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Die Diskriminierer

Die Diskriminierer

16. November 2012 Comments 8 comments
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Plä­doy­er für eine nicht berei­nig­te Gesellschaft

Sie sind weni­ge. Sie sind laut. Sie sind aggres­siv. Sie geben sich alter­na­tiv und behaup­ten, die Frei­heit zu ver­tei­di­gen. Oft tun sie dies sogar. Ihre Masche ist immer die­sel­be. In einer gro­ßen schwei­gen­den und nichts­tu­en­den Mas­se ver­su­chen sie sich als Mei­nungs­füh­rer zu eta­blie­ren und die­ser Mas­se ihre eige­ne Mei­nung als "Wahr­heit" und "Kon­sens" zu ver­kau­fen. Auf­grund ihres öffent­lich­keits­wirk­sa­men Auf­tre­tens scha­ren sie Bewun­de­rer um sich, die als Beiß­hun­de fun­gie­ren. Jeder, der ande­rer Mei­nung ist als sie, wird an den Pran­ger gestellt (( sie­he z.B. den Blog "Bedau­er­li­che Ein­zel­fäl­le", der nichts ande­res als ein Pran­ger ist)), rhe­to­risch ange­grif­fen und mit bestimm­ten Eti­ket­ten gebrandmarkt. 

Fast immer reden sie von Viel­falt und Mei­nungs­frei­heit. Und neh­men sich gleich­zei­tig her­aus, für All­ge­mein­hei­ten zu spre­chen: für die Lin­ken, für die Frau­en, für die Homo­se­xu­el­len, für die Anti­fa­schis­ten, für die Auf­ge­klär­ten. Doch die Mei­nungs­frei­heit, für die sie so uner­müd­lich und selbst­los zu kämp­fen schei­nen, ist nur die Frei­heit ihrer eige­nen Mei­nung, neben der sie nichts ande­res gel­ten las­sen. Sie sind die Kämp­fer und Rebel­len gegen jede Form von Dis­kri­mi­nie­rung — aber sie dis­kri­mi­nie­ren unent­wegt selbst ande­re Men­schen: die "Dum­men", die "Unwis­sen­schaft­li­chen", die Eso­te­ri­ker, Wal­dorf­schü­ler, Atom­kraft­be­für­wor­ter, "Mas­ku­lis­ten", angeb­lich sexis­ti­sche Män­ner und angeb­lich ange­pass­te Frau­en, Hete­ro­se­xu­el­le, Rent­ner, Chem­trails-Jün­ger, Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker, Nazis sowie­so. Es gibt immer irgend­je­man­den, auf den man präch­tig drauf­hau­en kann. Ohne ein Feind­bild kom­men die Dis­kri­mi­nie­rer nicht aus. Sie behaup­ten bunt zu sein, aber in ihrem Welt­bild gibt es nur schwarz und weiss, nur zwei Sei­ten und auf der ein­zig wah­ren und rich­ti­gen Sei­te ste­hen selbst­ver­ständ­lich sie. (("Unser west­li­ches Welt­ver­ständ­nis macht uns blind dafür, dass wir auf der einen Sei­te Frei­heits­kämp­fer haben auf der ande­ren aber Nazis ste­hen." Ste­phan Urbach in der SZ. http://www.sueddeutsche.de/digital/meinungsfreiheit-im-internet-ich-moechte-dass-alle-plattformen-nazi-propaganda-loeschen‑1.1501232 ))

