#WirSindPegida
"Bei allem Werthe, der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem Selbstlosen zukommen mag: es wäre möglich, dass dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein für alles Leben höherer und grundsätzlicherer Werth zugeschrieben werden müsste. Es wäre sogar noch möglich, dass was den Werth jener guten und verehrten Dinge ausmacht, gerade darin bestünde, mit jenen schlimmen, scheinbar entgegengesetzten Dingen auf verfängliche Weise verwandt, verknüpft, verhäkelt, vielleicht gar wesensgleich zu sein. Vielleicht! — Aber wer ist Willens, sich um solche gefährliche Vielleichts zu kümmern!"
(Friedrich Nietzsche — Jenseits von Gut und Böse, § 2)
Eigentlich will ich gar nichts über Islamismus schreiben und erstrecht nicht über Pegida, aber nun tue ich es doch. Ich weiß nicht, wo ich anfangen oder aufhören soll. Die politische Kultur in diesem Land, vorausgesetzt, man kann sie überhaupt noch Kultur nennen, ähnelt immer mehr einer Groteske, vielleicht auch einer Komödie, je nachdem, ob man sich Zynismus oder Humor zu eigen gemacht hat, um nicht gänzlich durchzudrehen.
Fangen wir vielleicht mit Bernard Holtrop an, einem Zeichner des französischen Satire-Magazins Charlie Hebdo, das nun jeder kennt, auch wenn es kaum ein Nichtfranzose gelesen hat oder in Zukunft lesen wird. Bernard Holtrop war am Tag des Pariser Attentats bei der Redaktionskonferenz nicht anwesend und überlebte daher durch einen glücklichen Zufall. Er wird in diesen Tagen mit dem denkwürdigen Satz zitiert: "Wir kotzen im Strahl auf all diese Leute, die auf einmal unsere Freunde sein wollen." Vielleicht meinte er damit David Cameron, der Großbritannien gerade in einen Überwachungsstaat verwandelt und unter die Knute der Internetfilter und Medienzensur zwingt. Oder Streiks der Gewerkschaften schlicht verbieten möchte. Oder eine zerknirschte Angela Merkel, deren ebenso zerknirschte Schwesterpartei mal eben Blasphemie schärfer bestrafen möchte und die so überhaupt gar nichts gegen weitere Anti-Terror-Gesetze einzuwenden hat (aber trotzdem "unverbrüchlich" die Werte der freiheitlichen Gesellschaft verteidigen möchte). Vielleicht meinte er andere interessante Leute, die an der Spitze eines gestellten und für die Medien zurechtdrapierten Demonstrationszuges von Staatsrepräsentanten und Regierungsvertretern ein paar Hundert Meter mitliefen. Zum Beispiel Idriss Déby, der im Tschad "der blutige Schlächter" genannt wird oder Ali Bongo, eine ähnliche Gestalt aus dem erdölkonzernhörigen Gabun. Oder jenen Minister aus Israel, der schonmal Sätze wie "Ich habe in meinem Leben viele Araber umgebracht und kein Problem damit." von sich gibt. Oder einen Nato-Generalsekretär, oder einen Mariano Rajoy, oder oder oder.
Es ist en vogue und so hipp, sich trauernd zu zeigen, wahlweise mit oder ohne Hashtag #JeSuisIrgendwer, wahlweise auch empört, politisch völlig korrekt oder eben weniger, linksintellektuell oder patriotisch, die Freiheit von Kunst und Satire feiernd oder mutig hinterfragend. Selbst Hollywood ist dieser Tag selbstverständlich Charlie. Was sollten sie auch sonst sein. Man möchte das Credo der Assassinen anfügen, die ja wie wir wissen Mörder waren und sich bei ihren Attentaten in Hoffnung auf das Himmelreich gern töten ließen: Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Natürlich hatte ihre spezielle Form eines schiitischen Fanatismus so überhaupt nichts mit dem Islam zu tun. Sie wurden übrigens im 13. Jh. durch andere – zum Islam übergetretene – Fanatiker ausgelöscht, die Mongolen. Der Satz wurde später oft kolportiert, so z. B. von Friedrich Nietzsche, der ihn in seinen Zarathustra und in die "Genealogie der Moral" einbaute. Selbstredend liest heute niemand mehr Nietzsche, dessen Ablehnung der Moral, der Religion und des Massenmenschen heute irgendwie iih wirkt und nicht mehr in die "Neuruppin bleibt bunt"-Gesellschaft passt. Dabei hat er viele schlaue Dinge über das Ressentiment geschrieben und da sind wir bei Pegida angelangt.
