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Die Stimme des Volkes

Die Stimme des Volkes

2. September 2014 Comments 0 Comment
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War­um Bür­ger­be­tei­li­gung kei­ne Umfra­ge ist

Am 1. Sep­tem­ber wur­den im Rat­haus in einer öffent­li­chen Ver­an­stal­tung — wie immer vor sehr über­schau­ba­rem Publi­kum — die Ergeb­nis­se des dies­jäh­ri­gen Bür­ger­haus­halts vor­ge­stellt. Mit dem The­ma Ent­schul­dung hat­te die AG Bür­ger­haus­halt wie­der ein­mal einen Nerv getrof­fen, mit immer­hin 20% Rück­lauf­quo­te war das Inter­es­se der Bür­ger recht groß. Auch das Votum ist beein­dru­ckend: drei­vier­tel der Befrag­ten spre­chen sich gegen die Auf­he­bung des Neu­ver­schul­dungs­ver­bots aus, ein kla­res Signal an die Kom­mu­nal­po­li­tik. Was ich an die­ser Stel­le jedoch ein­mal dis­ku­tie­ren möch­te, ist das Gespenst der Reprä­sen­ta­ti­vi­tät, das — wie schon im letz­ten Jahr — auch die­ses Mal bestän­dig durch die Prä­sen­ta­ti­on und die Aus­wer­tung geis­tert. War die Befra­gung reprä­sen­ta­tiv? Sind die Ergeb­nis­se reprä­sen­ta­tiv und wenn nein, war­um nicht bzw. wie muss neu gewich­tet wer­den, damit sie reprä­sen­ta­tiv werden?

Wiki­pe­dia klärt uns auf, was unter Reprä­sen­ta­ti­vi­tät zu ver­ste­hen ist. Da nur eine begrenz­te Zahl von Bür­gern eine Bro­schü­re mit dem Abstim­mungs­bo­gen erhält, muss die Aus­wahl die­ser Teil­men­ge so erfol­gen, dass die Ergeb­nis­se Rück­schlüs­se auf die Mei­nung aller Bür­ger (die Ver­hält­nis­se in der soge­nann­ten Grund­ge­samt­heit) erlau­ben. Beim Bür­ger­haus­halt bil­den alle wahl­be­rech­tig­ten Bür­ger zwi­schen 18 und 85 Jah­ren mit Haupt­wohn­sitz in Jena die Grund­ge­samt­heit. Dar­aus wer­den per Zufalls­ver­fah­ren pro­zen­tu­al antei­lig wie in der Gesamt­be­völ­ke­rung nach sta­tis­ti­schen Bezir­ken, Alter und Geschlecht 15000 Bür­ger zur Befra­gung aus­ge­wählt. Damit wird die Benach­tei­li­gung bestimm­ter Bevöl­ke­rungs­grup­pen vermieden.

Auf der einen Sei­te ist es ver­ständ­lich, dass auf Reprä­sen­ta­ti­vi­tät des Betei­li­gungs­ver­fah­rens Wert gelegt wird. Ver­mut­lich schwingt dabei die Angst mit, die Ergeb­nis­se könn­ten sonst von den poli­ti­schen Ent­schei­dern nicht ernst­ge­nom­men wer­den. Ganz augen­schein­lich wird die­se Pro­ble­ma­tik, wenn das Bür­ger­vo­tum gewis­sen Inten­tio­nen der Poli­tik wider­spricht. Dann wäre feh­len­de Reprä­sen­ta­ti­vi­tät ein beque­mes Argu­ment, die unlieb­sa­me Mei­nung der Bür­ger vom Tisch zu wischen. Reprä­sen­ta­ti­vi­tät gibt dem Ver­fah­ren zudem einen Anstrich von Seriö­si­tät, Wis­sen­schaft­lich­keit und Pro­fes­sio­na­li­tät. Auf der ande­ren Sei­te führt die Über­be­to­nung von Reprä­sen­ta­ti­vi­tät mei­ner Mei­nung nach jedoch zu Fol­ge­er­schei­nun­gen, die dem Bür­ger­be­tei­li­gungs­ver­fah­ren ins­ge­samt nicht gut tun:

