Ohne Burka am Tonsee
Am letzten Wochenende verbrachte ich einen wunderschönen spätsommerlichen Tag an einem kleinen Natursee am südlichen Rand von Berlin. Der Tonsee (eigentlich Großer Tonteich — siehe Kommentar unten) in der Nähe von Bestensee (es gibt hier mehrere Seen, wie man sich schon denken kann) liegt idyllisch in ein Waldstück eingebettet und an seinem Ufer befindet sich ein Campingplatz, dessen Name schon sagt, worum es hier vorrangig geht: FKK Naturcamping Tonsee. Das Wetter war herrlich, das Wasser klar und frisch, die Menschen zwar zahlreich, aber entspannt und angenehm. Das nudistische Freizeitvergnügen subsummiert an diesem schönen Ort alle Sorten von Menschen. Hier trifft man vom Kleinkind, das gerade im Wasser planschen kann bis zu nicht mehr ganz so rüstigen Senioren alles an, was man so in die Spezies Mensch einordnen könnte. Natürlich auch viele Familien, pubertierende Jugendliche, Schlanke, Normale und Dicke, hübsche und ... ähm ... weniger hübsche Menschen, Kinder mit dunkler Haut, dazwischen auch eine Asiatin. Alle wie Gott sie schuf, wie man so schön sagt. Direkt vor uns lagern zwei schwule Männer, von denen der eine sich einen ordentlichen Joint gönnt. Ein paar Meter entfernt lässt sich ein Biker-Pärchen mit großflächigen Tätowierungen auf der Haut nieder. Ältere Damen sprechen die Kinder an und ein gewisses vorlautes Kleinkind resümiert vernehmlich, dass wohl alle Männer hier Pullermänner und alle Frauen Pullerschnecken haben, was wohlwollendes Lachen in seiner Umgebung hervorruft.
Kurzum, man hat das Gefühl, hier ist die Welt in Ordnung, die Menschen können sich trotz ihrer Unterschiedlichkeit gut leiden und es gibt keinen Grund daran etwas zu ändern. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich die Badegäste in der Natur und so ganz ohne Kleider frei und unbekümmert fühlen können und das zu schätzen wissen. Das Anderssein des Anderen wird toleriert in dem Wissen, dass man mit seinem eigenen Anderssein ebenso toleriert wird. Und natürlich hat Nacktheit auch etwas Ausgleichendes, denn hier liegt der Manager neben dem Arbeitslosen und die Hausfrau neben der Beamtin und der Montagearbeiter neben dem Programmierer und eigentlich interessiert das gerade mal niemanden. Man erfreut sich an der Vielfalt des Menschseins, an der vielen nackten Haut, an einer natürlichen, völlig unaufdringlichen Erotik, am Wind im raschelnden Laub der Bäume, am kühlen Nass.
Dank Internet kann man herausfinden, dass es hin und wieder vorkommt, dass dort Menschen auftauchen, die unbedingt textil baden wollen. Für diese Zwecke gibt es eine unmissverständliche Platzordnung und einen Platzwart, der gelegentlich als Wachhund bezeichnet wird und offenbar mal mehr, mal weniger vehement klar macht, dass es sich hier um ein FKK-Gelände handelt. Mit anderen Worten, wer die Regeln hier nicht akzeptiert, kann ja wieder gehen. Es mag sein, dass einige dieser Leute dann ihre Badebekleidung ablegen und sich in die FKK-Gemeinde nahtlos einfügen. Im Netz findet man aber vor allem die Vertreter jener Gattung der immerfort Beleidigten, die das als Zumutung empfinden und sich lauthals beschweren. Wie kann es sein, dass sie gerade hier nicht textil baden können? Kommentare in diversen Internetforen zeigen, dass man dann schnell ausfällig wird und sich wuterfüllt äußert. Eigentlich ist die Aufregung schwer verständlich, denn natürlich gibt es nicht wenige Naturseen, an denen man auch bekleidet baden kann (oder muss). Was man dabei allerdings nicht beachtet, ist die Tatsache, dass man es — wie in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft — zunehmend mit einer Sorte verhätschelter Typen mit labilem psychischem Gewand zu tun hat, die nicht verkraften können, dass allgemeine Regeln und Gegebenheiten nicht ständig an ihre persönlichen Befindlichkeiten angepasst werden. Und wenn dies nicht geschieht und die Mehrheit eher die umgekehrte Anpassung voraussetzt oder gar einfordert, dann ist das Geschrei groß, man könnte auch #Aufschrei dazu sagen. Man fühlt sich diskriminiert, ausgegrenzt, als eine benachteiligte Minderheit, deren berechtigte Interessen von der Mehrheit nicht wahrgenommen, akzeptiert und sofort umgesetzt werden. Beleidigtsein ist en vogue, Empörtsein erstrecht. Die sozialen Netzwerke sind voll von diesen wenig angenehmen ZeitgenossInnen.
Die psychische Verfassung der ewig Diskriminierten erinnert mich an eine Kleinkindpsyche in einem erwachsenen Körper. Man stampft mit dem Fuß auf, schreit Ich will das aber jetzt! und wenn man es nicht bekommt, bricht man in Tränen und Wutanfälle aus. Diese merkwürdige charakterliche Schwäche scheint sich mittlerweile wie eine Seuche auszubreiten. Man trifft sie bei Netzfeministinnen, politischen Aktivisten, Vertretern diverser Minderheiten und Randgruppen genauso an wie bei Veganern, Klimaschützern, Öko-Tussen, Reformpädagogen und Gender-"Wissenschaftlern". Ganz perfide wird es dann, wenn man die eigene Nervigkeit sogar reflektiert und bewusst einsetzt, sprich provoziert. Das eigene Auftreten wird dann zu einer ständigen Provokation der Umgebung und sobald man die nötige Ablehnung hervorgerufen hat, hat man auch den Beweis des eigenen Diskriminiertseins und der Teufelskreislauf beginnt von vorn.