Erst gestern sagte mir jemand, der nun wirklich nicht im geringsten Verdacht steht rechtspopulistisch zu denken, dass ja einiges, was Pegida will und zu sagen hat, richtig ist. Dies laut auszusprechen, ist dieser Tage so eine Art Selbstenthauptung. Denn wie uns unsere Massenmedien lehren, ähnelt Pegida eher einer SA-Staffel aus lauter verbohrten Nazis, denen man auf keinen Fall zuhören darf. Wahlweise sind es auch nur bedauernswerte Idioten und "Bildungsferne", möglicherweise soziale Verlierer und Unterprivilegierte, an denen die Segnungen und Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft rein zufällig irgendwie vorübergegangen sind (Ihr habt jetzt den Mindestlohn, also haltet die Fresse!). Im schlimmsten Fall Islamophobe, Rassisten und Fremdenfeinde. Um das zu beweisen, zerrt man die größten Dämlacke einer Pegida-Demo vor eine Kamera und lässt sie mit ein paar dummdreisten Fragen ins Messer laufen. Seht ihr daheim vor der Glotze, das sind diese Leute, die sind hier alle so. Außerdem rechnet man unermüdlich vor, wieviele Muslime es in Dresden, Zwickau oder Suhl gibt, sodass deren verschwindend geringer Bevölkerungsanteil wahrlich keine Islamisierung, geschweige denn Gefahr darstellen kann. Wobei Gefahr, ooops ... da reichen ja schon zwei oder drei von den falschen und bösen Muslimen, die eigentlich gar keine Muslime sind, sondern nur Verrückte, soziale Verlierer ohne Perspektiven – wie die Pegida-Demonstranten. Die fühlen sich nun von der "Lügenpresse" verarscht, zurecht, möchte man meinen. Das tun wir "anderen" ja auch, und nicht erst seit der Ukraine oder den Irakkriegen. Die mögen zwar bildungsfern sein, aber sie gucken TV und kennen Youtube, wo man sich damit unterhalten kann, wie muslimische Väter ihre Töchter zu Tode steinigen, weil die Geschlechtsverkehr vor der Ehe hatten – zensiert für schwache Gemüter und unzensiert für Leute, die sich gern mal wieder etwas gruseln wollen. Im Internet-Vorabendprogramm gibt es nicht nur Steinigungen, sondern auch öffentliches Auspeitschen und Kopfabschlagen im "prowestlichen" Saudi-Arabien (denen wir gerne Panzer liefern) oder IS-Kämpfer, die mit abgeschnittenen Köpfen Selfies am laufenden Band produzieren. Für Gottes Ehre und den Propheten, versteht sich. Bürgern, die Angst haben, kann man nun im nachhinein schlecht erklären, dass sie keine zu haben brauchen. Weil, ja weil ... weiß ich auch nicht. Selbst die größten Islamophobie-Schreier haben vermutlich nicht die geringste Lust, mal schnell nach Bahrein, Katar oder Afghanistan zu übersiedeln, weil es dort so toll ist. Und gehört die in diesen Ländern angewandte Scharia nun zum Islam oder nicht? Und die Todesstrafe für Atheisten in 13 muslimischen Ländern ist sicher auch nur ein Versehen und hat mit Religion rein gar nichts zu tun.
In unserem Kamikaze-Flug durch den alltäglichen Irrsinn geraten wir jetzt automatisch in die schmutzigen Fahrwasser von Medien und Politik. Vielleicht dreschen ja beide so vehement auf Pegida und deren tatsächlicher oder vermeintlicher Islamfeindlichkeit ein, um ja nicht darüber reden zu müssen, wie sehr das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Institutionen und "Wahrheiten" im Arsch ist. Das Ansehen von Politikern liegt irgendwo hinter Gebrauchtwagenverkäufern, Bankern und Versicherungsmaklern, mit anderen Worten, ist also faktisch Null. Das von Journalisten liegt nur wenig darüber. Und was können wir eigentlich noch glauben oder gar wissen? Das, was täglich in den Zeitungen steht oder über die großen Medienkanäle verbreitet wird? Echt? Und wer fällt eigentlich noch auf das "Obama-Gut"-"Putin-Böse"-Geschnatter herein? Und diese armen um ihre Freiheit kämpfenden Demokraten in der Ukraine – oder waren das dort Faschisten? Sind es Demokraten, können wir uns herrlich über den Krieg gegen sie empören und sind es Faschisten, empören wir uns halt darüber. JeSuisPoroschenko. Ist gut für die EU und die NATO und die Schlinge, die um Moskau immer enger gezogen wird. Und für die Bankkonten von Leuten, die garantiert nicht in Dresden demonstrieren, sowieso.
