Die Diskriminierer
Plädoyer für eine nicht bereinigte Gesellschaft
Sie sind wenige. Sie sind laut. Sie sind aggressiv. Sie geben sich alternativ und behaupten, die Freiheit zu verteidigen. Oft tun sie dies sogar. Ihre Masche ist immer dieselbe. In einer großen schweigenden und nichtstuenden Masse versuchen sie sich als Meinungsführer zu etablieren und dieser Masse ihre eigene Meinung als "Wahrheit" und "Konsens" zu verkaufen. Aufgrund ihres öffentlichkeitswirksamen Auftretens scharen sie Bewunderer um sich, die als Beißhunde fungieren. Jeder, der anderer Meinung ist als sie, wird an den Pranger gestellt (( siehe z.B. den Blog "Bedauerliche Einzelfälle", der nichts anderes als ein Pranger ist)), rhetorisch angegriffen und mit bestimmten Etiketten gebrandmarkt.
Fast immer reden sie von Vielfalt und Meinungsfreiheit. Und nehmen sich gleichzeitig heraus, für Allgemeinheiten zu sprechen: für die Linken, für die Frauen, für die Homosexuellen, für die Antifaschisten, für die Aufgeklärten. Doch die Meinungsfreiheit, für die sie so unermüdlich und selbstlos zu kämpfen scheinen, ist nur die Freiheit ihrer eigenen Meinung, neben der sie nichts anderes gelten lassen. Sie sind die Kämpfer und Rebellen gegen jede Form von Diskriminierung — aber sie diskriminieren unentwegt selbst andere Menschen: die "Dummen", die "Unwissenschaftlichen", die Esoteriker, Waldorfschüler, Atomkraftbefürworter, "Maskulisten", angeblich sexistische Männer und angeblich angepasste Frauen, Heterosexuelle, Rentner, Chemtrails-Jünger, Verschwörungstheoretiker, Nazis sowieso. Es gibt immer irgendjemanden, auf den man prächtig draufhauen kann. Ohne ein Feindbild kommen die Diskriminierer nicht aus. Sie behaupten bunt zu sein, aber in ihrem Weltbild gibt es nur schwarz und weiss, nur zwei Seiten und auf der einzig wahren und richtigen Seite stehen selbstverständlich sie. (("Unser westliches Weltverständnis macht uns blind dafür, dass wir auf der einen Seite Freiheitskämpfer haben auf der anderen aber Nazis stehen." Stephan Urbach in der SZ. http://www.sueddeutsche.de/digital/meinungsfreiheit-im-internet-ich-moechte-dass-alle-plattformen-nazi-propaganda-loeschen‑1.1501232 ))
Das rhetorische Instrumentarium gleicht dem aller Agitatoren. Das sehr beliebte "Kein Fußbreit ..." gehört dazu oder zum Beispiel "Kein Mensch ist illegal". In piratigen Genderdiskussionen ist "Sexistische Kackscheisse" das Nonplusultra. "Blockieren" ist auch so ein schönes taugliches Wort, natürlich alle ‑ismen wie "Aktivismus" und "Sexismus" und "Feminismus" und neuerdings gehört auch "tilgen" dazu. Eigentlich ist es dieses unsägliche "tilgen", das diesen Blogbeitrag provoziert hat. In einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung äußert der Pirat Stephan Urbach: "Ich möchte, dass alle Plattformen Nazi-Propaganda löschen, aus dem Netz tilgen und keine Öffentlichkeit für Rechtsradikale mehr erlauben." ((http://www.sueddeutsche.de/digital/meinungsfreiheit-im-internet-ich-moechte-dass-alle-plattformen-nazi-propaganda-loeschen‑1.1501232)) Unabhängig davon, was diese Menschen, deren Spuren er aus dem Netz tilgen und denen er die "Öffentlichkeit" gänzlich verbieten möchte, zu sagen haben, erinnert diese Aufforderung an die "Löschen-statt-Sperren"-Kampagne der Piraten gegen Kinderpornographie im Internet. Da die meisten Menschen das, was sogenannte Nazis veröffentlichen, zu Recht vehement ablehnen, ist man sogar geneigt, diesem Vorschlag zuzustimmen. Aber genauer hingehört, weckt das deutsche Wort tilgen unangenehme und menschenverachtende Assoziationen. Unkraut und Ungeziefer wird getilgt. In der Bibel findet man mehrfach die Aufforderung, die vom Glauben Abgefallenen vom Erdboden zu tilgen. (( z.B. 5. Mose 32,26 oder Ps. 69,29)) Etwas auszutilgen bedeutet im Grunde es zu vernichten. (( Es ist daher vielleicht