Das rhe­to­ri­sche Instru­men­ta­ri­um gleicht dem aller Agi­ta­to­ren. Das sehr belieb­te "Kein Fuß­breit ..." gehört dazu oder zum Bei­spiel "Kein Mensch ist ille­gal". In pira­ti­gen Gen­der­dis­kus­sio­nen ist "Sexis­ti­sche Kack­scheis­se" das Non­plus­ul­tra. "Blo­ckie­ren" ist auch so ein schö­nes taug­li­ches Wort, natür­lich alle ‑ismen wie "Akti­vis­mus" und "Sexis­mus" und "Femi­nis­mus" und neu­er­dings gehört auch "til­gen" dazu. Eigent­lich ist es die­ses unsäg­li­che "til­gen", das die­sen Blog­bei­trag pro­vo­ziert hat. In einem Arti­kel in der Süd­deut­schen Zei­tung äußert der Pirat Ste­phan Urbach: "Ich möch­te, dass alle Platt­for­men Nazi-Pro­pa­gan­da löschen, aus dem Netz til­gen und kei­ne Öffent­lich­keit für Rechts­ra­di­ka­le mehr erlau­ben." ((http://www.sueddeutsche.de/digital/meinungsfreiheit-im-internet-ich-moechte-dass-alle-plattformen-nazi-propaganda-loeschen‑1.1501232)) Unab­hän­gig davon, was die­se Men­schen, deren Spu­ren er aus dem Netz til­gen und denen er die "Öffent­lich­keit" gänz­lich ver­bie­ten möch­te, zu sagen haben, erin­nert die­se Auf­for­de­rung an die "Löschen-statt-Sperren"-Kampagne der Pira­ten gegen Kin­der­por­no­gra­phie im Inter­net. Da die meis­ten Men­schen das, was soge­nann­te Nazis ver­öf­fent­li­chen, zu Recht vehe­ment ableh­nen, ist man sogar geneigt, die­sem Vor­schlag zuzu­stim­men. Aber genau­er hin­ge­hört, weckt das deut­sche Wort til­gen unan­ge­neh­me und men­schen­ver­ach­ten­de Asso­zia­tio­nen. Unkraut und Unge­zie­fer wird getilgt. In der Bibel fin­det man mehr­fach die Auf­for­de­rung, die vom Glau­ben Abge­fal­le­nen vom Erd­bo­den zu til­gen. (( z.B. 5. Mose 32,26 oder Ps. 69,29)) Etwas aus­zu­til­gen bedeu­tet im Grun­de es zu ver­nich­ten. (( Es ist daher viel­leicht kein Zufall, dass das alteng­li­sche adi­le­gi­an gera­de im Zuge der angel­säch­si­schen Mis­si­on als tili­gon (ahd.), tili­gen (mhd.), deli­gen (mnd.) sei­nen Ein­gang in den deut­schen Sprach­ge­brauch gefun­den hat. Genau wie das lat. dele­re bedeu­ten alle die­se Wör­ter 'zugrun­de rich­ten, zer­stö­ren, aus­lö­schen, ver­nich­ten'.)) Nun geht es im ange­führ­ten Zitat zwar nur um Wor­te, aber wir wis­sen nicht zuletzt aus unse­rer eige­nen deut­schen Geschich­te und aus der Geschich­te ande­rer auto­ri­tä­rer Sys­te­me, dass immer die Gefahr und Ver­lo­ckung besteht, Wor­ten Taten fol­gen zu las­sen. Der Fana­tis­mus in den Köp­fen for­dert gera­de­zu eine Logik her­aus, die aus einem Res­sen­ti­ment ein Ver­bre­chen wer­den lässt. "Kauft nicht bei Juden!" war so ein rhe­to­ri­sches Res­sen­ti­ment, dass sich zuerst zu ein­ge­wor­fe­nen Schau­fens­ter­schei­ben wei­ter ent­wi­ckel­te, um schließ­lich ohne Umschwei­fe in direk­ter Linie in indus­tri­el­len Mas­sen­mord zu mün­den. Etwas zu til­gen liegt nahe bei jeman­den zu til­gen, das eine ist von dem ande­ren nur einen klei­nen Schritt ent­fernt. Unter der schein­bar so zivi­li­sier­ten Ober­flä­che unse­rer ach so auf­ge­klär­ten und demo­kra­ti­schen Gesell­schaft lau­ert der Wahn­sinn wie eh und je.

