
Unvernunft in Aktion
Warum man schönen Worten keine Taten folgen lassen will
In der Stadtratssitzung am 13. November stand ein bürgerfreundlicher Antrag auf der Tagesordnung: Zum § 10 der Geschäftsordnung, der sich mit Bürgeranfragen im Stadtrat beschäftigt, sollte ein Absatz mit folgendem Wortlaut hinzugefügt werden:
"Die Anfrage des Bürgers ist in der Tagesordnung mit ihrem Titel aufzuführen und online in gleicher Weise wie die Anfragen von Stadträten im Wortlaut bereitzustellen. Der Bürger kann der Veröffentlichung widersprechen. Bei Bedarf ist ihm durch das Büro des Stadtrates Hilfe bei der Formulierung anzubieten. Die Anfrage des Bürgers wird wie andere Redebeiträge im Sitzungsprotokoll dokumentiert.“
Bisher sieht die Tagesordnung im Sitzungskalender des Stadtrates nämlich so aus, wie oben im Titelfoto zu sehen.
Während Anfragen von Stadträten in der "Fragestunde" mit vollem Wortlaut und — zumindest hin und wieder — sogar mit der schriftlichen Beantwortung zum Nachlesen bereitgestellt werden, gibt es bei den Bürgeranfragen in der "Bürgerfragestunde" nur eine schnöde Verwaltungsnummer und ansonsten nichts.
Bürgeranfragen sind es offensichtlich bisher nicht wert, veröffentlicht zu werden. Wer also nun brennend gern wissen will, was beispielsweise der gute Herr Mäs zum Thema Pennickental nachzufragen hatte, wird enttäuscht, muss die Sitzung persönlich verfolgen oder auf die Erwähnung in der Niederschrift der Sitzung warten, die natürlich erst sehr viel später kommt. Was Bürger mit ihrer ganz eigenen und erfahrungsreichen Sicht auf Geschehnisse und Probleme in der Stadt wissen wollen, ist im Sitzungsablauf der gewählten Volksvertreter eher uninteressant.
Kommen wir auf den Antrag zurück. Ein kleiner, fast beiläufiger Antrag, der weder die Weltrevolution noch den Umsturz im Stadtrat fordert, sondern einfach nur die überflüssige und anachronistische Ungleichbehandlung und Intransparenz bei Bürgeranfragen beenden möchte. Dabei sind die Antragsteller sogar außerordentlich feinfühlig vorgegangen. Wer nämlich genau liest, wird feststellen, dass man dabei jenen Bürgern entgegenkommt, die — aus welchen Gründen auch immer — eine Veröffentlichung nicht möchten oder bei der Formulierung Hilfe benötigen. Letzteres wäre darüber hinaus ein wichtiger Beitrag zur Inklusion von Menschen, denen es schwerfällt, ihre Interessen selbst und frei von der Leber weg zu äußern.
Kann man etwas gegen diesen Antrag haben und allen Ernstes dagegen stimmen?
Ja, kann man. Zumindest wenn man Mitglied der alten/neuen Stadtratskoalition aus CDU, SPD und Grünen ist. So geschehen in der erwähnten Sitzung. Man kann nun erstaunt fragen, was denn gegen diesen Antrag spricht oder welche gewichtigen Gründe für die Ablehnung vorgetragen wurden. Fehlanzeige. Es wurde gar nichts dazu vorgetragen und kein einziges Argument geäußert. Er wurde einfach nur niedergestimmt. Ohne Wenn und Aber.
Erst vor kurzem konnte man in einer Berichtsvorlage zur "Entwicklung der Informationstechnologie" der Stadt Jena an den Stadtrat lesen:
"Die Stadt Jena betrachtet Bürger und Unternehmen als Partner und pflegt einen kooperativen und fairen Kommunikationsstil."
Welche Bürger in der Leitlinie an dieser Stelle gemeint sein könnten, erschliesst sich schon wenige Tage später nicht mehr. Denn die regierende Stadtratsmehrheit ist noch nicht einmal bereit, die Anfragen von Bürgern im Wortlaut in einer Tagesordnung zu veröffentlichen. Fairer Kommunikationsstil? Wohl kaum.
In der Begründung der kürzlich verabschiedeten Beschlussvorlage des Oberbürgermeisters "Neue Wege der Bürgerbeteiligung in Jena" finden sich diese denkwürdigen Sätze:
"Die Bürgerschaft möchte die Zukunft 'ihrer Stadt' mitgestalten und ist dabei auch bereit, ihre Positionen entschlossen durchzusetzen. [...] Diese neue Dynamik der Bürgerbeteiligung stellt — wenn sie ernstgenommen wird — auch die Kommunen vor große Herausforderungen, was nicht nur ihr Handeln nach außen, sondern ebenfalls nach innen, im Hinblick auf die Konzeption und Organisation von Beteiligungsprozessen betrifft. Ziel muss es sein, die Interessen und das Handeln von Kommune, Bürgerschaft und Politik in einen vertrauensvollen, stetigen Trialog zu bringen."
Ja, ein vertrauensvoller, stetiger Trialog, in dem man bereit ist, den Bürger ernstzunehmen — wäre das nicht schön? Schön auch die Worte, in die diese hehren Ziele gefasst sind. An der größten Herausforderung, der eigenen Glaubwürdigkeit, sind die Koalitionäre schon gescheitert, bevor sie überhaupt angefangen haben, irgendetwas dahingehend umzusetzen. Mal vorausgesetzt, dass sie es wollen. Die peinliche Farce im Stadtrat lässt da — mal wieder — Raum für eine Menge Zweifel.
Ach ja, was war denn nun der eigentliche Grund dafür, warum man den Antrag zur Veröffentlichung von Bürgeranfragen abgelehnt hat. Ganz einfach: er wurde von der Opposition (den Piraten) gestellt. Bar jeglicher Vernunft, aber umso reicher an Kleingeist genügt das schon, um sinnvolle, sachlich vorgetragene und bürgerfreundliche Initiativen vom Tisch zu wischen.
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