Grüninselverbund und Katalysator
Von gelähmten Volksvertretern und
schillerndem Manager-Neusprech
Am 13. März fand im Jenaer Stadtspeicher die erste öffentliche Investoren-Präsentation zur Eichplatzbebauung statt. Die Einladung an die Bürger erging von der Stadtverwaltung, die in Gestalt von Vertretern aus dem Dezernat für Stadtentwicklung und KIJ selbst die Veranstaltung moderierte. Der Abend begann mit einem Eklat, als Arne Petrich als Medienvertreter und Redakteur von Jenapolis in einer rüden Art und Weise aufgefordert wurde, auf Bild- und Tonaufnahmen zu verzichten oder den Raum zu verlassen — was dieser konsequenterweise auch tat und die Pressefreiheit gleich mitnahm. Ist ja nicht so schlimm, wir befinden uns immerhin im Jena des Jahres 2012. Warum man nicht wenigstens die offizielle Präsentation von ECE aufzeichnen lassen wollte — wo es doch um eine gewünschte, möglichst breite Information der Bürger geht — bleibt eine der vielen offenen Fragen in diesem Verfahren. Fragen, die sich die Stadt nicht bemüht zu beantworten. Man darf vermuten, dass sie ihre Gründe dafür hat.
Zwei Stadträte, gleichzeitig Mitglieder der Eichplatz-Jury, verwahrten sich mit ärgerlichem Gesicht dagegen, als Stadträte anwesend zu sein. Nein, natürlich wären sie heute abend "nur Bürger". Und ach ja, als Jury-Mitglieder könnten sie auch nichts sagen, weil sie mit einer speziellen Geschäftsordnung auf Vertraulichkeit verpflichtet worden wären. Autsch, wie peinlich. Da sie also quasi nichts zu sagen hatten, können wir also unsere gewählten Volksvertreter an dieser Stelle gleich wieder vergessen. Obwohl, eigentlich müssten es bei einem Bauvorhaben dieser Größe mitten im Zentrum der Stadt gerade die Stadträte sein, die den angehenden Investoren (die niemand nominiert hat) die unbequemsten Fragen stellen und sie im Interesse der weiteren Stadtentwicklung löchern, was das Zeug hält. Stattdessen wird eine große flauschige Decke der Geheimniskrämerei über alles gebreitet, die außen ein schönes buntes Muster an (angeblicher) Bürgerbeteiligung zeigt, unter der aber alles mögliche Unbekannte und Verschwiegene stattfindet, von dem niemand weiß oder wissen will, geschweige denn wissen darf. Jüngst hat ein Stadtrat im Zuge einer Informationsanfrage die Unterlagen zur Eichplatz-Jury angefordert und ist bei der Stadtverwaltung prompt abgeblitzt. ((www.jenapolis.de/2012/03/oberburgermeister-schroter-spd-verweigert-unterlagen-zum-jury-verfahren-eichplatz/)) Wo kämen wir denn da hin, wenn sich Stadträte einfach so informieren könnten wie sie wollen?
Die anwesenden jungen, smarten, erfolgsgewohnten Manager und Architekten von ECE machten ihre Sache wirklich gut. Sie tischten den Anwesenden einen bunten Blumenstrauß an Märchen, Publicity-Gags und Neusprech auf, dass einem nur so die Ohren rauschten. So wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass man ja kein Einkaufzentrum bauen wöllte, sondern eher ein "Handelsviertel", einen "europäischen Platz für Jena", der mit dem restlichen Stadtzentrum "stark vernetzt" wäre. Leider konnte man trotz Nachfrage nicht wirklich erklären, was denn am Modell so europäisch ist und auch die Vernetzung beschränkte sich letztendlich darauf, dass Mieter aus bestimmten Wohnlagen in die Innenhöfe des Neubaus oder umgekehrt auf den neuen kleinen Eichplatz schauen können, Sichtachsen entstünden und Konsumentenströme um das neue Objekt wahlweise "fluten" oder "gelenkt werden". Beeindruckt nahm man anhand von auffällig grünflächigen Zeichnungen zur Kenntnis, dass ECE "verstärkt Grün ins Stadtzentrum bringen" will und übersah dabei, dass es sich um Dachrasen und Kübelpflanzen in abgeschlossenen, privaten Innenhöfen handelt, die für die schnöde Allgemeinheit nicht zugänglich sind. Soweit geht die Vernetzung nun doch wieder nicht. Otto-Normalverbraucher kann ja zwei Etagen tiefer sein Geld ausgeben. Mehr braucht's nicht zum Leben. "Penner" will man da allerdings eher nicht haben, da ist dem armen Kerl bei seiner Argumentation dann doch noch ein kleiner Lapsus rausgerutscht. Natürlich gehen wir da mit einem verständnisvoll-milden Lächeln darüber hinweg. Die zukünftige Kauf-Elite der Stadt, unterwegs zum gehobenen Herrenausstatter, wird es danken, wenn man dabei nicht am sozialen Auswurf der Gesellschaft vorbei muss.