1. Bür­ger­be­tei­li­gung wird mit einer Umfra­ge verwechselt

Wir ken­nen ja das Phä­no­men aus Wahl­kampf­zei­ten. Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tu­te füh­ren eine Umfra­ge mit meist weni­gen Betei­lig­ten durch und schlie­ßen mit einer "Hoch­rech­nung" auf die Mei­nung der Grund­ge­samt­heit. Ein Bür­ger­haus­halt ist jedoch kei­ne Umfra­ge, son­dern ein Instru­ment der par­ti­zi­pa­ti­ven Demo­kra­tie, sprich der Bür­ger­be­tei­li­gung und ‑mit­be­stim­mung. Umfra­gen kön­nen auf ver­schie­de­ne Art und Wei­se durch­ge­führt wer­den, auch ein­fach nur in der Tages­zei­tung oder als eVo­ting auf einer Inter­net­sei­te. Ein Bür­ger­haus­halt soll dage­gen mög­lichst vie­len Bür­gern die Mög­lich­keit ein­räu­men, sich mit ihrer Mei­nung an wich­ti­gen finan­zi­el­len Ent­schei­dungs­pro­zes­sen der Kom­mu­ne zu betei­li­gen. Wenn ledig­lich auf die Reprä­sen­ta­ti­vi­tät einer Befra­gung Wert gelegt wird, tritt die­ser Aspekt in den Hin­ter­grund. Es ist dann nicht mehr so wich­tig, wie­vie­le Bür­ger sich tat­säch­lich betei­li­gen konn­ten, Haupt­sa­che Umfra­ge und Ergeb­nis­se sind reprä­sen­ta­tiv. Umfra­gen sind ein ein­fa­ches Mit­tel mit mög­lichst gerin­gem Auf­wand mög­lichst prä­zi­se Ergeb­nis­se zu erzie­len, d.h. zu Aus­sa­gen, Pro­gno­sen, Ein­schät­zun­gen, Trends usw. zu kom­men. Bür­ger­be­tei­li­gung ver­folgt ein völ­lig ande­res Ziel. Ich wür­de es so for­mu­lie­ren: mit einem ver­tret­ba­ren Auf­wand die größt­mög­li­che Zahl von Bür­gern an Ent­schei­dungs­pro­zes­sen zu betei­li­gen und damit einen hohen Grad an demo­kra­ti­scher Mit­be­stim­mung zu erreichen.

2. Poli­ti­ker bewer­ten die Ergeb­nis­se niedrig

Es ist ein gra­vie­ren­der Unter­schied, ob man Ergeb­nis­se eines Bür­ger­be­tei­li­gungs­ver­fah­rens vor­ge­legt bekommt, mit denen etwas getan wer­den muss oder aus einer Umfrage/Befragung ledig­lich einen Trend der Bür­ger­mei­nung zur Kennt­nis neh­men will. Im einen Fall wol­len Bür­ger mit­be­stim­men, was in der Poli­tik geschieht. Der Bür­ger­wil­le ist eine kla­re Auf­for­de­rung an die poli­ti­schen Ent­schei­der. Der Pro­zess ver­läuft von unten nach oben. Im ande­ren Fall schaut die Poli­tik von oben nach unten in die Bür­ger­schaft, was denn die Leu­te so zu einem The­ma den­ken. Im schlech­tes­ten Fall schaut man über­haupt nicht hin. Eine Umfra­ge muss man ja nicht so ernst neh­men. Lei­der muss man kon­sta­tie­ren, dass in Jena eher Letz­te­res der Fall ist. Zwar wur­de mit dem neu­en Regel­werk des Bür­ger­haus­halts auch die Rechen­schafts­le­gung mit beschlos­sen, der Stadt­rat igno­riert aber nach wie vor sei­nen eige­nen Beschluss und tut in die­ser Hin­sicht gar nichts. Dies ist ein deut­li­cher Hin­weis dar­auf, dass Poli­tik und Ver­wal­tung zwar damit ein­ver­stan­den sind, dass die Bür­ger zu bestimm­ten The­men befragt wer­den, sie aber an den eigent­li­chen Ent­schei­dun­gen nicht betei­li­gen wol­len. Wie der Name schon sagt, ist aber genau das Sinn und Zweck von Bürgerbeteiligung.