Es stimmt: kein Mensch ist ille­gal. Es ist immer ein Mensch, mit einer eige­nen Geschich­te, einer Kind­heit, vie­len ver­schie­de­nen und manch­mal sehr pro­ble­ma­ti­schen Erfah­run­gen, Prä­gun­gen und Kon­di­tio­nie­run­gen. Es ist leicht die­sen Men­schen abzu­leh­nen. Irgend­ein Grund fin­det sich immer. Die Tücken des psy­cho­lo­gi­schen Schat­tens lau­ern nicht nur auf der Sei­te unse­rer Fein­de. Es ist fast schon eine Bin­sen­weis­heit, dass ich ohne es zu bemer­ken zu dem wer­den kann, was ich eigent­lich bekämp­fen will. Es ist eine kom­pli­zier­te Auf­ga­be, die eige­nen Emo­tio­nen wahr­zu­neh­men, sich selbst aus der Distanz her­aus zu beob­ach­ten. Es fällt des­we­gen schwer, weil man dann viel­leicht fest­stel­len müss­te, dass die pro­ble­ma­ti­schen Sei­ten des Mensch­seins auch in einem selbst vor­han­den sind und dass es die selbst­ge­rech­ten Gut­men­schen nur in der Ein­bil­dung von ideo­lo­gisch Ver­blen­de­ten gibt. Und da sind wir beim eigent­li­chen Pro­blem ange­langt: der feh­len­den Tren­nung zwi­schen Ideo­lo­gie und dem Men­schen an sich. Ich kann mit gutem Gewis­sen gegen men­schen­ver­ach­ten­de, gewalt­tä­ti­ge und dis­kri­mi­nie­ren­de Welt­an­schau­un­gen und Ideo­lo­gien kämp­fen und für ein auf­ge­klär­tes, frei­es Men­schen­bild strei­ten. Wenn ich eine freie Gesell­schaft möch­te, muss ich das sogar. Aber wenn ich anfan­ge, den Men­schen hin­ter die­sem Welt­bild mit­samt sei­ner per­sön­li­chen Geschich­te zu ver­ach­ten, dann wer­de ich selbst zum Ver­äch­ter, zum rhe­to­ri­schen, men­ta­len oder phy­si­schen Gewalttäter.

Das Eigen­ar­ti­ge an den Dis­kri­mi­nie­rern ist, dass sie sich selbst als die wah­ren Men­schen vor­kom­men, die Aus­er­wähl­ten, die ver­stan­den haben und die des­we­gen das natür­li­che Recht in Anspruch neh­men kön­nen, auf all die Fehl­ba­ren, Nicht-Aus­er­wähl­ten, Nicht-Über­zeug­ten, Ver­ach­tens­wer­ten her­un­ter­zu­schau­en. Dies hat etwas absurd Reli­giö­ses an sich. Und in der Tat ent­deckt man Gemein­sam­kei­ten mit mono­the­is­ti­schen Reli­gio­nen: die Schub­la­den, in die man ande­re Men­schen steckt, ohne die­se jemals zu hin­ter­fra­gen, die eige­ne allein­se­lig­ma­chen­de Wahr­heit, ohne die sub­jek­ti­ven Wahr­hei­ten ande­rer Men­schen auch nur für mög­lich, geschwei­ge denn für daseins­be­rech­tigt zu hal­ten, die Into­le­ranz, die Sün­de-und-Schuld-Kis­te, den Recht­fer­ti­gungs­druck, den man ande­ren über­hilft, wenn sie noch nicht ganz auf der eige­nen Sei­te sind, die cal­vi­nis­ti­sche Stren­ge, mit der man empa­thie­los auf ande­re blickt, obwohl man doch angeb­lich gegen jeg­li­che "Objek­ti­vie­rung" von Men­schen ist. Um nega­tiv emp­fun­de­ne Rol­len­bil­der und Erwar­tungs­hal­tun­gen abzu­bau­en, wer­den ohne Umschwei­fe neue Rol­len­bil­der und Erwar­tungs­hal­tun­gen errich­tet und alle ange­grif­fen, die kei­ne beson­de­re Lust haben, sich dort einzuordnen.

