Eichplatz-Tricks
Wie man weiß, ist der Eichplatz mitten im Zentrum von Jena seit Jahren ein heiß umkämpftes Areal. Während die Stadt und die im Stadtrat regierende Koalition aus SPD, CDU und Grünen die derzeit als Parkplatz genutzte Fläche verkaufen und komplett mit einem Einkaufszentrum und ein paar Wohnungen bebauen will, stellen sich die Bürger quer und sind bockig. Jenenser und Jenaer sind nicht so leicht zu überzeugen, dass 15000 qm oder mehr Einkaufsfläche an dieser Stelle das Nonplusultra einer attraktiven Stadtentwicklung sind. Der bisherige Verlauf der Geschichte ist bekannt: Wer meint, ein so großes und wichtiges Vorhaben am Bürgerwillen vorbei realisieren zu können, dem fliegt alles um die Ohren. Zwei Bürgerinitiativen kanalisierten den Widerstand und ließen die großangelegte und teure Werbekampagne der Stadt ins Leere laufen. Man muss an dieser Stelle daran erinnern, dass über 55000 Bürger an der Befragung zum Eichplatz teilnahmen, wovon 62 % das Konzept von OFB/Jenawohnen ablehnten. Eindeutiger kann ein Ergebnis kaum sein. Die Koalition knickte ein, gab sich eine Zeit lang zerknirscht, der Verkaufsbeschluss wurde gekippt, nicht jedoch der Bebauungsplan. Die Bürgerinitiativen legten nach und veranstalteten eine Ideenwerkstatt zur Zukunft des Eichplatzes, in der sich deutlich mehr als 1000 Bürger beteiligten und insgesamt 600 Fragebögen mit Vorschlägen ausgewertet wurden. Weitere große Worte von offizieller Seite folgten. So erklärte der Oberbürgermeister in der Presse das Projekt für beendet und Stadtentwicklungsdezernent Denis Peisker sprach von einem Neuanfang in Gestalt eines weißen Blatts Papier. Der aufgrund der jetzt fehlenden Verkaufserlöse in diesem Zusammenhang angedrohte Baustopp für die neue Schule in Jena-Ost erwies sich als Luftnummer. Schon ein halbes Jahr später gingen die diesbezüglichen Beschlüsse durch Ausschuss und Stadtrat.
Obwohl der OB damals meinte, es gäbe "keine Tricks und Hintertürchen", die Ergebnisse der Bürgerbefragung würden als "ein Zeichen starker Demokratie" akzeptiert, muss man aus aktueller Sicht leider zu einer anderen Einschätzung kommen. Es wird immer deutlicher, dass man keineswegs gewillt ist, den erklärten Bürgerwillen als Auftrag für eine grundsätzlich neue Herangehensweise an das Eichplatz-Projekt zu begreifen. Vielmehr arbeitet man nun tatsächlich trickreich und durch die Hintertür an der Wiederbelebung eines schon zu Grabe getragenen Konzepts. Es ist dabei gleichgültig, ob dafür OFB oder Jenawohnen noch zur Verfügung stehen. Fakt ist, dass gebaut werden soll und die Prämissen sich nicht von denen vor der Bürgerbefragung unterscheiden. Es liegt im Ermessen des Lesers für sich zu entscheiden, ob die Folge der Ereignisse reiner Zufall oder Absicht sind:
1 — Ausbooten der Eichplatz-Bürgerinitiativen
Mit dem Beschluss der Vorlage Nr. 15/0345-BV "Wiederaufnahme des Prozesses zur Entwicklung des Eichplatzareals" wurden drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Man bekleidete sich mit einem minimalen Feigenblatt der Bürgerbeteiligung, stellte gleichzeitig die Eichplatz-Bürgerinitiativen kalt und ignorierte die Ergebnisse der Ideenwerkstatt. Beschlossen wurde nämlich, 400 Bürger (von 85000 Wahlberechtigten!) anzuschreiben, um 30 von ihnen zur Mitarbeit in einem neuen Eichplatz-"Gremium" zu bewegen. Dabei soll die „Nutzung von Gutachten und Vorarbeiten aus bisherigen Verfahren” im Mittelpunkt stehen, ein Schelm, der Böses dabei denkt. Die Teilnahme der bisher aktiv am Thema Eichplatz arbeitenden Bürgerinitiativen ist nicht vorgesehen, auch nicht beratend oder vertretungsweise. Und schließlich spielen die Ergebnisse der Ideenwerkstatt vermutlich keine größere Rolle, denn diesen warf man im selben Atemzug eine „übergroße Vielfalt der Ideen und fehlende Repräsentativität” vor. Zum Thema Repräsentativität wird noch einiges zu sagen sein.
Änderungsanträge zur Beschlussvorlage von Eckhard Birckner (BfJ), Heidrun Schrade (BfJ), Heidrun Jänchen (Piraten) und der Fraktion der Linken, die mehr Bürgerbeteiligung und die Einbeziehung der Bürgerinitiativen forderten, wurden selbstredend abgelehnt. Alles was von der Opposition kommt, wird abgelehnt, ganz egal, worum es geht.
