicht zu ver­glei­chen" usw. Unbe­wußt unter­stützt wird die­se recht eigen­ar­ti­ge Argu­men­ta­ti­on von jenen Män­nern, die — meist aus medi­zi­ni­schen Grün­den — selbst in ihrer Kind­heit beschnit­ten wur­den und die das The­ma jetzt ver­harm­lo­sen und unter der Annah­me einer ver­meint­li­chen Kon­se­quenz­lo­sig­keit abtun, mög­li­cher­wei­se um nicht als "unvoll­kom­me­ner" oder "ver­sehr­ter" Mann zu gel­ten. ((Da ich selbst ein Mann bin, ver­ste­he ich die­ses Gefühl und die dar­aus resul­tie­ren­de Ver­harm­lo­sung sehr gut. Dar­aus eine Ver­all­ge­mei­ne­rung für alle Män­ner und eine Ent­schul­di­gung einer über­flüs­si­gen reli­giö­sen Beschnei­dungs­pra­xis her­lei­ten zu wol­len, scheint mir jedoch über das Ziel weit hinauszuschießen. ))

Gewalt gegen Män­ner scheint gesamt­ge­sell­schaft­lich akzep­tier­ter zu sein als Gewalt gegen Frau­en als dem tra­di­tio­nell "schwa­chen Geschlecht". Die­se Wer­tung ist gleich zwei­fach sexis­tisch. Sie macht Frau­en zu unvoll­kom­me­nen, schwa­chen und hilfs­be­dürf­ti­gen Men­schen (die den Mann als Beschüt­zer, Ernäh­rer und Herrn brau­chen). Sie macht aber eben­so Män­ner zu will­kür­lich ver­füg­ba­rem, Macht­struk­tu­ren unter­wor­fe­nem Men­schen­ma­te­ri­al, bei dem Kol­la­te­ral­schä­den gering ein­zu­schät­zen sind. So kann es pas­sie­ren, dass das Ohr­fei­gen einer Frau öffent­lich zu einem Skan­dal aus­ar­tet, wäh­rend die Rück­kehr eines Sol­da­ten mit ampu­tier­ten Bei­nen aus einem Krieg kei­nen Hund hin­ter dem Ofen vor­lockt. Eine wei­te­re Gen­der­dis­kus­si­on an die­ser Stel­le ver­knei­fe ich mir, weil sie weg vom The­ma auf gefähr­li­ches Ter­ri­to­ri­um führt. 😉