So bekennt Ste­phan Urbach in einem ande­ren Blog­bei­trag wie in einem Beicht­stuhl sei­ne Sün­de, ein "All­tags-Sexist" zu sein. Sei­ne Sün­de besteht dar­in, als Mann auf die Hin­tern und die Brüs­te von Frau­en zu schau­en. Die Kom­men­ta­re unter dem Bei­trag ((http://stephanurbach.de/2011/12/ich-bin-alltagssexist-aber-ich-arbeite-daran/ )) sind sehr auf­schluss­reich zu lesen, denn das errich­te­te Glau­bens­be­kennt­nis, dass man(n) "soet­was nicht tut" darf nicht in Fra­ge gestellt wer­den, ähn­lich wie die unbe­fleck­te Emp­fäng­nis von Maria in der katho­li­schen Kir­che. Und selbst wenn weib­li­che Kom­men­ta­to­rin­nen fest­stel­len, dass sie die­se Vor­ga­be, wie sich ab sofort alle zu ver­hal­ten haben (( "Wir sind All­tags­se­xis­ten, aber wir arbei­ten dar­an. Und wir wol­len weder Lob noch Kek­se, son­dern dass Ihr das auch macht." http://stephanurbach.de/2012/06/ich-bin-alltagssexist-v2‑0/ )), ziem­lich befremd­lich fin­den und geste­hen, dass sie doch sel­ber auch gern Män­nern auf den Hin­tern schau­en, dann reicht ein ein­fa­ches "dis­qua­li­fi­ziert" des Agi­ta­tors, um ihre Argu­men­te vom Tisch zu wischen. (( 'wischen, abwi­schen, Geschrie­be­nes weg­wi­schen' ist übri­gens eine sprach­li­che Neben­be­deu­tung von 'til­gen')) Mil­lio­nen Frau­en auf der gan­zen Welt lie­ben es, sich selbst anzu­schau­en, sich zu zei­gen oder anschau­en zu las­sen? Unsinn! Sie haben nur noch nicht ihren "Objekt"-Charakter erkannt und sich von ihrem sozia­li­sier­ten Geschlecht befreit. Du fühlst dich gar nicht unter­drückt? Du fühlst dich sogar in dei­ner Haut ziem­lich wohl? Du magst dich selbst, dei­nen Kör­per und dein Leben? Dann bist du ein/e Ungläubige/r und hast den Wert der rei­nen Leh­re nur noch nicht erkannt. Die inhä­ren­te Feind­se­lig­keit, die "aus Grün­den" eine fade, humor­lo­se, ase­xu­el­le, antiero­ti­sche Gesell­schaft begehrt, macht mir Angst. Es ist die Welt der chi­ne­si­schen Kom­mu­nis­ten, die alle Frau­en und Män­ner in die glei­chen grau­en Anzü­ge steck­ten, damit kei­ner anders als der ande­re ist. Brüs­te und Hin­tern ver­schwan­den so ganz her­vor­ra­gend unter Uni­form­stoff und nie­mand geriet in Gefahr etwas ande­res zu begeh­ren als den gro­ßen Vor­sit­zen­den und sein Mani­fest. Das Uni­ver­sum und das Leben dar­in ist ein Spiel — aber in der Welt der Spiel­ver­der­ber muss man sich alle poli­tisch inkor­rek­ten Regun­gen aus­trei­ben so wie sich die mit­tel­al­ter­li­chen Mön­che mit der Gei­ßel die Geil­heit austrieben.

Mit Viel­falt der Mei­nun­gen und der indi­vi­du­el­len Lebens­ent­wür­fe, der sexu­el­len Iden­ti­tä­ten und der krea­ti­ven Rol­len­bil­der ist es da natür­lich nicht weit her. Hin­ter die­sen hüb­schen bun­ten Eti­ket­ten lau­ert die schnö­de Into­le­ranz, die gern alles "til­gen" und berei­ni­gen möch­te, was sich nicht den eige­nen, engen Blick­win­keln auf die Welt fügen will. In den Vor­stel­lun­gen der Kul­tur­re­vo­lu­tio­nä­re muss­te man auch alle Klös­ter im Land dem Erd­bo­den gleich­ma­chen, um die Bevöl­ke­rung vom angeb­li­chen Aber­glau­ben zu hei­len. (( So gesche­hen in der chi­ne­si­schen Kul­tur­re­vo­lu­ti­on 1966 — 69, als 6500 Tem­pel und Klös­ter zer­stört wur­den, nur 13 blie­ben übrig. Auch den "Vier Alten" wur­de der Krieg erklärt: alte Ideen, alte Kul­tu­ren, alte Gewohn­hei­ten, alte Sit­ten.)) Aus den Augen, aus dem Sinn. Irgend­wie steckt das in uns allen. Ich weiß auch nicht war­um. Irgend­je­man­den gibt es immer, den wir zur Höl­le wün­schen, für den wir die Todes­stra­fe wie­der ein­füh­ren möch­ten, der "paar auf die Fres­se" ver­dient hat, den man am bes­ten kas­trie­ren soll­te, der als Sün­den­bock taugt und des­halb in die Wüs­te getrie­ben wer­den muss. Das nerdi­ge Twit­ter-Bon­mot "Geht ster­ben!" hört sich unter die­ser Prä­mis­se auf ein­mal gar nicht mehr so lus­tig an. Ganz ein­fach weil es nicht lus­tig ist, jeman­dem den Tod zu wün­schen, selbst wenn er die­sen ver­dient hat. Als im "Herr der Rin­ge" Fro­do sich wünscht, Bil­bo hät­te Gol­lum getö­tet, ant­wor­tet ihm Gan­dalf: "Vie­le die leben, ver­die­nen den Tod und vie­le die ster­ben, ver­die­nen das Leben. Kannst du es Ihnen geben, Fro­do? [...] Dann sei nicht so rasch mit einem Todes­ur­teil. Selbst die Wei­ses­ten erken­nen nicht alle Absichten!"