3. Weni­ger statt mehr Befragte

Wenn Bür­ger­be­tei­li­gung auf eine blo­ße Umfra­ge redu­ziert wird, muss man sich — wie wir gese­hen haben — um Reprä­sen­ta­ti­vi­tät bemü­hen, weil man sonst Gefahr läuft, dass die Ergeb­nis­se nicht ernst­ge­nom­men wer­den. Aus ver­schie­de­nen Grün­den könn­te man auf den Gedan­ken kom­men, dass für eine aus­rei­chen­de Reprä­sen­ta­ti­vi­tät gar nicht 15000 (oder mehr!) Befrag­te erfor­der­lich sind, son­dern weni­ger. Ein sol­cher Grund könn­te z. B. das Geld sein, das erfor­der­lich ist, um eine Befra­gung durch­zu­füh­ren. War­um nicht ein biss­chen spa­ren, wenn wir doch auf­grund der Reprä­sen­ta­ti­vi­tät auch bei einer klei­ne­ren Zahl von Befrag­ten schon aus­sa­ge­fä­hi­ge Ergeb­nis­se erhal­ten? Da sind wir wie­der bei den Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tu­ten. Die rufen 1000 Leu­te zu Hau­se an und ver­kün­den dann stolz den aktu­el­len Trend zu einer bestimm­ten Fra­ge oder sagen gar die Ergeb­nis­se von demo­kra­ti­schen Wah­len vor­aus. Die Stich­pro­be ist denk­bar gering, aber indem man nach gewis­sen Kri­te­ri­en aus­wählt, sind die Ergeb­nis­se aus­rei­chend reprä­sen­ta­tiv (oder auch nicht), um Ver­all­ge­mei­ne­run­gen zuzu­las­sen. Was für Umfra­gen und Trends sinn­voll und legi­tim ist, geht im Fal­le eines Bür­ger­be­tei­li­gungs­ver­fah­rens in die fal­sche Rich­tung. Hier sol­len mög­lichst vie­le Bür­ger sich betei­li­gen und mit­be­stim­men kön­nen. Die Mathe­ma­tik sagt uns zwar, dass sich bei einer reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge die Ergeb­nis­se wahr­schein­lich nicht groß von denen einer klei­ne­ren Stich­pro­be unter­schei­den wer­den. Ein Bür­ger­be­tei­li­gungs­ver­fah­ren gewinnt jedoch an Qua­li­tät, wenn sich in den Betei­li­gungs­pro­zess eine gro­ße Anzahl von Bür­gern ein­brin­gen kön­nen. Im Ide­al­fall alle. Bei Wah­len käme ja auch nie­mand auf den Gedan­ken, nur eine klei­ne reprä­sen­ta­ti­ve Anzahl von Bür­gern abstim­men zu las­sen und die Ergeb­nis­se auf alle Wahl­be­rech­tig­ten hoch­zu­rech­nen. Kön­nen alle Bür­ger am Ver­fah­ren teil­neh­men, stellt sich die Fra­ge nach der Reprä­sen­ta­ti­vi­tät der Befra­gung nicht, Stich­pro­be und Grund­ge­samt­heit sind identisch.

