Gift für die Welt
"Er war ein Zeuge des Jahrhunderts. Richard von Weizsäcker hat sich um unser Land verdient gemacht. Wir werden ihn nicht vergessen."
(Bundespräsident Joachim Gauck)
Dr. Richard von Weizsäcker ist im Alter von 94 Jahren in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Auf der Jagd war er ein ganzes Leben lang gewesen. Im zweiten Weltkrieg beispielsweise nach Ruhm als tapferer Wehrmachtsoffizier (Eisernes Kreuz 1. und 2. Klasse), nach dem Krieg vor allem nach Geld, politischer Karriere und Reinwaschung von den eigenen Sünden.
Weizsäcker war von 1984 bis 1994 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und gilt heute als tugendhafter Vorzeigepolitiker par excellance. Und so überschlagen sich auch die Nachrufe in Lobpreisungen und politischer Verehrung. Der aktuelle Bundespräsident nennt ihn eine "moralische Instanz". ((http://web.de/magazine/politik/trauer-richard-weizsaecker-30413388)) Die Bundeskanzlerin möchte nicht nachstehen und bescheinigt ihm, dass er "eine der wichtigsten und geachtetsten Persönlichkeiten unseres Landes" war. Und selbst der französische Sozialist Hollande ist der Meinung, Weizsäcker habe durch seine persönliche Geschichte und seine moralische Haltung die Geschichte Deutschlands geprägt. Nun, das ist eine gute Gelegenheit, ein Kapitel in der persönlichen Geschichte dieses "großartigen Menschen" (Gauck) noch einmal aufzuschlagen.
Anfang der 60iger Jahre planten die Amerikaner wieder einmal einen einträglichen Krieg – natürlich nur für Freiheit, Demokratie, die Sicherheit des Westens, die Ehre der Nation usw., wir kennen das ja mittlerweile zur Genüge. Als strategisches Sicherheitsrisiko für das mächtigste Land der Welt wurde ein Hort des Kommunismus, das kleine Vietnam auserkoren. Kritische Historiker wie Karlheinz Deschner sehen das geringfügig anders: "Die ganze Blutrunst wurde von einem unentwegten Schwall widerlicher Phrasen begleitet, von permanenter Heuchelei", heißt es in seinem Buch "Der Moloch — Eine kritische Geschichte der USA" recht überraschend. ((Karlheinz Deschner, Der Moloch — eine kritische Geschichte der USA, München 2002))
Als Präsident der USA regierte zu dieser Zeit der großartige Lyndon B. Johnson. 1964 im Wahlkampf auf Stimmenfang schwört er der Nation Stein und Bein: "Wir werden keine amerikanischen Soldaten Tausende von Kilometern weit fortschicken, damit sie die Arbeit der asiatischen Soldaten tun." Johnson gewann die Wahl. Drei Jahre später kämpften bereits 486000 Amerikaner in Vietnam. Das Gespenst des Kommunismus diente dazu, die Schafe der Nation zur Schlachtbank zu führen. Insgesamt standen in einem der schmutzigsten Kriege der Geschichte 2,6 Millionen Amerikaner in Asien und "taten dort ihre Arbeit". Eine feine Arbeit, wie sich herausstellte. Am 13. 2. 65 befiehlt Johnson die ständige systematische Bombardierung Vietnams. "Gott segne Euch!" rief er gütig, als er die jungen Männer seines Landes in Irrsinn und Tod schickte. Eine feine Arbeit: die Masse der eingesetzten Bomben und Raketen übertrifft die des Zweiten Weltkrieges um das Dreifache, mehr als 2 Millionen Nordvietnamesen sterben, weitere 3 Millionen werden verwundet, das Land zerbombt und dem Erdboden gleichgemacht. Zeitweise warf man monatlich 50 Millionen Liter Napalm ab. Als man trotzdem nicht mit den Feinden Amerikas klarkam, setzte man Chemiewaffen ein, u.a. das hochgiftige, dioxinverseuchte "Agent Orange". Es wurde in so unglaublichen Mengen zur Entlaubung der Wälder, zur Verseuchung der Ernten und Felder, zum Besprühen von Dörfern eingesetzt, daß der amerikanische Hersteller, der Chemie-Konzern Dow Chemical in arge Lieferschwierigkeiten kam. Die tausend Prozent Profit, die man damit machte und die Millionen Leichen, über die man dafür ging (um mit Karl Marx zu sprechen), überforderten offenbar sogar die Helfershelfer der Mörder. Neben der Chemie-Industrie war auch die staatstreue Wissenschaft von dem "Experiment" begeistert. "10 Millionen Menschen auf 2,2 Millionen Hektar mit 15 verschiedenen Herbizid-Cocktails zu besprühen, das bringt viele neue Erkenntnisse." ((http://www.spiegel.de/spiegel/print/d‑13487619.html))
