Leider nichts verstanden ...
In einem kürzlich erschienenen Zeitungsinterview äußerte sich der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter zum Thema Eichplatz so:
Frage: Mit Abstand betrachtet: Woran ist die Bürgerbefragung zum Eichplatz gescheitert?
Antwort OB: Aus heutiger Sicht hätten wir die Befragung anders anlegen müssen: Hätten zwei Alternativen zur Wahl gestanden, hätten wir heute eine Lösung. Insgesamt ist es uns nicht gelungen, die Bürger davon zu überzeugen, wie wichtig das Schließen dieser Lücke in der Stadt ist.
Die Aussage zeigt ziemlich gut, was Herr Schröter von Bürgerbeteiligung hält und wie er den Ausgang des Beteiligungsverfahrens zum Eichplatz wertet. Er bedauert im nachhinein lediglich die falsche Taktik, die die Stadt bei der "Überzeugung" der Bürger angewendet hat! Die Offenheit, mit der er das zugibt, ist frappierend. Er gibt sich gar keine Mühe, das rhetorisch irgendwie gut zu verpacken, wie wir es von Politikern gewöhnt sind. Es gibt keinerlei Eingeständnis eines Fehlers in der grundsätzlichen Herangehensweise an dieses für Jena so wichtige Thema. Wurden die Wünsche und Bedürfnisse der Jenaer Bürger vielleicht übergangen? Egal. Hätte man nicht vor dem Start des Verfahrens einen umfassenden Prozess der Bürgerbeteiligung in Gang setzen müssen? Nö. Entsprechen die von der Stadt gewählten Prämissen einer Komplettbebauung und der umfangreichen Ausweitung von Einzelhandelsflächen möglicherweise nicht dem Interesse einer Mehrheit der Jenaer Bürgerschaft? Macht doch nix. War es ein Fehler, mit einer groß angelegten und teuren Werbekampagne die Bürgermeinung und den öffentlichen Widerstand glatt bügeln zu wollen? Ganz im Gegenteil.
Man mag es wirklich kaum glauben. Aber Herr Schröter ist tatsächlich der Meinung, dass man nur nicht geschickt genug war, was die Manipulation der öffentlichen Meinung anbelangt. Hätte man statt einem Entwurf noch eine Alternative mit zur Abstimmung gestellt, wären die Bürger in die Falle getappt und hätten sich mit Sicherheit für eine Variante positioniert. Selbstredend und stillschweigend steckt dabei die Annahme dahinter, dass auch das Alternativmodell die mehr oder weniger gleichen Prämissen gehabt hätte. Leider hat Herr Schröter nicht verstanden, dass ernstgemeinte Bürgerbeteiligung nicht zuletzt darin besteht, ein Stück der eigenen Macht und Deutungshoheit abzugeben und in die Hände der Bürger zu legen. Und zwar ganz unabhängig davon, ob einem das Ergebnis dann behagt oder nicht.
Abstrahiert man diese Denkweise auf die Bürgerbeteiligung insgesamt in dieser Stadt, kann einem das Grausen kommen: eine Stadt, die nicht die geringste Lust hat, ihre Bürger ernsthaft einzubeziehen oder gar mitentscheiden zu lassen. Stattdessen denkt man darüber nach, welche Vorgehensweise denn die erfolgversprechendste ist, wenn es darum geht, die eigenen Pläne auf Biegen oder Brechen durchzusetzen — ganz gleich was der Störenfried Bürger dazu denkt. Ich habe ja erst kürzlich Vermutungen über die Strategie der Stadt geäußert, den neu anzuschiebenden Eichplatz-Prozess so zu lenken, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die Äußerung des Oberbürgermeisters bestätigt das auf erschreckende Art und Weise. Man muss sich dann auch nicht mehr wundern, dass der Oberbürgermeister seit Jahren in Sachen Bürgerbeteiligung eine Leerstelle ist. Während sich in anderen Städten die Bürgermeister an die Spitze der Bemühungen um mehr Bürgerbeteiligung stellen und beispielsweise ihren Bürgerhaushalt aktiv bewerben, hört man in dieser Richtung in Jena gar nichts. Lediglich in der jährlichen Haushaltsbroschüre des Bürgerhaushalts finden wir das gewohnt freundliche Konterfei des OB — vor einem Vorwort, das andere für ihn verfassen. Als langjähriger Mitstreiter in der AG Bürgerhaushalt frage ich mich Jahr für Jahr, was das große Schweigen zum Bürgerhaushalt zu bedeuten hat. Kein Aufruf zur Beteiligung durch politische Akteure, schweigende Stadträte und ein OB, der sich mit dieser schon seit vielen Jahren gut funktionierenden Institution der Bürgerbeteiligung in der Stadt offensichtlich nicht so recht solidarisieren mag. Auch zur öffentlichen Auftaktveranstaltung "Neue Wege der Bürgerbeteiligung" suchte man den Oberbürgermeister vergeblich. Er war irgendwo in der Welt unterwegs. Für ein Grußwort, eine Videobotschaft, eine motivierende Geste, einen Aufruf sich einzubringen blieb da natürlich keine Zeit.
