Die gläsernen Untertanen
In den letzten Tagen ging eine kleine kommunalpolitische Meldung durch die Presse, die man getrost hätte überlesen können, so nebensächlich scheint sie zu sein. Darin wird berichtet, dass die Zahl der in Jena durch die festinstallierten Blitzer ertappten Temposünder im Laufe der Zeit gesunken ist und die Stadt daher darüber nachdenkt, sie woanders aufzustellen. So wären es im August 2012 noch 936 Geschwindigkeitsüberschreitungen gewesen, aktuell lösen die Radarfallen nur noch durchschnittlich 437 mal aus. Wir erfahren außerdem, dass der Finanzdezernent Frank Jauch, der gleichzeitig auch für Ordnung und Sicherheit zuständig ist, dieses Jahr mit 600.000 bis 800.000 Euro Einnahmen durch Bußgelder rechnet. Er möchte gern überprüfen lassen, ob die Autofahrer nur an den Blitzersäulen abbremsen und hinterher wieder beschleunigen. Wirklich interessant wird es jedoch erst, wenn Herr Jauch laut zu träumen anfängt und davon redet, dass man doch ein "flexibleres System" nutzen könnte. Dies würde zwar auch noch feste Standorte vorsehen, aber diese könnten bei Bedarf auch einfach gewechselt werden. Außerdem würde es dann mehr Kontrollstellen geben, auch wenn nicht alle ständig in Betrieb wären.
Lassen wir uns das mal auf der Zunge zergehen und dröseln es langsam auseinander. Bei der Einführung der festinstallierten Radarfallen wurde der Öffentlichkeit lang und breit erklärt, dass man das keinesweg aus schnöden monetären Gründen tun würde. Vielmehr wären es nachweisliche Gefahrenstellen und Unfallschwerpunkte, die man damit in den Griff bekommen wollte. Insbesondere im Falle der Stadtrodaer Straße, wo man stadtauswärts (!) die Geschwindigkeit extra von 70 auf 50 km/h reduzierte, an einer Stelle ohne Bebauung an der Straße, sind diese Nachweise bis heute ausgeblieben. Belastbare Zahlen darüber, was denn für Gefahren und Unfälle hier die Stadtverwaltung im Sinn hatte, blieben bis heute aus.
Es ist überraschend, dass die angestrebte und offenbar doch erfolgreiche Disziplinierung der Autofahrer mit einem unüberhörbaren Bedauern zur Kenntnis genommen wird und nicht mit Freude. Sofort wird dem Bürger das übliche Mißtrauen entgegengebracht, er würde sich ja nur erwartungsgemäß an den Kontrollpunkten einwandfrei verhalten, an nicht kontrollierten Stellen aber sofort wieder der Lust an der Übertretung frönen. Abgesehen davon, dass auch dazu keinerlei belastbare Daten vorliegen, haben wir hier auf einmal kein gleichberechtigtes Verhältnis mehr zwischen Bürgern und Staat — sondern nur noch zwischen einer kontrollierenden, disziplinierenden und strafenden Obrigkeit und den Untertanen, auf die man laufend ein Auge haben muss, damit sie keinen Unsinn treiben.
In einer solchen Welt sollen sich Bürger niemals unbeobachtet fühlen, nur mit dem Unterschied, dass nicht mehr der liebe Gott von oben die Sünden sieht, sondern mitleidlose technische Kontrollinstanzen, die dir sofort auf die Finger hauen, wenn du mal am Honigtopf geleckt hast. Nicht von ungefähr steht da dieser Vorschlag — oder sollen wir es gleich Überwachungsfantasie nennen — im Raum, dass mit ständig wechselnden und mal blitzenden und mal nicht blitzenden Radarfallen ein Szenario geschaffen wird, in dem sich keiner mehr sicher sein kann, bei einer Übertretung von Gesetzen und Verhaltensregeln ungeschoren davon zu kommen. Die Verwaltung sieht sich dabei nicht mehr als Dienstleister und Service für die Bürger, sondern als Inquisitor, der von oben herab diszipliniert und straft und vor dem die Reuigen zu Kreuze kriechen müssen, natürlich ohne Mitleid erwarten zu dürfen. Der Bußgeldbescheid kommt, egal wie du dich windest. Deine Daten liegen auf dem Tisch, aus dieser Schlinge kommst du nicht wieder raus.