Es wurde lang und breit über Fassadengestaltung in vollendeten Formulierungen palavert, über "funktionale Schichtungen", "dreidimensionale Balkongestaltungen", "Kernzonen des Publikumsverkehrs", "rohes Holz, ja halbe Baumstämme" und ähnlich aufgeblasenen Schwachsinn. Jeder, der gewillt ist genauer hinzusehen, sieht danach immer noch ein zweigeschossiges Einkaufszentrum mit draufgesetzten Wohneinheiten. Man kann also im Großen und Ganzen dort Taschen und Bäuche füllen und dafür Geld da lassen, sonst nichts. Natürlich wäre die Stadt für Aufenthaltszonen und Bänke zuständig, keineswegs der Investor — also erfahrungsgemäß dann halt gar keiner. Wie ECE das magische Kunststück schaffen will, die "Kundenströme" lediglich von außen in die Läden zu locken, um sie nicht wie willenlose Spreu in die Shopping Mall hineinzusaugen und damit dem restlichen Stadtzentrum und Einzelhandel zu entziehen, bleibt ein Geheimnis. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es ja noch eine komplette zweite Etage im Center mit Läden und kaufwilligen Kunden zu befüllen gilt.
Natürlich muss das Ganze wirtschaftlich sein. Ist ja klar. Mit anderen Worten, ordentlich Geld abwerfen. Für die Stadt allerdings wohl weniger. Auf die Frage, ob die Stadt schon mal darüber nachgedacht hat, dass bundesweit agierende Handelsketten ihre Gewerbesteuer an ihrem Firmensitz abführen und nicht in Jena, kam die außerordentlich intelligente Antwort, man wäre ja nicht das Finanzamt. Glückwunsch! Man darf begeistert in die Hände klatschen. Auf die wirklich wesentliche Frage, wie fast 15000 m2 neue Verkaufsfläche den restlichen Einzelhandel in Jena beeinflussen werden und welche Auswirkungen das überhaupt auf die Stadt hat, gab KIJ zum Besten, es gäbe ein Konzept und die Auswirkungen für Jena wären nicht negativ. Im Jury-Wettbewerb um die inhaltslosesten Aussagen würde die Stadtverwaltung Jena ohne Frage den ersten Preis gewinnen. Von welchem Konzept ist hier die Rede, welche Untersuchungen und Prognosen wurden denn gemacht, wo kann man die nachlesen? Ach ja, ich vergaß — ist ja alles geheim.
Wie in vielen anderen Städten mit ECE-Centern, insbesondere denen unter 250000 Einwohnern, wird es vermutlich auch in Jena zu erheblichen Verwerfungen kommen, was die gegenwärtige Einzelhandelsstruktur anbelangt. Ein ruinöser Wettbewerb, Pleiten und leere Innenstadtrandlagen sind vorprogrammiert. Im ECE-Neusprech wird daher aus dem Innenstadt-Konsumtempel, der Menschen gierig abzieht und bindet, ein "Katalysator" — für was oder wen auch immer, möchte man anfügen.
Wie man in den letzten Wochen zwischen den Zeilen heraushörte, träumen unsere Stadtoberen mittlerweile von der Metropole Jena mit über 150000 Einwohnern. Abgesehen davon, ob diese Fantastereien überhaupt gut für eine Stadt wie Jena sind, stellt sich die Frage, was denn in Zukunft besonders viele junge Familien mit Kindern in diese Stadt ziehen soll. Nur so wäre ja ein überdurchschnittlicher Bevölkerungszuwachs überhaupt denkbar.
Das nordrhein-westfälische Ministerium für Bauen und Verkehr hat bereits 2008 in einem "Bericht zur Stadtentwicklung" darauf eine wichtige Antwort gegeben, die ich hier im Original zitiere: "Im zunehmenden Wettbewerb der Städte um Einwohner spielen die Grün- und Freiraumqualitäten eine immer größere Rolle. Die Stadtflucht von jungen Familien und gut verdienenden Bürgern ins Umland wird nur zu verhindern sein, wenn es gelingt, vorhandene Grün‑, Freiraum und
Spielqualitäten — auch in den Innenstädten — zu sichern und auszubauen. Dabei ist der Freiraum nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten, sondern immer mehr auch unter baukulturellen und ästhetischen Gesichtspunkten sowie für die Freizeitgestaltung bedeutsam. Eine Politik für Kinder und Jugendliche muss Raumansprüche und Planungswünsche
von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen und die Städte „bespielbar“ machen." ((www.mbv.nrw.de/Staedtebau/container/BerichtStadtentwicklung2008.pdf))
Autsch, möchte man zum zweiten Mal verzweifelt ausrufen. Jena gibt sich gerade erhebliche Mühe, die "Grün- und Freiraumqualitäten" seiner Innenstadt zu zerstören und wird damit perspektivisch gesehen unattraktiver für Familien mit Kindern. Das ist logisch und verständlich, werden sich doch Eltern mit ihren Jüngsten in Innenstädten aufhalten, wo man sich nicht auf Schritt und Tritt dem Konsumzwang unterwerfen muss, wo es Parks, Grünflächen und Spielplätze gibt und unreglementierten öffentlichen Raum für Kommunikation, Treffen, Freizeit und Kultur.
Wenn also demnächst unsere Stadträte und Stadtverwalter wieder mit den heiligen Investoren zusammensitzen und dabei wie die Kaninchen vor der Schlange in eine ungesunde Gelähmtheit verfallen, sollten sie sich bewußt machen, dass Jenas Innenstadt nach dem derzeitigen Planungsstand in der goldenen städtebaulichen Zukunft nur eines zu bieten haben wird: die Wahl, ob ich jetzt als nächstes zu P & C oder doch lieber erst zu Marco Polo gehe. Wenn dann die jetzigen Platanen aus dem Gedächtnis der Bevölkerung getilgt sind, kann ich mich dabei aber immerhin im Rahmen des "Grüninselverbunds" von Kübelstrauch zu Kübelstrauch hangeln und mich an der "Nachhaltigkeit" des Center-Baus erfreuen.