Die Welt ist voll von den ver­schie­dens­ten und abson­der­lichs­ten Fro­dos, Bil­bos und Goll­ums und in der Tat kön­nen die "Absich­ten" recht ver­wor­re­ne Ergeb­nis­se her­vor­brin­gen. Das Mäd­chen, dass als Kind im rosa Kleid­chen nur mit Pup­pen spiel­te, wan­delt sich spä­ter zur Bikerla­dy in schwar­zem Leder, wer weiss das schon? Hin­ter der Fas­sa­de des uner­träg­li­chen Machos ver­birgt sich viel­leicht ein ver­letz­tes Selbst­wert­ge­fühl. Der eine Mensch kann nur eine gut gemein­te Berüh­rung akzep­tie­ren, wenn er schrift­lich um Erlaub­nis ange­fragt wur­de, der ande­re sehnt sich schon seit Jah­ren nach jeder kleins­ten Zärt­lich­keit und wür­de sofort nicht nur den Fin­ger, son­dern die gan­ze Hand an sich zie­hen. Das von allen über­se­he­ne Mau­er­blüm­chen betreibt viel­leicht in sei­ner Frei­zeit eine Por­no-Web­cam oder die von allen gelieb­te und auf­op­fe­rungs­vol­le Mut­ter steckt so vol­ler Anspan­nung und Aggres­si­vi­tät, dass sie Gefahr läuft ein Ver­bre­chen zu bege­hen. Der Lieb­lings­kol­le­ge hetzt unter einem Pseud­onym im Netz gegen Aus­län­der und der schein­bar so haßer­füll­te und sprö­de Pro­let ist ein lie­be­vol­ler Vater. Die Welt der ein­fa­chen Ant­wor­ten und der gera­den Front­li­ni­en gibt es nur in ame­ri­ka­ni­schen Action­thril­lern. Die Rea­li­tät ist ver­wir­ren­der als es uns lieb ist.

Das Ziel einer berei­nig­ten Gesell­schaft, aus der alles Stö­ren­de getilgt wird,  ist kein erstre­bens­wer­tes Ziel. Es ist zudem uner­reich­bar. Denn ganz zum Schluss müs­sen wir ein­se­hen, dass wir alle auf eine gewis­se Art und Wei­se Agi­ta­to­ren und Dis­kri­mi­nie­rer sind. Mal mehr und mal weni­ger. In uns allen schlum­mert in irgend­ei­ner Ecke das arche­ty­pi­sche Ver­lan­gen, das rhe­to­ri­sche oder rea­le Mes­ser zu zücken und dem Ziel unse­rer Ver­ach­tung ein für alle­mal den Gar­aus zu machen. Ohne eine poli­ti­sche Psy­cho­lo­gie wird es nie eine sach­ori­en­tier­te Poli­tik geben. Denn immer wer­den wir mit dem Ande­ren, dem Frem­den, dem Unge­lieb­ten, dem Abge­lehn­ten, dem Grenz­ver­let­zer, dem Ver­ach­te­ten und dem Ver­ach­tens­wer­ten zu tun haben und wer­den dadurch her­aus­ge­for­dert. Wir müs­sen unse­re eige­nen Wert­vor­stel­lun­gen und Maß­stä­be dar­an mes­sen, über­den­ken und wei­ter entwickeln.