kein Zufall, dass das altenglische adilegian gerade im Zuge der angelsächsischen Mission als tiligon (ahd.), tiligen (mhd.), deligen (mnd.) seinen Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hat. Genau wie das lat. delere bedeuten alle diese Wörter 'zugrunde richten, zerstören, auslöschen, vernichten'.)) Nun geht es im angeführten Zitat zwar nur um Worte, aber wir wissen nicht zuletzt aus unserer eigenen deutschen Geschichte und aus der Geschichte anderer autoritärer Systeme, dass immer die Gefahr und Verlockung besteht, Worten Taten folgen zu lassen. Der Fanatismus in den Köpfen fordert geradezu eine Logik heraus, die aus einem Ressentiment ein Verbrechen werden lässt. "Kauft nicht bei Juden!" war so ein rhetorisches Ressentiment, dass sich zuerst zu eingeworfenen Schaufensterscheiben weiter entwickelte, um schließlich ohne Umschweife in direkter Linie in industriellen Massenmord zu münden. Etwas zu tilgen liegt nahe bei jemanden zu tilgen, das eine ist von dem anderen nur einen kleinen Schritt entfernt. Unter der scheinbar so zivilisierten Oberfläche unserer ach so aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft lauert der Wahnsinn wie eh und je.
Es stimmt: kein Mensch ist illegal. Es ist immer ein Mensch, mit einer eigenen Geschichte, einer Kindheit, vielen verschiedenen und manchmal sehr problematischen Erfahrungen, Prägungen und Konditionierungen. Es ist leicht diesen Menschen abzulehnen. Irgendein Grund findet sich immer. Die Tücken des psychologischen Schattens lauern nicht nur auf der Seite unserer Feinde. Es ist fast schon eine Binsenweisheit, dass ich ohne es zu bemerken zu dem werden kann, was ich eigentlich bekämpfen will. Es ist eine komplizierte Aufgabe, die eigenen Emotionen wahrzunehmen, sich selbst aus der Distanz heraus zu beobachten. Es fällt deswegen schwer, weil man dann vielleicht feststellen müsste, dass die problematischen Seiten des Menschseins auch in einem selbst vorhanden sind und dass es die selbstgerechten Gutmenschen nur in der Einbildung von ideologisch Verblendeten gibt. Und da sind wir beim eigentlichen Problem angelangt: der fehlenden Trennung zwischen Ideologie und dem Menschen an sich. Ich kann mit gutem Gewissen gegen menschenverachtende, gewalttätige und diskriminierende Weltanschauungen und Ideologien kämpfen und für ein aufgeklärtes, freies Menschenbild streiten. Wenn ich eine freie Gesellschaft möchte, muss ich das sogar. Aber wenn ich anfange, den Menschen hinter diesem Weltbild mitsamt seiner persönlichen Geschichte zu verachten, dann werde ich selbst zum Verächter, zum rhetorischen, mentalen oder physischen Gewalttäter.
Das Eigenartige an den Diskriminierern ist, dass sie sich selbst als die wahren Menschen vorkommen, die Auserwählten, die verstanden haben und die deswegen das natürliche Recht in Anspruch nehmen können, auf all die Fehlbaren, Nicht-Auserwählten, Nicht-Überzeugten, Verachtenswerten herunterzuschauen. Dies hat etwas absurd Religiöses an sich. Und in der Tat entdeckt man Gemeinsamkeiten mit monotheistischen Religionen: die Schubladen, in die man andere Menschen steckt, ohne diese jemals zu hinterfragen, die eigene alleinseligmachende Wahrheit, ohne die subjektiven Wahrheiten anderer Menschen auch nur für möglich, geschweige denn für daseinsberechtigt zu halten, die Intoleranz, die Sünde-und-Schuld-Kiste, den Rechtfertigungsdruck, den man anderen überhilft, wenn sie noch nicht ganz auf der eigenen Seite sind, die calvinistische Strenge, mit der man empathielos auf andere blickt, obwohl man doch angeblich gegen jegliche "Objektivierung" von Menschen ist. Um negativ empfundene Rollenbilder und Erwartungshaltungen abzubauen, werden ohne Umschweife neue Rollenbilder und Erwartungshaltungen errichtet und alle angegriffen, die keine besondere Lust haben, sich dort einzuordnen.
