Die FDP im Überraschungs-Ei
Wahlrecht ab Geburt?
Derzeit gibt es innerhalb der Piratenpartei einige Diskussionen und Bestrebungen, das allgemeine Wahlalter von 18 Jahren in ein allgemeines Wahlrecht ab Geburt umzuwandeln. Dieses Ansinnen ist sogar verständlich und löblich, weil es darauf abzielt, Kindern und Jugendlichen mehr Rechte und mehr Beteiligung in einer Gesellschaft einzuräumen, die mehr oder weniger über sie hinwegregiert und sich wenig um die Bedürfnisse und den "politischen Willen" der noch nicht Erwachsenen kümmert.
Unabhängig von den Schwierigkeiten, die dieses Unterfangen mit sich bringen würde und der praktischen Umsetzung im Detail möchte ich jedoch einen besonderen Aspekt hervorheben, der es mir unmöglich macht, derartigen Programmanträgen zuzustimmen. In den letzten Jahrzehnten hat der Kapitalismus (oder wer diesen Begriff nicht mag, die Marktwirtschaft) Kinder vor allem als Marktteilnehmer, potentielle Kunden und Marketing-Zielgruppe entdeckt. Unternehmen, Werbung und Medien haben Kinder zu beliebig manipulierbaren Konsumenten degradiert, die lediglich dafür gut sind, Milliarden-Umsätze in neuen Marktsegmenten zu generieren. Dabei war es auch egal, ob sie dabei an ihrer Persönlichkeit Schaden nehmen. Es war erstrecht egal, Menschen, die gerade heranreifen, zu einer rein materiellen, eigennützigen und konsumorientierten Sichtweise auf die Welt zu drängen.
Ein Wahlrecht ab Geburt würde – zusätzlich – dazu führen, dass Kinder auch zu einem politischen Markt werden. Demagogie, Manipulation, Gehirnwäsche, Stimmenkauf sind dann Tür und Tor geöffnet. Kinder sollten sich möglichst frei körperlich und geistig entwickeln, sie sollten wachsen, spielen, herumtollen, lernen, Freunde finden und emotionale und soziale Kompetenz entwickeln. Wir sprechen uns gegen religiöse Indoktrination von Kindern aus? Warum sollten wir dann für eine politische Indoktrination sein? Es ist für mich ein Graus mir vorzustellen, dass dann findige PR-Strategen 7‑Jährigen Comics in die Hände drücken, in denen auf jeder zweiten Seite "Wähl doch CDU! Die mögen Dich!" steht oder "Willst du auch mal reich sein? Wähl FDP, die sind echt cool!" Helden und Abenteurer, mit denen sich Kinder liebend gern identifizieren, würden Parteilogos auf ihrer Brust tragen. Aus Überraschungseiern würden Rainer Brüderle und Ursula von der Leyen zum Vorschein kommen und Animationsfilme im Kinderkanal würden "spielerisch" und "ganz nebenbei" erklären, wie man wählt und vor allem wen man wählt. Niemand kann das allen Ernstes wollen.
Das fehlende Wahlrecht für Kinder ist auch eine Schutzzone für Kinder und die macht angesichts der politischen Verhältnisse, in denen wir leben, echt Sinn. Fordern wir das Wahlrecht ab 16, meinetwegen auch ab 14 und ich bin sofort dabei. Unter diesem Alter fällt mir immer nur eines ein: laßt doch unsere Kinder einfach mal in Ruhe! Kindheit ist ein Wert an sich und ein unersetzliches Gut und keine beliebig verhandelbare Discount-Ware in einer "Demokratie", die diesen Namen kaum noch verdient.