Und damit ich nicht miss­ver­stan­den wer­de: Gewalt, Ver­ach­tung und Dis­kri­mi­nie­rung sind real. Sie exis­tie­ren nicht nur in unse­rem Kopf. Die Lösung für das Dilem­ma ist ein­fach und schwie­rig zugleich. Lasst uns für Min­dest­löh­ne strei­ten und für genü­gend Kita-Plät­ze, für glei­che Löh­ne für glei­che Arbeit, für ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men, für eine bes­se­re sozia­le und kul­tu­rel­le Teil­ha­be, für mehr Jugend­zen­tren und Sozi­al­ar­bei­ter, die im rech­ten Milieu arbei­ten, für Rück­zugs­räu­me, für die Rech­te von Min­der­hei­ten, Rand­grup­pen und Men­schen mit ande­ren sexu­el­len Iden­ti­tä­ten ... lasst uns für eine bes­se­re und freie­re Gesell­schaft strei­ten. Aber lasst uns damit auf­hö­ren, Men­schen zu dis­kri­mi­nie­ren, nur weil sie anders sind als wir und die Welt aus ihrem ganz eige­nen per­sön­li­chen Blick­win­kel sehen. Wir sind immer Teil des Pro­blems und nie die Patentlösung.


Gesellschaft, Piraten
Freiheit, Neonazis, Diskriminierung, Sexismus, Toleranz

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8 thoughts on “Die Diskriminierer”

  1. Bernd sagt:
    16. November 2012 um 20:45 Uhr

    Hi Frank,

    herz­li­chen Dank für die­sen Text!

    Antworten
  2. Fidel sagt:
    16. November 2012 um 21:42 Uhr

    Dem schlie­ße ich mich an! Danke!

    Gruß Fidel

    P.S. Dann bist Du ja bestimmt auch ein glü­hen­der Ver­eh­rer der soge­nann­ten "Unver­ein­bar­keits­er­klä­rung"?! 😉

    Antworten
  3. Phantaster sagt:
    16. November 2012 um 23:04 Uhr

    "Wir sind immer Teil des Pro­blems und nie die Patent­lö­sung." Über die­sen Satz muss man wirk­lich ernst­haft nach­den­ken bevor man ihn anfängt zu begreifen.

    Dan­ke Frank!

    Antworten
  4. Käptn Nemo sagt:
    21. November 2012 um 08:22 Uhr

    Du sprichst mir aus der Seele.
    „Wir sind immer Teil des Pro­blems und nie die Patent­lö­sung.” ist eine Weis­heit, die vie­le Men­schen noch lan­ge nicht begrif­fen haben.
    Die Ände­rung der Gesell­schaft muss immer bei einem selbst anfangen. 

    Und die­se Ände­rung besteht nicht dar­in, dass die Sche­re im Kopf nun ande­re Tei­le wegschneidet.

    Dan­ke für die­sen Beitrag.

    Andre­as

    Antworten
  5. netzhocker sagt:
    18. Januar 2013 um 20:50 Uhr

    Äh, um was gehts Dir? Es soll also schon für/gegen alles was "Dis­kri­mi­nie­rer" nicht gut/gut fin­den "gestrit­ten" wer­den aber bit­te dann so wie Du Dir das vor­stellst? Mach ich ger­ne! Sofort ehr­lich – Ich kann nur kei­nen Lösungs­an­satz finden. 

    Lei­der kom­mu­ni­zierst Du nur Dei­ne Ableh­nung gegen ALLE Men­schen Die sich für die Lösung von gesell­schaft­li­chen Pro­ble­men enga­gie­ren, ver­passt dabei aber die Mög­lich­keit Zei­chen zu setz­ten und Lösun­gen auf­zu­zei­gen. Als Kon­se­quenz ist Dein Text als bil­li­ger Rant zu sehen, der eigent­lich nur dazu geeig­net ist Dich (ohne Lösung) über die Men­schen mit Lösun­gen (näm­lich Enga­ge­ment – in Dei­nen Augen "Dis­kri­mi­nie­rer") zu stel­len. Ich unter­stell Dir ein­fach mal Dumm­heit (ansons­ten wäre es Bosheit).

    Lie­be Grüße
    netzhocker

    Antworten
    1. Phantaster sagt:
      18. Januar 2013 um 22:54 Uhr

      Anschei­nend hast du hier nach einem Satz gesucht der die Lösung die­ser gan­zen Pro­ble­me lie­fert. Das was mei­ner Mei­nung nach in jedem die­ser Abschnit­te steckt, ist die sehr wich­ti­ge und sehr schwie­ri­ge Erkennt­nis, dass man sich zu schnell und zu gemüt­lich auf bestimm­te Posi­tio­nen und Feind­bil­der ein­lässt, unter dem Deck­man­tel bestimm­te Prin­zi­pi­en zu ver­tei­di­gen und Frei­hei­ten zu schüt­zen. Dabei nimmt man schnel­ler als man denkt die Rol­ler derer an, die man bekämp­fen will.