In einer säku­la­ren Gesell­schaft ist die Furcht vor Gott oder Got­tes Gebo­ten kein beson­ders zün­den­des Argu­ment mehr. Immer mehr Men­schen blei­ben Kir­chen und reli­giö­sen Insti­tu­tio­nen fern, selbst dann, wenn sie kei­ne Athe­is­ten sind. Daher muss man kein Pro­phet sein um vor­her­zu­sa­gen, dass wir in Fol­ge des Köl­ner Urteils eine gan­ze Rei­he von Ersatz­ar­gu­men­ten hören wer­den, mit denen man die ver­meint­li­chen Vor­tei­le einer Beschnei­dung bei männ­li­chen Kin­dern prei­sen wird. Je weni­ger die reli­gi­ös geschür­te Angst greift, umso mehr wer­den ande­re Ängs­te her­hal­ten müs­sen, um etwas zu ver­tei­di­gen, das aus ethi­schen Grün­den nicht zu ver­tei­di­gen ist. Pri­ma eig­nen sich dafür Viren, Bak­te­ri­en und Krank­hei­ten über­haupt, die Fein­de des auf Jugend­lich­keit und Per­sil­rein­heit getrimm­ten moder­nen Men­schen. In einem sel­ten däm­li­chen Arti­kel auf Tele­po­lis behaup­tet z.B. die Autorin Ruth Ber­ger: "Die Gesund­heits­bi­lanz gilt als posi­tiv, so dass man dar­über dis­ku­tie­ren kann, als medi­zi­ni­sche Rou­ti­ne­maß­nah­me jeden Jun­gen bald nach der Geburt beschnei­den zu las­sen, wie es in eini­gen Län­dern ja auch Pra­xis ist oder war." ((www.heise.de/tp/artikel/37/37170/1.html)) Das "aus medi­zi­ni­schen Grün­den" oder "aus hygie­ni­schen Grün­den" wer­den wir in Zukunft noch desöf­te­ren hören. Mit der glei­chen kru­den Logik könn­te man jedes Organ, das im Lau­fe des mensch­li­chen Lebens Gefahr läuft zu erkran­ken, "bald nach der Geburt" ent­fer­nen oder medi­zi­nisch mani­pu­lie­ren. Ich glau­be, vom mensch­li­chen Kör­per wür­de da nicht viel übrig blei­ben. Wie ein Damo­kles­schwert wird nun das Penis­krebs­ri­si­ko bei unbe­schnit­te­nen Män­nern beschwo­ren und dabei geflis­sent­lich ver­schwie­gen, dass das Plat­ten­epi­thel­kar­zi­nom am Penis eine extrem sel­te­ne Erkran­kung dar­stellt (("In Mit­tel­eu­ro­pa und in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten lag die Inzi­denz vor etwa einem Jahr­zehnt bei 0,9 pro 100.000 Män­ner." — http://de.wikipedia.org/wiki/Peniskarzinom)), die zudem fast aus­schließ­lich Män­ner über 60 Jah­ren betrifft. Eine schlüs­si­ge Begrün­dung, war­um man des­we­gen die Hälf­te der Bevöl­ke­rung an den Geschlechts­or­ga­nen ver­stüm­meln soll­te, blei­ben diver­se Autoren dann auch regel­mä­ßig schuldig.

Die außer­dem im sel­ben Satz mit­schwin­gen­de Behaup­tung, die in eini­gen Län­dern prak­ti­zier­te Beschnei­dung eines gro­ßen Anteils der männ­li­chen Bevöl­ke­rung wür­de aus medi­zi­ni­scher Vor­sor­ge pas­sie­ren, kann fal­scher nicht sein. Wenn man von den Län­dern mit domi­nie­ren­der isla­mi­scher oder jüdi­scher Reli­gi­on absieht, blei­ben eigent­lich nur die USA, wo zeit­wei­se bis zu 90 % aller männ­li­chen Neu­ge­bo­re­nen beschnit­ten wur­den. Wenn wir uns erneut ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass die Beschnei­dung in Wirk­lich­keit Aus­druck einer reli­gi­ös moti­vier­ten, sexu­al­re­pres­si­ven Ein­stel­lung ist, dann zer­brö­selt auch für die Ver­ei­nig­ten Staa­ten die "posi­ti­ve Gesund­heits­bi­lanz" zu Nichts. Es gibt kei­nen ande­ren moder­nen Staat west­li­cher Prä­gung, der so pro­tes­tan­tisch domi­niert, puri­ta­nisch und sexu­al­feind­lich daher­kommt wie die USA. In nicht weni­gen Bun­des­staa­ten der USA ist noch heu­te Oral- oder Anal­ver­kehr gesetz­lich ver­bo­ten oder sogar Frau­en das Tra­gen von roten Lack­schu­hen. Die­se ana­chro­nis­ti­sche und absur­de Sexu­al­po­li­tik als leuch­ten­des Bei­spiel für ein euro­päi­sches Land wie Deutsch­land zu pro­pa­gie­ren, grenzt an Idio­tie. Aber selbst in Nord­ame­ri­ka hat in den letz­ten Jah­ren eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Dis­kus­si­on ein­ge­setzt, die die Beschnei­dungs­ra­te nach aktu­el­len Zah­len auf unter 50 % gedrückt hat. Eine gan­ze Zahl von ver­nünf­ti­gen Argu­men­ten läßt sich halt schlecht mit Mum­pitz aus der Welt schaffen.