Im April 1967 beschlagnahmt die amerikanische Regierung die gesamte Produktion des Landes an 2,4,5‑Trichlorphenoxyessigsäure (kurz T‑Säure genannt), ein Hauptbestandteil von Agent Orange, für den Krieg. Gott sei Dank gab es verläßliche Partner im Mordsgeschäft auch anderswo – in Deutschland zum Beispiel! Dow Chemical lobte den “großartigen Kooperationsgeist” des Chemieunternehmens Ernst Boehringer, Ingelheim, mit dem man schon 1965 einen Kooperationsvertrag abgeschlossen hatte. Daher fragte man nicht nur den Ankauf von T‑Säure an, sondern auch deutsches Know-how zur Produktion derselben. Auch in der deutschen Firma war man glücklich über den gesegneten Auftrag: "Solange der Vietnam-Krieg andauert, sind keine Absatzschwierigkeiten zu erwarten", hieß es da in einem internen Papier. Wie der SPIEGEL herausfindet, wurde jedoch bereits im Dezember 1964 mit Dow Chemical über den "akneerregenden Stoff" (= Dioxin) verhandelt. Das Schreiben, das über diese Verhandlungen berichtet, geht an die Geschäftsführung von Boehringer Ingelheim, u.a. an einen honorigen Herren namens Dr. Richard von Weizsäcker. ((http://www.spiegel.de/spiegel/print/d‑13681543.html)) Bis Juni 1966 war Weizsäcker bei Boehringer Personalvorstand und für Steuern zuständig.
Agent Orange mit den modernen Zutaten aus Ingelheim! Später behauptet unser Held, von allem nichts gewusst zu haben. Aber bereits seit 1956 war Boehringer die grauenhafte Wirkung von Dioxin bekannt, 36 Jahre lang hielt man die Erkenntnisse unter Verschluss, bis Seveso dem Spuk auf verhängnisvolle Weise ein Ende setzte. "Gift für die Welt" mit garantierter Wirkung: Fische, Rinder, Schweine, Schafe getötet, Hunderttausende Hektar Wald vernichtet, Hunderttausende Menschen getötet, Lungenödeme, Krebserkrankungen, Leukämie, Fehlgeburten, Mißbildungen, unsägliche Magen- und Darmkrankheiten, Kindestode … Herr Weizsäcker mit dem markanten Werbelächeln auf den BROT-FÜR-DIE-WELT-Plakaten und mit noch markanteren Worten auf Kirchentagen und Preisverleihungen für Menschenrechte: "Die Notstände gehen uns alle an." oder "Wir müssen teilen lernen." An Leid und Tod läßt sich gut verdienen, auf diese oder auf jene Weise … Mit einem beruhigenden Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe, mit einem 100-Millionen Aktienpaket der Firma Bosch in der Hosentasche kann man ganz lockere christliche Reden halten, nicht wahr?
Bedeutende Leute sind immer gut im Reden halten. Schließlich ist das ja ihr Geschäft.
Ach ja, das Geschäft …
Für mich stellt sich mal wieder die Frage, wie es sein kann, dass wir immer auf solche Leute hereinfallen – und auf das scheinheilige Gewäsch, dass man uns in die allzu vertrauensseligen Hirne träufelt. Gebannt schauen wir auf die Bildschirme unserer Leitmedien, die uns einen moralisch integeren Menschen zeigen und dabei verschweigen, dass dieser auch nur ein verachtenswerter Kriegsverbrecher wie viele andere war.
"Wer vor der Vergangenheit die Augen schließt, wird blind für die Gegenwart!"
(Richard von Weizsäcker)
Titelbild: Agent Orange Fässer auf dem Johnston Atoll 1976 (Wikimedia Commons)