      Man muss sich statt­des­sen immer wie­der fra­gen, ob man nicht zu schnell mit Dif­fa­mie­run­gen bei der Hand ist. Das klingt so ein­fach, aber es erfor­dert ein hohes Maß an Selbst­re­fle­xi­on. Der Text ist vol­ler Bei­spie­le bei denen man auf die­se Selbst­re­fle­xi­on all­zu ger­ne verzichtet.

      Ein ganz ande­rer Punkt, der jedoch auch nicht in eini­gen Minu­ten dis­ku­tiert ist, ist der, dass man gegen Dis­kri­mi­nie­rung nicht mit erzwun­ge­ner Gleich­ma­che­rei ankommt.

      Fazit: Arbei­te immer wie­der an Dir selbst und nicht nur an den Anderen.

      Fried­rich Nietz­sche konn­te das viel­leicht etwas bes­ser formulieren:
      "Vie­le ver­fol­gen hart­nä­ckig den Weg, den sie gewählt haben, aber nur weni­ge das Ziel."

      Antworten
    2. Heidrun sagt:
      21. Januar 2013 um 11:51 Uhr

      Lies ein­fach mal in Ruhe und unvor­ein­ge­nom­men den letz­ten Absatz durch. Da steht alles an Vor­schlä­gen drin, was man braucht. Hard­ware-Vor­schlä­ge. Die­ses gan­ze ver­ba­le Gezi­cke kommt doch nur daher, dass man weiß, dass rea­le Dis­kri­mi­nie­rung exis­tiert, aber nicht weiß, wie man die ändern soll. Also stellt man ein paar Sprach­re­geln auf und alle an den Pran­ger, die ihnen nicht fol­gen. Was letzt­lich zu völ­li­ger Sprach­lo­sig­keit führt, denn kor­rekt aus­drü­cken kann man sich schon längst nicht mehr.
      Bei­spiel gefäl­lig? Frank begrüß­te bei einem Tref­fen freu­dig die Anwe­sen­den: "Lie­be Pira­ten, lie­be Nicht-Piratin ..."
      Zwi­schen­ruf: "Jetzt hast du sie dop­pelt dis­kri­mi­niert. Das geht nicht!"
      Eini­ger­ma­ßen ver­wirr­ter Blick in mei­ne Rich­tung: "Äh — fühlst du dich diskriminiert?"
      Und das Absur­de dar­an: Der nicht ganz ernst­ge­mein­te Zwi­schen­ruf war völ­lig rich­tig. Durch das Bemü­hen, alle kor­rekt anzu­re­den, wur­de ich tat­säch­lich dis­kri­mi­niert, näm­lich abge­son­dert und zu etwas Spe­zi­el­lem gemacht. Und durch den Zwi­schen­ruf noch mehr. Ich sag­te trotz­dem tap­fer "Nein", denn eigent­lich hat­ten wir ganz ande­re Pro­ble­me zu wälzen.
      Als auf­ge­klär­te Men­schen sind wir uns doch hof­fent­lich einig, dass bei gegen­sei­ti­gem Ein­ver­ständ­nis jeder selbst ent­schei­den kann, wann er mit wem wie Sex hat. Fein. War­um kann man das nicht auf Sexis­mus aus­wei­ten? Wenn ich mich nicht dis­kri­mi­niert füh­le, dann redet es mir nicht ein. Und redet kei­nem Mann ein, dass er ein Sexist ist, nur weil er mir auf den Arsch starrt. Mich stört es nicht, er hat hof­fent­lich Spaß dran — so what? Sexis­mus wäre, wenn er mein­te, ich könn­te nicht den­ken, bloß weil ich Brüs­te habe.
      Mir sind Leu­te, die sich für Min­dest­löh­ne ein­set­zen, aber ein gene­ri­sches Mas­ku­li­num ver­wen­den, erheb­lich lie­ber als Leu­te, die gen­der­kor­rek­te Anre­den mit Gleich­be­rech­ti­gung ver­wech­seln und über Löh­ne noch nicht ein­mal nachdenken.

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