Die Schaufensterstadt
Zu Beginn der kommunalpolitischen Sommerpause in Jena ist mir gestern der Kragen geplatzt. Medienberichte, Informationen und persönliche Erlebnisse kulminierten in einer Art und Weise, dass ich mich — schon an vieles gewöhnt in dieser Stadt — richtig aufregte. Es begann mit der Meldung, dass ab 2017 die Nahverkehrspreise des VMT erneut angehoben werden. Unfassbar! Hatten wir nicht gerade erst eine Erhöhung bis an die psychologische Schmerzgrenze von 2 Euro für einen Einzelfahrschein? Wurde nicht im Stadtentwicklungsausschuss bei dieser Beschlussvorlage extra die Option offengelassen, dass sich Jena nicht an der Erhöhung beteiligt, weil diese politisch in der Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln sei? Letztendlich entschieden sich Ausschuss und Stadtrat nicht dafür, diese Option wahrzunehmen — man ist ja bekanntermaßen auf Gedeih und Verderb an das undemokratische VMT-Konstrukt gebunden — und beschlossen die Erhöhung mit der einschläfernden Rechtfertigung, dass ja die Abo-Tarife gleich blieben. Ja schon, aber nur ein paar Monate. Ab 2017 geht es erneut nach oben, wie es heißt um 2,7 %. Dies ist jedoch ein gemittelter Wert, sodass nicht so auffällt, dass die Erhöhung bei einzelnen Tarifangeboten viel gravierender ausfällt, beispielsweise beim verbundweiten AboMobil65, das gleich mal um 3 Euro angehoben und von denjenigen genutzt wird, die nicht unbedingt zu den finanzstarken Mitgliedern dieser Gesellschaft zählen.
Da sich die Koalition aus CDU, SPD und Grünen im Stadtrat dafür entschieden hatte, Erhöhungen bis 5 % in Zukunft einfach durch den OB abwinken zu lassen, müssen die Bürger jetzt diese versalzene Suppe auslöffeln — und es wird nicht das letzte Mal sein. Die Herren und Damen Stadträte hatten keine Lust auf demokratische Kontrolle und verzichteten sogar auf die Option, wenigstens zu entscheiden, was erhöht wird und was nicht. Ein Freibrief, der vom VMT und unserem OB in Zukunft sicher gerne genutzt wird. Begründet wird die Erhöhung mit gestiegenen Ausgaben, insbesondere im Personalbereich, was man ja noch annähernd nachvollziehen kann. Der eigentliche Grund dürfte jedoch in den Kürzungen der Landeszuschüsse für den VMT in Höhe von 800000 Euro liegen. Niemandem scheint aufzufallen, dass eine linksgrüne Landesregierung kein Problem damit hat, die finanziellen Mittel für den öffentlichen Nahverkehr zu beschneiden. Sicher werden wir auch in Zukunft viele schöne Reden auf allen politischen Ebenen über Nachhaltigkeit und die Förderung des sogenannten Umweltverbunds hören, während die Taten ganz anders aussehen. Immerhin können wir uns freuen, dass dieselbe Landesregierung die Zuschüsse für das Studentenwerk Thüringen erhöht. Von 1,4 Millionen für dieses und das kommende Jahr ist die Rede. Man soll dort ja nicht darben, wenn so ein wichtiges und schweineteures Projekt wie die gendersensible Umbenennung in Studierendenwerk umgesetzt werden soll. Ein Irrsinn, den auch der Rechnungshof gar nicht lustig findet, während eine grüne Abgeordnete von einer "Investition in die Zukunft" sprach. Na dann.