"Neue Wege der Bürgerbeteiligung" gehen zu wollen, ist löblich und außerordentlich begrüßenswert. Es ist mir ebenso bekannt, dass es zumindest einige Mitarbeiter der Stadtverwaltung gibt, die sich dafür ehrlich engagieren und das Thema auch persönlich für wichtig erachten. Doch der politische Impuls dahinter, der vorantreibt und die Bürgerschaft mitnehmen will, fehlt. Man schaut "nach oben", zur Spitze der Stadt und nimmt dort einen Oberbürgermeister wahr, der bedauert, die Bürger in ihrer Entscheidung nicht klug genug hinters Licht geführt zu haben. Für die Zukunft lässt das nicht viel Spielraum für Hoffnungen und Erwartungen. Leider.
3 thoughts on “Leider nichts verstanden ...”
Auch in Dresden ist — Dank des aktuellen OB-Wahlkampfes — das Thema Bürgerbeteiligung ganz oben auf der Agenda.
Was in Jena der Eichplatz, ist in Dresden der Ausbau der Königsbrücker Straße.
Dabei nehmen sich die Parteien bezüglich der Forderungen nach mehr(!) Bürgerbeteiligung fast nichts, vergessen aber auch gerne, dass wir (mE sinnvollerweise) in einer repräsentativen Demokratie und in einem Rechtsstaat leben, in dem direkte Demokratie eben "nur" eine Ergänzung ist bzw. sein soll.
Viele dieser (unerfüllbaren) Forderungen erwecken mE falsche Hoffnungen, die dann zwangsläufig enttäuscht werden und zu (noch mehr) Politikverdrossenheit führen.
Es wird mE höchste Zeit für eine ehrliche(!) Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen von Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie.
Gruß Fidel
Repräsentative Demokratie schön und gut, aber in welchem Zustand befindet sich dieses System? Und funktioniert es so, wie man es gedacht und erwartet hatte? Nicht ohne Grund spricht man ja mittlerweile von postdemokratischen Zuständen.
Ich bin ein großer Freund von direkter Demokratie. Man muss dann allerdings auch den Mut haben, die Entscheidungen der Mehrheit anzuerkennen und darf diese nicht von vornherein durch Erwartungshaltungen, moralischen und politischen Druck manipulieren oder diskreditieren. Ich weiß nicht, wie und in welcher Form man eine Art Schweizer Modell auf ein Land wie Deutschland übertragen könnte, allerdings hat man es bisher auch noch nie versucht.
1. Nur weil man ™ von postdemokratischen Zuständen spricht, heißt das noch lange nicht, dass dem auch so ist.
2. Wo ist der Unterschied zwischen dem Anerkennen von Entscheidungen, die repräsentativ bzw. direktdemokratisch getroffen wurden? Schon heute werden mehrheitlich getroffene Entscheidungen nicht respektiert. Warum sollte sich das ändern?
3. Sehe ich in Deinem Post nur Fragen, aber keine Antworten.
Gruß Fidel