2 — Eichplatz bekommt Priorität im Wohnbaukonzept
Das bisher nur im Stadtentwicklungsausschuss in zwei "Lesungen" beratene Konzept "Wohnen in Jena 2030" (Nr. 15/0370-BV) priorisiert für die nächsten 15 Jahre lediglich die Entwicklung von drei Wohnbauflächen: das Bachstraßenareal, den Jenzigfuß und — natürlich — den Eichplatz. Alle drei sind hochproblematisch: das Bachstraßenareal wegen der Eigentumsfrage, der Jenzigfuß wegen der dortigen Kleingärten und der sensiblen Landschaftslage und der Eichplatz wegen der gerade erst gescheiterten Bebauungspläne. Da der Rest des Konzepts äußerst mager, um nicht zu sagen simpel gestrickt ist und der Bedeutung des Themas für Jena nicht annähernd gerecht wird, ist die Vermutung naheliegend, dass mit dem Beschluss lediglich die genannten Flächen festgeklopft werden sollen. Alles andere ist Rhetorik ohne praktische Relevanz.
3 — Eichplatz bekommt Priorität im neuen Einzelhandelskonzept
Braucht man ein bestimmtes Ergebnis, so beauftragt man jemanden, der einem das gewünschte Ergebnis liefert. So einfach ist das. Im Falle des Entwicklungskonzepts "Einzelhandel Jena 2025" (Nr. 15/0415-BV) übernahm diese Aufgabe die Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung mbH Ludwigsburg, kurz GMA. Mit etwas Mühe erinnern wir uns daran, dass es die GMA war, die im September 2013 das Einzelhandelsgutachten für die Eichplatzbebauung vorgelegt hatte. Während GMA 2013 noch vor Verwerfungen im Einzelhandel durch die Eichplatzbebauung warnte, nicht unerhebliche "städtebauliche Folgewirkungen" konstatierte und freimütig feststellte, "dass die maximal verträglichen Verkaufsflächen durch Einzelhandelsmieter in Jena gar nicht zu belegen wären", hört sich das zwei Jahre später schon anders an: "Eine Entwicklung des Eichplatzareals ... ist insgesamt wie folgt zu bewerten: Je nach Belegung des Gesamtareals u.a. mit Markenstores und Magnetbetrieben kann ein starker Impuls für die Gesamtentwicklung der Innenstadt, aber auch der gesamtstädtischen Entwicklung als Handelsplatz erfolgen." Das ist genauso neutral und objektiv, als wenn man die Ersteller des Jenaer Mietspiegels mit der Begutachtung der Tauglichkeit des Mietspiegels als wohnungspolitisches Instrument beauftragen würde. Huch, auch das ist in Jena passiert, steht aber auf einem anderen Blatt.
"Zur Absicherung der Datengrundlage", wie es so schön heißt, führte die GMA eine "Haushaltsbefragung" durch, die von 297000 Einwohnern im sogenannten Einzugsgebiet ganze 507 per Telefoninterview erreichte. Schaut man sich die Bevölkerungsverteilung im Einzugsgebiet an, kommt man für Jena (36 %) auf die unglaubliche Anzahl von 183 Befragten. Natürlich wurde dabei gezielt nach dem Eichplatz gefragt. Dabei kam man zu folgendem Ergebnis: "Die Mehrheit der Befragten aus Jena als auch von außerhalb sahen eine Stärkung (des Einkaufsortes Jena, Anm.d.V.) durch die Ausweitung und Änderung des Einzelhandelsangebotes in der Stadt. 42,4 % der Befragten von außerhalb verbanden dies mit einer Nutzung des Eichplatzgebietes und der Etablierung neuer Geschäfte, während dies lediglich 15,3 % Personen aus Jena befürworteten." Noch viel interessanter ist jedoch folgender Abschnitt: "Zur weiteren Nutzung bzw. Umnutzung des Eichplatzareals hatten die Befragten zahlreiche Vorschläge, wobei die Ergebnisse der Befragten sowohl aus Jena als auch von außerhalb ein recht einheitliches Meinungsbild zeigen. Der Großteil der Befragten (47,6 % aus Jena; 61,1 % von außerhalb) befürwortete eine Nutzung als Park, Grünbereich oder Ruhezone."
Diese Ergebnisse aus einer nicht repräsentativen Befragung auf der Basis einer lächerlich kleinen Stichprobe nahm die Koalition zum Anlaß, in der Sitzung des Stadtrates am 17.06.2015 eine uneingeschränkte Zustimmung der Jenaer Bevölkerung zur Bebauung des Eichplatzes und der dortigen Entwicklung von Einzelhandelsflächen herauszulesen. Eine reife Leistung. Darüber hinaus brachte es Herr Giebe von der SPD fertig, der Piraten-Stadträtin und Eichplatz-Aktivistin Frau Dr. Jänchen vorzuwerfen, sie würde die Ergebnisse der "Bürgerbeteiligung" im Zuge des Einzelhandelskonzepts ignorieren, weil ihr die Ergebnisse nicht passten. Das muss man erstmal drauf haben. Hat Herr Giebe nicht richtig gelesen? Und seit wann ist eine Befragung am Telefon ein Instrument der Bürgerbeteiligung? Und ist es nicht hochgradig unseriös, 34000 Nein-Stimmen beiseite zu wischen und eine Handvoll Was-auch-immer-Befürworter aus 183 Befragten für maßgeblich zu erklären? Man darf gespannt sein, welche Blüten diese Art der konstanten Realitätsverweigerung noch treibt.
Liebe Leute, eure Tricks sind aus der Mottenkiste und die Taktik leicht zu durchschauen. Das Bemühen, doch noch etwas zu zementieren, was nicht mehr zu zementieren ist, erscheint schon fast bemitleidenswert. In Anlehnung an Bert Brecht fühlt man sich herausgefordert zu rufen: Wäre es da nicht doch einfacher, die Koalition löste die Jenaer Bürgerschaft auf und wählte eine andere?
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