4. Online-Betei­li­gung ist weni­ger wert

Eine nur begrenz­te Stich­pro­be (15000 Bür­ger, die Bro­schü­ren erhal­ten) führt dazu, dass man par­al­lel nach ande­ren Mög­lich­kei­ten der Betei­li­gung sucht und da sind wir beim Inter­net. Es ist sehr ein­fach, über eine Inter­net­sei­te und ein pas­sen­des Umfra­ge-Tool (im Fal­le des Bür­ger­haus­halts Jena wird Lime­S­ur­vey ver­wen­det) eine sol­che Betei­li­gungs­mög­lich­keit bereit zu stel­len und zwar allen Bür­gern. So ein­fach und bequem die Online-Abstim­mung ist, so pro­ble­ma­tisch ist sie auch. Nur mit sehr hohem Auf­wand kann man die Mani­pu­la­ti­on des Abstim­mungs­er­geb­nis­ses (etwa durch Mehr­fach­ab­stim­mun­gen oder Hacking) ver­hin­dern. Je mehr Sicher­heits­bar­rie­ren aller­dings ein­ge­baut wer­den, umso höher ist die Betei­li­gungs­hür­de für Bür­ger, erst­recht wenn die­se auf den Schutz per­sön­li­cher Daten gro­ßen Wert legen. Beim Bür­ger­haus­halt Jena wird der­zeit ledig­lich eine gül­ti­ge Email­adres­se abge­fragt. Je ange­mel­de­ter Email­adres­se ist nur eine Abstim­mung mög­lich. Dabei wird schnell klar, dass die online erlang­ten Ergeb­nis­se nicht reprä­sen­ta­tiv sein kön­nen und zwar aus meh­re­ren Grün­den. Ich kann meh­re­re Email-Adres­sen nut­zen, um als ein und die­sel­be Per­son mehr­fach abzu­stim­men. Ich kann auch als Bür­ger von Ber­lin, Ros­tock oder Mos­kau mit abstim­men. Ich kann die Email­adres­sen mei­nes Part­ners oder mei­ner Kin­der nut­zen, um mei­ner eige­nen Mei­nung mehr Gewicht zu ver­lei­hen und deren Mei­nung ein­fach unter den Tisch fal­len las­sen. Und da jeder online teil­neh­men kann, ist die Stich­pro­be nur eine Zufalls­stich­pro­be, die im Ver­gleich zur Grund­ge­samt­heit nicht reprä­sen­ta­tiv ist. So sind Män­ner tech­ni­kaf­fi­ner und stim­men lie­ber online ab, was dazu führt, dass der Anteil der betei­lig­ten Män­ner im Inter­net im Ver­gleich zu den Frau­en höher (fast 70%) und damit nicht reprä­sen­ta­tiv ist. Reprä­sen­ta­tiv wäre in Jena ein Ver­hält­nis von 49% Män­ner und 51% Frau­en. Beson­ders pre­kär wird die­ses Pro­blem, wenn es um sehr emo­tio­na­le The­men geht, so gesche­hen im letz­ten Jahr beim Bür­ger­be­tei­li­gungs­ver­fah­ren zum The­ma Sport­för­de­rung. Hier liegt es nahe, die Befür­wor­ter eines gewünsch­ten Ergeb­nis­ses zu mobi­li­sie­ren, was die Reprä­sen­ta­ti­vi­tät jedoch stark ver­zerrt. Wenn sich die über­gro­ße Mehr­heit der FCC-Fans für eine Mul­ti­funk­ti­ons­are­na aus­spricht, weiß ich immer noch nicht, wie der Rest der Bevöl­ke­rung dar­über denkt.

Die­se Pro­ble­me füh­ren regel­mä­ßig dazu, die Ergeb­nis­se der Online-Abstim­mung in der Aus­wer­tung zwar auf­zu­füh­ren, man­gels Reprä­sen­ta­ti­vi­tät in der Bewer­tung aber außen vor zu las­sen. Das mag mathe­ma­tisch-sta­tis­tisch gese­hen kor­rekt sein, im Sin­ne des Bür­ger­be­tei­li­gungs­ver­fah­rens ist es fatal. War­um soll gera­de mei­ne Stim­me weni­ger wert sein, nur weil ich im Inter­net abge­stimmt habe? War­um darf ich zwar mit abstim­men, aber mei­ne Mei­nung spielt dann hin­ter­her trotz­dem kei­ne oder kaum eine Rol­le? Und wird mich das in Zukunft moti­vie­ren, wie­der online an einem Betei­li­gungs­ver­fah­ren teilzunehmen?