So bekennt Stephan Urbach in einem anderen Blogbeitrag wie in einem Beichtstuhl seine Sünde, ein "Alltags-Sexist" zu sein. Seine Sünde besteht darin, als Mann auf die Hintern und die Brüste von Frauen zu schauen. Die Kommentare unter dem Beitrag ((http://stephanurbach.de/2011/12/ich-bin-alltagssexist-aber-ich-arbeite-daran/ )) sind sehr aufschlussreich zu lesen, denn das errichtete Glaubensbekenntnis, dass man(n) "soetwas nicht tut" darf nicht in Frage gestellt werden, ähnlich wie die unbefleckte Empfängnis von Maria in der katholischen Kirche. Und selbst wenn weibliche Kommentatorinnen feststellen, dass sie diese Vorgabe, wie sich ab sofort alle zu verhalten haben (( "Wir sind Alltagssexisten, aber wir arbeiten daran. Und wir wollen weder Lob noch Kekse, sondern dass Ihr das auch macht." http://stephanurbach.de/2012/06/ich-bin-alltagssexist-v2‑0/ )), ziemlich befremdlich finden und gestehen, dass sie doch selber auch gern Männern auf den Hintern schauen, dann reicht ein einfaches "disqualifiziert" des Agitators, um ihre Argumente vom Tisch zu wischen. (( 'wischen, abwischen, Geschriebenes wegwischen' ist übrigens eine sprachliche Nebenbedeutung von 'tilgen')) Millionen Frauen auf der ganzen Welt lieben es, sich selbst anzuschauen, sich zu zeigen oder anschauen zu lassen? Unsinn! Sie haben nur noch nicht ihren "Objekt"-Charakter erkannt und sich von ihrem sozialisierten Geschlecht befreit. Du fühlst dich gar nicht unterdrückt? Du fühlst dich sogar in deiner Haut ziemlich wohl? Du magst dich selbst, deinen Körper und dein Leben? Dann bist du ein/e Ungläubige/r und hast den Wert der reinen Lehre nur noch nicht erkannt. Die inhärente Feindseligkeit, die "aus Gründen" eine fade, humorlose, asexuelle, antierotische Gesellschaft begehrt, macht mir Angst. Es ist die Welt der chinesischen Kommunisten, die alle Frauen und Männer in die gleichen grauen Anzüge steckten, damit keiner anders als der andere ist. Brüste und Hintern verschwanden so ganz hervorragend unter Uniformstoff und niemand geriet in Gefahr etwas anderes zu begehren als den großen Vorsitzenden und sein Manifest. Das Universum und das Leben darin ist ein Spiel — aber in der Welt der Spielverderber muss man sich alle politisch inkorrekten Regungen austreiben so wie sich die mittelalterlichen Mönche mit der Geißel die Geilheit austrieben.
Mit Vielfalt der Meinungen und der individuellen Lebensentwürfe, der sexuellen Identitäten und der kreativen Rollenbilder ist es da natürlich nicht weit her. Hinter diesen hübschen bunten Etiketten lauert die schnöde Intoleranz, die gern alles "tilgen" und bereinigen möchte, was sich nicht den eigenen, engen Blickwinkeln auf die Welt fügen will. In den Vorstellungen der Kulturrevolutionäre musste man auch alle Klöster im Land dem Erdboden gleichmachen, um die Bevölkerung vom angeblichen Aberglauben zu heilen. (( So geschehen in der chinesischen Kulturrevolution 1966 — 69, als 6500 Tempel und Klöster zerstört wurden, nur 13 blieben übrig. Auch den "Vier Alten" wurde der Krieg erklärt: alte Ideen, alte Kulturen, alte Gewohnheiten, alte Sitten.)) Aus den Augen, aus dem Sinn. Irgendwie steckt das in uns allen. Ich weiß auch nicht warum. Irgendjemanden gibt es immer, den wir zur Hölle wünschen, für den wir die Todesstrafe wieder einführen möchten, der "paar auf die Fresse" verdient hat, den man am besten kastrieren sollte, der als Sündenbock taugt und deshalb in die Wüste getrieben werden muss. Das nerdige Twitter-Bonmot "Geht sterben!" hört sich unter dieser Prämisse auf einmal gar nicht mehr so lustig an. Ganz einfach weil es nicht lustig ist, jemandem den Tod zu wünschen, selbst wenn er diesen verdient hat. Als im "Herr der Ringe" Frodo sich wünscht, Bilbo hätte Gollum getötet, antwortet ihm Gandalf: "Viele die leben, verdienen den Tod und viele die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es Ihnen geben, Frodo? [...] Dann sei nicht so rasch mit einem Todesurteil. Selbst die Weisesten erkennen nicht alle Absichten!"