Der Überwachungsstaat lässt grüßen. Denkt man diese völlig überzogene und maßlose Vorstellung von Sicherheit und Ordnung zu Ende, dann besteht die konsequenteste Überwachung darin, die Kontrolltechnik gleich dabei zu haben und ohne Unterbrechung meine Verfehlungen auswerten zu lassen. Für das Auto ist das kaum noch Zukunftsmusik. Black Boxes in PKWs sollen in Kürze sämtliche Fahrdaten auswerten und aufzeichnen, angeblich um im Falle eines Unfalls dem Versicherungsnehmer zu seinem Recht zu verhelfen. Und damit einem bei diesen ganzen Stasi-Methoden nicht irgendwie komisch zumute wird, winkt man mit einem kleinen Bonus bei den Versicherungsbeiträgen. Das ist das ideale flexible System, von dem Herr Jauch träumt. Durch diese Masche schlüpft keiner mehr. Jede Geschwindigkeitsübertretung wird sofort aufgezeichnet. Die Meldung an eine Behörde ist da nur noch der nächste logische Schritt. Erst wenn wir ein kleines blinkendes Ding irgendwo vor der Nase haben und ein optisches Auge unser Fahrverhalten aufnimmt (Hände weg vom Handy!), werden wir merken, dass wir mal wieder geschlafen und Leuten unsere persönliche Freiheit einfach so über den Tresen geschoben haben, ohne mal drüber nachzudenken.
Ich möchte gern wissen, wer von allen Stadträten und wer von sämtlichen Mitarbeitern der Stadtverwaltung mit Führerschein noch nie in seinem Leben schneller gefahren ist als an einer bestimmten Stelle erlaubt. Und wollen Sie uns ernsthaft weismachen, dass Sie nicht zu uns braven — oder besser: zur Bravheit erzogenen — Zeitgenossen gehören, die vor einem bekannten Blitzer auf ihren Tacho starren, um ja nicht den magischen Strich zu überschreiten, hinterher aber ihre Aufmerksamkeit wieder dem Straßenverkehr widmen und nicht unbedingt in jedem Augenblick der aktuellen Geschwindigkeit? Herr Jauch, wie wäre es, wir sind gespannt auf ihre eigenen Erfahrungen, lassen Sie uns doch etwas darüber wissen! Und wenn Sie schon dabei sind, dann lassen Sie uns doch auch endlich mal konkrete Zahlen zukommen, wieviele Unfälle jährlich in Jena durch Geschwindigkeitsübertretungen zu beklagen sind, um welche Geschwindigkeiten es sich dabei gehandelt hat und an welchen Stellen diese Unfälle passierten. Und außerdem können Sie sicher begründen, warum unter den sogenannten Gefahrenstellen keine einzige Schule, keine Kita, kein Seniorenheim, keine Wohngebietsstraße o.ä. sind. Natürlich wird dabei nicht ein einziges Mal der wirkliche Grund dafür genannt werden, nämlich, dass das niedrige Verkehrsaufkommen an diesen Stellen für zu geringe Einnahmen verantwortlich ist und daher diese Stellen gar nicht erst in Betracht gezogen werden. Und was hat eigentlich die Erfüllung eines Lärmaktionsplanes überhaupt noch mit Verkehrssicherheit zu tun?
Und da sind wir last but not least bei einem Umstand, der mich besonders auf die Palme bringt. Natürlich geht es um Geld. Es geht immer um Geld. Das zeigt schon der Hinweis auf die Einnahmen und das Bedauern darüber, dass immer weniger PKW-Fahrer in die Radarfalle tappen. Wir haben also auf der einen Seite eine Ordnungsbehörde, die mit der Moralkeule wedelt und mit erhobenem Zeigefinger die Bürger als Verkehrssünder geißeln will (die Sicherheit! die Ordnung! die Kinder!) — der es aber auf der anderen Seite lediglich um leicht generierbare Einnahmen für das Stadtsäckel geht. Es wird also wieder mal öffentlich Wasser gepredigt und im Stillen Wein getrunken. Der gläserne und überwachte Bürger ist eine leicht anzapfbare Geldquelle und eigentlich ist es völlig egal, ob er nun 58 km/h oder 62 km/h fährt und überhaupt irgendeine Gefahr darstellt. Die Kontrollstellen sollen lediglich gewechselt werden, um durch den Überraschungseffekt und ständig wechselnde Szenarien die Geldquellen auch weiterhin sprudeln zu lassen. Also bitte, liebe Stadtverwaltung, lasst eure Scheinheiligkeit stecken und redet nicht von Gefahren im Straßenverkehr. Es nimmt euch sowieso keiner ab.
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