5. Reprä­sen­ta­ti­vi­tät kann nicht voll­stän­dig sein

Die Reprä­sen­ta­ti­vi­tät einer Befra­gung, auf die sich Poli­ti­ker so gern ver­las­sen, kann aus logi­schen Grün­den immer nur eine begrenz­te Reprä­sen­ta­ti­vi­tät oder gar Pseu­do-Reprä­sen­ta­ti­vi­tät sein. Wie wir gese­hen haben, erfolgt die Aus­wahl der 15000 Befrag­ten des Jena­er Bür­ger­haus­halts nach gewis­sen Kri­te­ri­en. Wei­te­re Para­me­ter kön­nen in der Befra­gung selbst erho­ben wer­den (im Fal­le des dies­jäh­ri­gen Bür­ger­haus­halts z. B. Alter, Geschlecht und Post­leit­zahl). Ande­re — mög­li­cher­wei­se sehr wich­ti­ge Para­me­ter — wer­den jedoch außer Acht gelas­sen, ent­we­der weil man sie nicht abfra­gen will oder weil sie erst nach der Befra­gung, im Zuge der Aus­wer­tung der Ergeb­nis­se, als rele­vant erschei­nen. Da es sich beim Bür­ger­haus­halt immer um finan­zi­el­le Belan­ge han­delt, wäre bei­spiels­wei­se die Abfra­ge des Ein­kom­mens der Befrag­ten oft sinn­voll. Ver­ständ­li­cher­wei­se haben vie­le Bür­ger Beden­ken, wenn es um sehr per­sön­li­che Daten geht, was mög­li­cher­wei­se zu einer gerin­ge­ren Betei­li­gung führt oder Anga­ben nicht gemacht werden.

Bei den Ergeb­nis­sen des dies­jäh­ri­gen Bür­ger­haus­halts fiel z. B. auf, dass bei der Online-Abstim­mung mehr Befrag­te bereit waren, einen bestimm­ten Obo­lus zur Ent­schul­dung bei­zu­tra­gen (Ant­wort auf Fra­ge 3: 69% online, 59% bei der Post­rück­sen­dung). Wenn man gleich­zei­tig weiß, dass sich vor allem Män­ner einer bestimm­ten Alters­grup­pe (30 — 49 J.) online betei­li­gen, dann könn­te man behaup­ten, dass die­se Per­so­nen des­we­gen so abstim­men, weil sie einer höhe­ren Ein­kom­mens­klas­se ange­hö­ren. Da das Ein­kom­men aber nicht abge­fragt wird, bleibt dies Spe­ku­la­ti­on. Reprä­sen­ta­tiv ist an die­ser Stel­le schon lan­ge nichts mehr, weil auf das ver­füg­ba­re Ein­kom­men oder Ver­mö­gen als Para­me­ter kein Wert gelegt wur­de. Je nach The­ma der Befra­gung könn­ten auch ande­re Para­me­ter wich­tig sein und eine Rol­le spie­len, bei­spiels­wei­se der Beruf, der Bil­dungs­grad, Frei­zeit­ver­hal­ten, Fami­li­en­stand, Kin­der­zahl usw. Das führt dazu, dass wir beim Bür­ger­haus­halt zwar eine nach PLZ, Alter und Geschlecht reprä­sen­ta­ti­ve Befra­gung durch­füh­ren, aber nicht wis­sen, ob wir bei­spiels­wei­se vor­ran­gig Aka­de­mi­ker oder Leh­rer oder Leu­te mit einem bestimm­ten Ein­kom­men befra­gen. In die­ser Hin­sicht ist die Befra­gung also über­haupt nicht reprä­sen­ta­tiv und kann es auch gar nicht sein. Um größt­mög­li­che Reprä­sen­ta­ti­vi­tät zu errei­chen, müss­ten sich die Ver­hält­nis­se in der Grund­ge­samt­heit so nah wie mög­lich auch in der gewähl­ten Stich­pro­be wider­spie­geln. Das erweist sich in der Rea­li­tät aber als schwie­rig, wenn nicht gar unmöglich.

Hin­zu kommt, dass es einen Unter­schied gibt zwi­schen der Reprä­sen­ta­ti­vi­tät der Befra­gung (wen wäh­len wir als Stich­pro­be aus?) und der Reprä­sen­ta­ti­vi­tät der Ergeb­nis­se (wer ant­wor­tet und wie ver­än­dert sich die Stich­pro­be dadurch?). Letz­te­re kann von der Stich­pro­be unter Umstän­den deut­lich abwei­chen, sodass im nach­hin­ein mit Gewich­tungs­fak­to­ren Anpas­sun­gen vor­ge­nom­men wer­den müssen.

