Schein statt Sein
Stadt strebt neue Tourismusmarke im Rahmen der BUGA 2021 an
Jena ist zweifellos eine liebenswerte, historisch und kulturell bedeutsame und landschaftlich äußerst attraktive Stadt. Ein vernünftiges Stadtmarketing wird diese Vorzüge herausstreichen, mit nachhaltigen Entwicklungskonzepten unterstützen und dabei das Wohl und die Bedürfnisse der hier ansässigen Bürger nicht aus den Augen verlieren. Im Gegensatz dazu beschreitet Jena seit Jahren einen Weg des schönen Scheins. Man nimmt an allen möglichen Wettbewerben und Titeljagden teil und überhäuft sich selbst mit wohlklingenden Etiketten und Marketingnamen. Bereits 2011 haben die PIRATEN Jena im Rahmen einer Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz nachgewiesen, dass die Stadt dafür nicht unerhebliche Mittel ausgegeben hat und dies auch weiterhin tut. Aktuelles Beispiel ist das Jahr des Lichts, für das die Stadt mal eben 360000 Euro zur Verfügung stellt, während man gleichzeitig über knappe Kassen und Haushaltskürzungen streitet. Dies blieb in der Öffentlichkeit nicht unbeachtet und sorgte für mehrfache Kritik.
Die Frage, was all diese Kampagnen denn nun den Menschen dieser Stadt konkret gebracht haben, gilt als unfein und wird in den politischen Gremien nicht gestellt. Das Schlagwort Nachhaltigkeit, das sich in den Marketingkonzepten und Projektbeschreibungen in schöner Regelmässigkeit wiederfindet, setzt voraus, dass Aufwand und Ergebnisse in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Dafür müsste man aber die bisherigen Kampagnen evaluieren, um herauszufinden, wo man Geld in den Sand gesetzt hat und warum das so war. Man muss außerdem die Frage stellen, welche Prioritäten die Stadt eigentlich verfolgt, wenn gleichzeitig Leistungen für das Sozialticket, die Schülerbeförderung oder Vereine gekürzt und Kita-Gebühren angehoben werden. Die politischen Entscheider scheint das wenig zu stören, Hauptsache, man gefällt sich in immer neuen Superlativen und Hochglanzverpackungen, auch wenn bei einem genaueren Blick hinter die schönen Kulissen oft nicht besonders viel zu entdecken ist.
In der letzten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses legte die Stadt nun eine Berichtsvorlage vor, die über die geplante Bewerbung als dezentrales Projekt der Bundesgartenschau Erfurt 2021 informierte. Während Stadtarchitekt Dr. Lerm in der Sitzung das Projekt eher kleinredete und von "ein paar Besuchern" sprach, die man nach Jena lotsen wolle, trägt die Vorlage — wie üblich — richtig dick auf. Da ist die Rede davon, dass die Gartenschau "Impulsgeber für eine nachhaltige Entwicklung des Gartentourismus für Thüringen" sein will und "aufbauend auf dem Netzwerk von Außenstandorten ... langfristig eine Art Dachmarke gartentouristischer Zielpunkte in Thüringen" entwickelt werden soll. Wir erfahren außerdem, dass die "vielfältige Parklandschaft" Jenas "eine wichtige Bedeutung in der zukünftigen touristischen Vermarktung Jenas und Thüringens" erhalten soll. Eigentlich fehlt an dieser Stelle nur noch Europa, das Universum und der ganze Rest. Empfohlen wird die Erarbeitung einer Marketingstrategie, die "als Grundlage der Vermarktung in 2021 und langfristig unter der noch zu entwickelnden Dachmarke gartentouristischer Ziele in Thüringen dienen" soll. "Ziel einer solchen Strategie ist u.a. das Finden eines Marketingnamens für diese Jenaer Gartenlandschaft."
Als Bestandteile der "vielfältigen Parklandschaft" werden das Paradies und die Rasenmühleninsel, das Wenigenjenaer Ufer und der Saalebogen genannt. Nun ist es ja wirklich sehr schön in der Saaleaue und erholsam, dort entlang zu radeln oder zu schlendern, aber von welchen Touristenströmen, die man in die hiesigen Gefilde zu ziehen gedenkt, träumt die Stadt? Bei überregional bedeutsamen Parks und Gärten in Thüringen, die tatsächlich eine touristische Anziehungskraft haben, fallen einem eher Schloßparks wie Wilhelmsthal, Greiz, Molsdorf, Großkochberg oder Gotha ein, Kulturgärten wie in Bad Langensalza, Ausflugsziele wie der Oberhofer Rennsteiggarten, der Weimarer Ilmpark oder eben der Erfurter Ega-Park. Genauso wie die Internetseiten von Thüringen Tourismus die Jenaer Lichtjahr-Veranstaltungen mit keiner Silbe erwähnen, sucht man auch im Gartennetzwerk GartenKultur Thüringen (eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur Thüringen e.V.) Jena vergebens. Und da sind wir letztendlich bei der "noch zu schaffenden Dachmarke", die es längst gibt. Nicht nur in Gestalt der GartenKultur-Initiative, sondern auch als Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten oder überregional als Gartennetz Deutschland e.V. mit 20 Gartennetzwerken und 1500 Parks und Gärten.
Das was Jena hier vor hat, tut auch jeder Trittbrettfahrer. Man versucht mit möglichst wenig Aufwand etwas vom Image, dem Erfolg und den (langjährigen) Aktivitäten der anderen abzuzweigen. Oder von einer Bundesgartenschau zu profitieren, zu der Jena soviel beitragen kann wie der Schleichersee zur Mecklenburger Seenplatte. Nachhaltig ist das nicht und es hat auch keine positive Wirkung auf das Außenbild der Stadt. Es ist zudem nicht nötig, weil Jena auch ohne ein weiteres Etikett ein schöner Platz zum Leben bleibt und das Angebergehabe einfach mal sein lassen kann. Das Geld dafür ist wie für die anderen tollen Kampagnen verschwendet und könnte sinnvolleren Zwecken zugeführt werden. Und wenn ich mir unsere ganzen Titel so anschaue, dann fällt auf, dass wir ja schon längst "Jena — Stadt im Grünen" sind. Die Attraktivität einer Stadt fördert man nicht, indem man sich dauernd neue bunte Label aufklebt, sondern indem man sich der Erhöhung der Lebensqualität derjenigen widmet, die in dieser Stadt leben.