Die Welt ist voll von den verschiedensten und absonderlichsten Frodos, Bilbos und Gollums und in der Tat können die "Absichten" recht verworrene Ergebnisse hervorbringen. Das Mädchen, dass als Kind im rosa Kleidchen nur mit Puppen spielte, wandelt sich später zur Bikerlady in schwarzem Leder, wer weiss das schon? Hinter der Fassade des unerträglichen Machos verbirgt sich vielleicht ein verletztes Selbstwertgefühl. Der eine Mensch kann nur eine gut gemeinte Berührung akzeptieren, wenn er schriftlich um Erlaubnis angefragt wurde, der andere sehnt sich schon seit Jahren nach jeder kleinsten Zärtlichkeit und würde sofort nicht nur den Finger, sondern die ganze Hand an sich ziehen. Das von allen übersehene Mauerblümchen betreibt vielleicht in seiner Freizeit eine Porno-Webcam oder die von allen geliebte und aufopferungsvolle Mutter steckt so voller Anspannung und Aggressivität, dass sie Gefahr läuft ein Verbrechen zu begehen. Der Lieblingskollege hetzt unter einem Pseudonym im Netz gegen Ausländer und der scheinbar so haßerfüllte und spröde Prolet ist ein liebevoller Vater. Die Welt der einfachen Antworten und der geraden Frontlinien gibt es nur in amerikanischen Actionthrillern. Die Realität ist verwirrender als es uns lieb ist.
Das Ziel einer bereinigten Gesellschaft, aus der alles Störende getilgt wird, ist kein erstrebenswertes Ziel. Es ist zudem unerreichbar. Denn ganz zum Schluss müssen wir einsehen, dass wir alle auf eine gewisse Art und Weise Agitatoren und Diskriminierer sind. Mal mehr und mal weniger. In uns allen schlummert in irgendeiner Ecke das archetypische Verlangen, das rhetorische oder reale Messer zu zücken und dem Ziel unserer Verachtung ein für allemal den Garaus zu machen. Ohne eine politische Psychologie wird es nie eine sachorientierte Politik geben. Denn immer werden wir mit dem Anderen, dem Fremden, dem Ungeliebten, dem Abgelehnten, dem Grenzverletzer, dem Verachteten und dem Verachtenswerten zu tun haben und werden dadurch herausgefordert. Wir müssen unsere eigenen Wertvorstellungen und Maßstäbe daran messen, überdenken und weiter entwickeln.
Und damit ich nicht missverstanden werde: Gewalt, Verachtung und Diskriminierung sind real. Sie existieren nicht nur in unserem Kopf. Die Lösung für das Dilemma ist einfach und schwierig zugleich. Lasst uns für Mindestlöhne streiten und für genügend Kita-Plätze, für gleiche Löhne für gleiche Arbeit, für ein bedingungsloses Grundeinkommen, für eine bessere soziale und kulturelle Teilhabe, für mehr Jugendzentren und Sozialarbeiter, die im rechten Milieu arbeiten, für Rückzugsräume, für die Rechte von Minderheiten, Randgruppen und Menschen mit anderen sexuellen Identitäten ... lasst uns für eine bessere und freiere Gesellschaft streiten. Aber lasst uns damit aufhören, Menschen zu diskriminieren, nur weil sie anders sind als wir und die Welt aus ihrem ganz eigenen persönlichen Blickwinkel sehen. Wir sind immer Teil des Problems und nie die Patentlösung.
8 thoughts on “Die Diskriminierer”
Hi Frank,
herzlichen Dank für diesen Text!
Dem schließe ich mich an! Danke!
Gruß Fidel
P.S. Dann bist Du ja bestimmt auch ein glühender Verehrer der sogenannten "Unvereinbarkeitserklärung"?! 😉
"Wir sind immer Teil des Problems und nie die Patentlösung." Über diesen Satz muss man wirklich ernsthaft nachdenken bevor man ihn anfängt zu begreifen.
Danke Frank!
Du sprichst mir aus der Seele.
„Wir sind immer Teil des Problems und nie die Patentlösung.” ist eine Weisheit, die viele Menschen noch lange nicht begriffen haben.
Die Änderung der Gesellschaft muss immer bei einem selbst anfangen.
Und diese Änderung besteht nicht darin, dass die Schere im Kopf nun andere Teile wegschneidet.
Danke für diesen Beitrag.