Fazit

Bür­ger­be­tei­li­gung ist ein par­ti­zi­pa­ti­ver Pro­zess, der die Mit­be­stim­mung der Bür­ger bei poli­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen stärkt. Je mehr Bür­ger sich betei­li­gen kön­nen und von die­ser Mög­lich­keit auch Gebrauch machen, um so bes­ser. Die­sen Pro­zess auf eine Umfra­ge zu redu­zie­ren und ledig­lich dar­auf abzu­stel­len, dass die­se Umfra­ge so reprä­sen­ta­tiv wie mög­lich ist, geht am Wesen von Bür­ger­be­tei­li­gung vor­bei. Obwohl Bür­ger auf­ge­for­dert wer­den, sich an Ent­schei­dun­gen zu betei­li­gen, wird ihr Votum nicht ernst­ge­nom­men und ledig­lich als Umfra­ge­er­geb­nis betrach­tet, das man zur Kennt­nis neh­men kann — oder auch nicht. Die kon­kre­te Rechen­schafts­le­gung gegen­über den Bür­gern wird für nicht erfor­der­lich gehal­ten und ver­mie­den. Der Stadt­rat betrach­tet sich nach wie vor als allei­ni­ger Ent­schei­der und möch­te die­se Ent­schei­dungs­ho­heit auch in Tei­len nur ungern an die Bür­ger abgeben.

Das Dilem­ma, in dem wir uns befin­den, soll­te dis­ku­tiert und Aus­we­ge gesucht wer­den. Mög­lich wäre bei­spiels­wei­se ganz auf die Online-Befra­gung zu ver­zich­ten und dafür die Zahl der ver­schick­ten Bro­schü­ren merk­lich zu erhö­hen. Nach wie vor wäre jedoch die idea­le Lösung für die geschil­der­ten Pro­ble­me, grund­sätz­lich allen (oder wenigs­tens allen wahl­be­rech­tig­ten) Bür­gern die Mög­lich­keit ein­zu­räu­men, sich am Bür­ger­haus­halt zu betei­li­gen. Dann wäre die "Stich­pro­be" mit der Grund­ge­samt­heit iden­tisch und das Pro­blem der Reprä­sen­ta­ti­vi­tät wür­de sich zumin­dest in der Aus­wahl der Befrag­ten nicht stel­len. Es wäre auch klar, dass es sich dann um ein Ent­schei­dungs­in­stru­ment der Bür­ger­schaft han­delt und nicht nur um eine belie­bi­ge Umfra­ge. Das Votum aus einem sol­chen Ver­fah­ren zu igno­rie­ren, wür­de poli­ti­schen Ent­schei­dern sehr schwer fal­len. Anders als der Bür­ger­wil­le zu han­deln, kann im Ein­zel­fall gute Grün­de haben. Die­se Grün­de muss man ein paar Hun­dert oder Tau­send Befrag­ten nicht erklä­ren, der gesam­ten Bür­ger­schaft dage­gen schon (öffent­li­che Rechen­schafts­le­gung). Ein sol­ches Ver­fah­ren kos­tet erheb­lich mehr Geld als es der­zeit der Fall ist. Es obliegt den ein­zel­nen poli­ti­schen Par­tei­en und Akteu­ren im Stadt­rat zu erklä­ren, wie­viel ihnen Bür­ger­be­tei­li­gung in unse­rer Stadt wert ist. Es obliegt aber auch den Bür­gern, ange­bo­te­ne Instru­men­te der Bür­ger­be­tei­li­gung zu nut­zen, sich ein­zu­brin­gen und die­je­ni­gen poli­ti­schen Kräf­te — z. B. bei Wah­len — zu unter­stüt­zen, für die Bür­ger­be­tei­li­gung und ‑mit­be­stim­mung mehr ist als nur ein zeit­ge­mä­ßes Män­tel­chen, das einem gut zu Gesicht steht.

(Anmer­kung: Obwohl der Ver­fas­ser Mit­glied der AG Bür­ger­haus­halt ist, ist die­ser Text kei­ne offi­zi­el­le Ver­laut­ba­rung der AG, son­dern ledig­lich eine Zusam­men­fas­sung per­sön­li­cher Gedan­ken zum Thema.)


Jena, Kommunalpolitik
Bürgerbeteiligung, Stadtrat, Demokratie, Bürgerhaushalt, Bürger

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