Über grüne Symbolpolitik könnte man sich sowieso ständig aufregen. Da passt es gut dazu, dass nun auch eine weitere Linde am Johannisplatz gefällt wurde. Ein großer Stadtbaum, der eigentlich als erhaltenswert eingestuft wurde und unbedingt stehen bleiben sollte. In einer Niederschrift der Baumschutzkommission vom 30. Mai heißt es lapidar: "neue Wurzelschäden und Beeinträchtigungen durch die derzeitigen Baumaßnahmen". Dieser skandalöse Umstand war in den zwei darauffolgenden Sitzungen des Stadtentwicklungsausschusses keine Information, Rede oder gar Diskussion wert. Lediglich die Jenaer Grünen teilten in ihrer unnachahmlich unglaubwürdigen Art — auf einem Plakat, auf dem sie den Jenaer Bürgerhaushalt kurzerhand parteipolitisch vereinnahmen — mit, dass "für die Pflege der Natur, Grünflächen und Stadtbäume ...bereits enorm viel getan" wird. Nebenbei war man übrigens auch der Meinung, dass invasive Arten ein neues Umweltthema seien, für das sich die Kommunalpolitik stark machen sollte — nachdem man erst vor kurzem GEGEN den Pflanzverzicht der Stadt auf invasive Arten gestimmt hatte. Passt alles nicht zusammen? Macht doch nix, wir sind in Jena. Schaufensterpolitik wird gern gesehen. In der Realität passiert dann immer etwas anderes. Die Linde ist nun auch weg und wie das erwähnte Protokoll verrät, zieht man noch nicht mal in Erwägung, die Beschädigung städtischen Eigentums mit einer Schadenersatzforderung zu quittieren. Stattdessen wird lediglich "ein sensiblerer Umgang mit vorhandenen Großbäumen im Bereich von Baustellen" angemahnt. Am Johannisplatz dürfte das ziemlich einfach zu realisieren sein, da gibt's nämlich so gut wie keine Großbäume mehr. Selbstredend ist auch das erwähnte "Gutachten zur Standsicherheit des Baumes vom 12.04.2016 nirgendwo zu finden. Es gibt ja nur einen Stadtratsbeschluss, nach dem alle Gutachten und Studien der Stadt innerhalb von 14 Tagen zu veröffentlichen sind und der weiterhin — was interessieren uns Stadtratsbeschlüsse??? — von der Verwaltung einfach ignoriert und ausgesessen wird.
Unser Oberbürgermeister hat indess wirklich Wichtigeres zu tun. Er muss sich in der Presse ordentlich selbst beweihräuchern und schonmal auf seine — Gott bewahre! — Kandidatur bei den nächsten OB-Wahlen hinweisen. Natürlich lässt er die Gelegenheit nicht aus, den dummen Bürgern zum 100. Male ins Gewissen zu reden, dass sie die schönen Eichplatz-Pläne der Stadt durchkreuzt hätten. Demokratie ist wirklich eine lästige Sache. Viel besser würde so eine lichte Zukunftsstadt ohne Bürger funktionieren. Einsparungen bei Sozialticket, Schülerbeförderung und Schulsozialarbeitern? Egal. Frauennachttaxi? Wurscht. Aula fürs Vorzeige-Carl-Zeiss-Gymnasium? Irgendwann mal. Schwimmhalle? Muss nicht sein. Für jeden offene Bürgerräume in der neuen Bibliothek? Abgelehnt. Geld für Vereine und Initiativen? Es wird um jeden Euro gefeilscht. Aber DANN geht es um EIN Fußballspiel, da taut unser Bürgermeister auf und schon sind 100000 Euro ein Klacks. Die bezahlt er dann wahrscheinlich aus der Portokasse. Ich suche vergeblich eine Regelung, dass der Verein den Betrag irgendwann mal an die Allgemeinheit zurückzahlt, obwohl es sich doch bei dem Spiel "um eine einmalige wirtschaftliche Chance" handelt. Die zugehörige Beschlussvorlage 16/0954-BV, obwohl im Finanzausschuss öffentlich behandelt, sucht man auf der Internetseite der Stadt vergeblich. Soviel Transparenz ist nun auch wieder zu viel verlangt. Und die AUFMERKSAMKEIT, die Jena dadurch wieder bekommt! Wahrscheinlich werden alle Bayern-München-Fans, die sonst ihrer Mannschaft hinterher reisen, in Zukunft in Jena Urlaub machen und jetzt schon die schönen neuen Hotels vermissen, die man hier bauen möchte.
Innerhalb von zwei Tagen werden ich und meine Partnerin gleich mehrere Male von Fahrradfahrern auf Bürgersteigen fast umgefahren. Jeder fährt hier kreuz und quer und wie er will. Die armen Fahrradfahrer haben es auch nicht einfach. Wer beispielsweise den nur halbherzig markierten Radweg den Magdelstieg/Westbahnhofstraße hinunter nutzt, muss in meinen Augen ein bisschen lebensmüde sein. Während mir diese ganzen Gedanken durch den Kopf gehen, sitze ich im Auto und warte an der Kreuzung Nollendorfer Hof eine gefühlte Ewigkeit. Hier ist ja bekanntlich der Grüne Pfeil weggefallen, eine Maßnahme des grünen Dezernenten, der damit das Damenviertel verkehrsberuhigen will, aber lediglich die Autofahrer zu mehr Wartezeit an der Ampel zwingt. Grüne Symbolpolitik halt, da schließt sich der Kreis wieder. Wie gut, dass die Schaufensterstadt — immer auf ihren guten Ruf nach außen bedacht — nicht nur Träger von einem Dutzend schönklingender Titel ist, sondern auch Mitglied in der AG Fahrradfreundlicher Kommunen. Da bleibt dann auch dem Letzten das Lachen in der Kehle stecken. Auf die Lichtstadt! Prost.
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