Besteht nicht Kern und Wesen einer monotheistischen Religion darin, nur an einen einzigen wahren Gott zu glauben, neben dem es keine anderen Götter geben darf? Und glaubt eine solche Religion nicht immer, dass nur sie selbst im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit ist, alle anderen aber auf dem Holzweg? Und waren nicht immer schon diejenigen, die an diese Wahrheit nicht glaubten oder sie gar anzweifelten, Abschaum, den man mit der Hölle bedrohen, missionieren, zwangsbekehren oder ausrotten konnte? Hoppla, da sind wir ja schon wieder ganz schön ins Stolpern geraten! Ist nicht das Abendland, dass die Pegida-Anhänger so selbstlos gegen das Morgenland verteidigen wollen, durch eine andere große monotheistische Religion geprägt, in deren Keller man Blut, Tränen und haufenweise Leichen findet? Das, was wir heute fassungslos als Dschihad des Islamischen Staates im Fernsehen mitverfolgen, gab es schon einmal. Nur, dass es damals Christen waren, die völkermordend durch Europa zogen, um die Heiden zu bekehren – mit Feuer und Schwert und nicht weniger verrückt und fanatisch. Es folgten Kreuzzüge, die Inquisition, die Hexenverfolgung, die Eroberung Amerikas usw. Folter, Mord und Totschlag ohne Ende. Selbstredend im Namen des einen Gottes und seines Sohnes. Und der Nächstenliebe. Nur dass die Nächsten, die man lieben sollte, immer redliche Christenmenschen waren. Die Seele eines Ketzers war nur zu retten, indem man ihn bei lebendigem Leibe verbrannte. Auch kein schöner Tod. Vielleicht sind ja deswegen unsere Politiker und Propagandisten so erpicht darauf zu betonen, dass alles mit der Religion gar nichts zu tun hat. Nicht, dass noch jemand auf die Idee kommt, den Wahn des Monotheismus per se in Frage zu stellen. Das würde ja voll nach hinten losgehen.
Ja, wieder mal viel zu viele Fragen und zu wenige Antworten. Und in ein paar Tagen hat es sich mit Charlie ausempört. Dann gibt es sicher eine andere mehr oder weniger dankbare Sau, die durchs mediale Dorf getrieben wird. Und die Empöreria, die mit Pad oder Notebook zu Hause auf dem Sofa liegt, wird einen neuen Hashtag kreieren, der sich rasend schnell verbreiten wird – vielleicht #NoCancer oder #DontSmoke oder mal ein neuer #Aufschrei. Und irgendwer wird garantiert diskriminiert oder ist ein Nazi oder eine arme Frau, die es von allein nicht in eine Aufsichtsratetage schafft. Und die vielen Kinder, die überall missbraucht werden (weniger die, die täglich in Afrika verhungern) und ein bisschen Porno hier und da und die Nachrichten, die uns alle perfekt nachrichten. Und die gefälschten Bilder aus den falschen Kriegen. Und unsere Feinde, die wir so lieben, weil wir sonst nichts zum empören hätten. Und die Fanatiker, die fanatisch bekämpft werden müssen. Und unser immerwährender Kampf für Meinungsfreiheit, solange es unsere eigene Meinung ist. Und die nächste KeinFussbreitDemo. #WirSindPegida. #WirSindNoPegida. Vergiss nicht, dich zu positionieren. Dazwischen gibt es nichts. Die Welt ist schwarz und weiß.
"Wo es nichts kostet, nicht einmal Zeit, sich zu diesem oder jenem zu bekennen, kann man sich zu allem bekennen – und es nützt niemandem, am wenigsten dem Bekennenden. Die Verwirrung ist komplett." (TAZ 12.01.2015)
Titelbild: Relief "Christianisierung" am Roten Rathaus (Foto: Manfred Brückels 2009)
2 thoughts on “#WirSindPegida”
Typisch, schlecht recherchiertes taz-Propaganda-Gelaber. Idriss Déby wird im Tschad nicht "der blutige Schlächter" genannt (wen soll er denn geschlachtet haben?) sondern der wegen seines Draufgängertums "der Wüstencowboy". Wäre Déby ein Schlächter, dann würden wohl kaum Flüchtlinge aus Sudan, Zentrafafrika, Nigeria und Libyen in seinem Land zu Hundertausenden Schutz suchen.
Hier wird er auch als blutiger Schlächter bezeichnet: http://www.heise.de/tp/artikel/43/43828/1.html
Wahrscheinlich bezieht sich das noch auf seine berüchtigte Rolle als Sicherheitsberater des Diktators Hissène Habré. In dieser Funktion hatte er Rebellenaufstände blutig niederschlagen lassen.