Andreas
Äh, um was gehts Dir? Es soll also schon für/gegen alles was "Diskriminierer" nicht gut/gut finden "gestritten" werden aber bitte dann so wie Du Dir das vorstellst? Mach ich gerne! Sofort ehrlich – Ich kann nur keinen Lösungsansatz finden.
Leider kommunizierst Du nur Deine Ablehnung gegen ALLE Menschen Die sich für die Lösung von gesellschaftlichen Problemen engagieren, verpasst dabei aber die Möglichkeit Zeichen zu setzten und Lösungen aufzuzeigen. Als Konsequenz ist Dein Text als billiger Rant zu sehen, der eigentlich nur dazu geeignet ist Dich (ohne Lösung) über die Menschen mit Lösungen (nämlich Engagement – in Deinen Augen "Diskriminierer") zu stellen. Ich unterstell Dir einfach mal Dummheit (ansonsten wäre es Bosheit).
Liebe Grüße
netzhocker
Anscheinend hast du hier nach einem Satz gesucht der die Lösung dieser ganzen Probleme liefert. Das was meiner Meinung nach in jedem dieser Abschnitte steckt, ist die sehr wichtige und sehr schwierige Erkenntnis, dass man sich zu schnell und zu gemütlich auf bestimmte Positionen und Feindbilder einlässt, unter dem Deckmantel bestimmte Prinzipien zu verteidigen und Freiheiten zu schützen. Dabei nimmt man schneller als man denkt die Roller derer an, die man bekämpfen will.
Man muss sich stattdessen immer wieder fragen, ob man nicht zu schnell mit Diffamierungen bei der Hand ist. Das klingt so einfach, aber es erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion. Der Text ist voller Beispiele bei denen man auf diese Selbstreflexion allzu gerne verzichtet.
Ein ganz anderer Punkt, der jedoch auch nicht in einigen Minuten diskutiert ist, ist der, dass man gegen Diskriminierung nicht mit erzwungener Gleichmacherei ankommt.
Fazit: Arbeite immer wieder an Dir selbst und nicht nur an den Anderen.
Friedrich Nietzsche konnte das vielleicht etwas besser formulieren:
"Viele verfolgen hartnäckig den Weg, den sie gewählt haben, aber nur wenige das Ziel."
Lies einfach mal in Ruhe und unvoreingenommen den letzten Absatz durch. Da steht alles an Vorschlägen drin, was man braucht. Hardware-Vorschläge. Dieses ganze verbale Gezicke kommt doch nur daher, dass man weiß, dass reale Diskriminierung existiert, aber nicht weiß, wie man die ändern soll. Also stellt man ein paar Sprachregeln auf und alle an den Pranger, die ihnen nicht folgen. Was letztlich zu völliger Sprachlosigkeit führt, denn korrekt ausdrücken kann man sich schon längst nicht mehr.
Beispiel gefällig? Frank begrüßte bei einem Treffen freudig die Anwesenden: "Liebe Piraten, liebe Nicht-Piratin ..."
Zwischenruf: "Jetzt hast du sie doppelt diskriminiert. Das geht nicht!"
Einigermaßen verwirrter Blick in meine Richtung: "Äh — fühlst du dich diskriminiert?"
Und das Absurde daran: Der nicht ganz ernstgemeinte Zwischenruf war völlig richtig. Durch das Bemühen, alle korrekt anzureden, wurde ich tatsächlich diskriminiert, nämlich abgesondert und zu etwas Speziellem gemacht. Und durch den Zwischenruf noch mehr. Ich sagte trotzdem tapfer "Nein", denn eigentlich hatten wir ganz andere Probleme zu wälzen.
Als aufgeklärte Menschen sind wir uns doch hoffentlich einig, dass bei gegenseitigem Einverständnis jeder selbst entscheiden kann, wann er mit wem wie Sex hat. Fein. Warum kann man das nicht auf Sexismus ausweiten? Wenn ich mich nicht diskriminiert fühle, dann redet es mir nicht ein. Und redet keinem Mann ein, dass er ein Sexist ist, nur weil er mir auf den Arsch starrt. Mich stört es nicht, er hat hoffentlich Spaß dran — so what? Sexismus wäre, wenn er meinte, ich könnte nicht denken, bloß weil ich Brüste habe.
Mir sind Leute, die sich für Mindestlöhne einsetzen, aber ein generisches Maskulinum verwenden, erheblich lieber als Leute, die genderkorrekte Anreden mit Gleichberechtigung verwechseln und über Löhne noch nicht einmal nachdenken.