Ich bin mir sicher, dass es nur eine Fra­ge der Zeit ist, bis zu die­sem Mum­pitz auch noch Xeno­pho­bie- und Anti­se­mi­tis­mus­vor­wür­fe hin­zu­kom­men, um die Abkehr von einer juris­ti­schen Ent­schei­dung zu erzwin­gen, die bes­ser nicht sein könn­te. Schon jetzt sin­gen die Medi­en das Lied der­je­ni­gen, die sie bezah­len und haben sich schon mal auf eine "fast ein­hel­li­ge Kri­tik am Köl­ner Beschnei­dungs­ur­teil" geei­nigt. ((www.welt.de/regionales/koeln/article107280710/Fast-einhellige-Kritik-am-Koelner-Beschneidungsurteil.html)) Ganz im Gegen­satz zu die­ser schein­hei­li­gen Empö­rung braucht man nur die Leser­kom­men­ta­re unter den vie­len Arti­keln zu lesen, um zu begrei­fen, wie sehr Män­ner die­ses Urteil begrü­ßen und "fast ein­hel­lig" feiern.

Und nicht zuletzt habe ich noch kei­nen ein­zi­gen Text gele­sen, in dem ganz selbst­ver­ständ­lich gefor­dert wür­de, die Kin­der selbst zu fra­gen, ob sie denn einen sol­chen Ein­griff über sich erge­hen las­sen wol­len — vor­aus­ge­setzt sie sind über­haupt in einem Alter, wo man eine sol­che Fra­ge stel­len könn­te. Es gilt halt als völ­lig nor­mal, dass Erwach­se­ne über das Leben, die Gesund­heit und den Kör­per von Kin­dern ver­fü­gen wie über einen Gegen­stand, der zum Eigen­tum gehört. Ich kann daher nicht genug beto­nen, wie wich­tig die Ent­schei­dung der Köl­ner Rich­ter war, die Unver­sehrt­heit des kind­li­chen Kör­pers als ein Gut zu wer­ten, das abso­lu­ten Vor­rang vor den reli­giö­sen Ein­stel­lun­gen einer Gesell­schaft oder auch nur der Eltern hat. Sie ste­hen damit in vol­ler Über­ein­stim­mung mit Art. 24 Abs. 3 des Über­ein­kom­mens über die Rech­te des Kin­des („UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on“), nach dem die Ver­trags­staa­ten wirk­sa­me Maß­nah­men tref­fen müs­sen, um über­lie­fer­te Bräu­che, die für die Gesund­heit der Kin­der schäd­lich sind, abzuschaffen.

Eine her­vor­ra­gen­de Dar­stel­lung des The­mas mit vie­len Fak­ten, Fall­be­schrei­bun­gen, Pro- und Con­tra-Argu­men­ten, Stu­di­en und Infor­ma­tio­nen bie­tet die Inter­net­sei­te www.beschneidung-von-jungen.de.


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Beschneidung, Zirkumzision, Genitalverstümmelung, Jungen, Macht, Freiheit, Menschenrechte, Rechte, Gewalt, Kinder

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2 thoughts on “Der unversehrte Mann”

  1. zirkuma sagt:
    19. Juli 2012 um 22:38 Uhr

    Es gibt nur ein ein­zi­ges Men­schen­recht: das Recht auf kör­per­li­che Unver­sehrt­heit. Wenn sich ALLE dar­an hal­ten wür­den, gäbe es weder Syri­en noch die Juden noch die Mus­li­me und der gan­ze Blöd­sinn über­all auf die­ser idio­ti­schen Welt hät­te ein Ende.. 

    Aber lei­der wer­de ich nie eine intel­li­gen­te Zivi­li­sa­ti­on erle­ben, son­dern nur die­sen jüdisch-christ­lich-mus­li­mi­schen Blöd­sinn über­all.. (mit einem IQ weit unter 200) ’

    Antworten
  2. Pingback: Informationen zur Beschneidungsdebatte - Klosterhalfens kleine Reimbibel

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