Am See hatte ich genug Zeit darüber nachzudenken, dass man einen Gutteil der gegenwärtigen Probleme mit einer bestimmten Art von Einwanderern und ihrer Religion auch unter diesem Blickwinkel betrachten kann. Natürlich gab es am Tonsee keine irgendwie erkennbaren Muslime, erstrecht keine Burkas oder Burkinis. Derzeit gibt es Versuche, z.B. in Frankreich, Menschen aus diesem uns sehr fremden Kulturkreis von der Badekultur an westlichen Stränden auszuschließen. Dies wird — der allgemeinen politischen Korrektheit geschuldet — natürlich medial heftig kritisiert, weil es angeblich diskriminierend ist. Aber ist es das wirklich? Ist es nicht eher wie bei den dickköpfigen Textilbadern am Tonsee, die nicht einsehen wollen, dass sie hier einfach fehl am Platz sind? Nicht weil sie böse wären oder man sie nicht mag oder sie diskriminieren will, sondern weil die geltenden Regeln über einen großen Zeitraum hinweg zu einem harmonischen Gleichgewicht der Interessen geführt haben und man die Störung dieses Gleichgewichts nicht tolerieren möchte — und ja, auch keineswegs tolerieren muss. Die Ablehnung, die oft Burka- und Burkiniträgerinnen entgegenschlägt, ist keine Folge eines irgendwie teuflischen Rassismus, der andere nicht so sein lassen kann wie sie sind. Sie ist wohl eher eine völlig natürliche Reaktion auf die Störung eines als gut und richtig empfundenen Wertegleichgewichts, erstrecht wenn diese Störung bewusst als Provokation eingesetzt wird, um die Überlegenheit der wahren Religion und ihres einzigen Gottes gegenüber den Ungläubigen und ihrer verwerflichen Unmoral zu demonstrieren.
Diese Erkenntnis mag nicht überraschend sein, aber sie führt zu einer gewissen Entspannung. Der Wachhund ist kein Rassist, nur weil er keine Textilbader am FKK-Strand duldet. Die Deutschen mit ihrer freizügigen Körperkultur sind keine Rassisten oder Nazis, nur weil wie auch immer Verhüllte, die völlig übersexualisiert mit ihren Körpern ein Problem haben, meinen, sie müssten diese Freiheit jetzt in Frage stellen oder gar aggressiv herausfordern. Es mag Menschen geben, die das als Intoleranz ansehen. Ich würde eher sagen, es ist eine gesunde Abwehr gegenüber einer Gefährdung des gesellschaftlichen Konsenses, der sich über eine sehr lange Zeit hinweg herausgebildet hat. Oder weniger allgemein ausgedrückt: hier werden bewusst oder unbewusst die säkularen Freiheiten verteidigt, die über viele Jahrhunderte mit Blut und Tränen erkämpft werden mussten. Es gibt keinen Grund, diesen Konsens, den die allermeisten Menschen so und nicht anders haben wollen, über Bord zu werfen, nur weil jemand, der damit nicht klar kommt oder kommen will, meint seinen Willen der Mehrheit überhelfen zu wollen. Und es gibt auf diesem wunderschönen Planeten haufenweise Strände, an denen Burkas und Burkinis die Norm darstellen. Jeder, der meint, seiner Religion dieses Opfer bringen zu müssen, kann dort baden. Ich komme ja auch nicht auf den Gedanken, am Roten Meer unter Muslimen nackt baden zu wollen. Und — das darf man schliesslich auch nicht vergessen — es gibt jederzeit die Möglichkeit, sich in verschiedenen Abstufungen an den gesellschaftlichen Konsens derjenigen, unter denen man leben will, anzupassen. Das ist wohl das, was man gemeinhin unter Integration versteht.
Siehe auch:
- http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-rheinberg-xanten-alpen-und-sonsbeck/wueste-beschimpfungen-im-fkk-bereich-des-strandbads-xanten-id12031884.html
- http://www.huffingtonpost.de/2016/06/21/fluechtlingsheim-nudisten-sachsen_n_10591152.html
Titelfoto: Großer Tonteich (F. Cebulla)
5 thoughts on “Ohne Burka am Tonsee”
Ich verstehe die ganze Burka-Diskussion nicht (damit meine ich die politische Diskussion, nicht Frank's Beitrag). Meiner Meinung nach dient sie nur dazu Wählerstimmen vom rechten Rand zu fischen. Ist aber schon ganz schön widerlich andere Parteien rechts zu überholen, weil man seine Fälle davon schwimmen sieht.
Wenn diese Burka-Diskussion hingegen erst gemeint wäre, wäre ich dabei.
Ich kann mich noch sehr gut an die Diskussion zum Verbot von Kreuzen an Schulen erinnern. Allerdings wurde damals nicht jeder der "Verbietenden" als Nazi hingestellt. Die Diskussion war (größtenteils) sachlich und die Kirche musste eingestehen, dass sie wieder ein kleines Stück ihres Einflusses auf die Gesellschaft verloren hat (zwar leider nur in Einzelfällen, aber immerhin).
Damals wurde gesagt, dass das Kreuz die negative Religionsfreiheit (also das Recht auf Nicht-Behelligtwerden durch religiöse Symbole) des Einzelnen verletzt, die Burka(Kopftuch usw.) tun dies aber nicht — Das soll logisch sein?
@Arne Petrich: Sie brauchen meinen Beitrag nicht zu kommentieren, ich werde AUF KEINEN FALL die AfD wählen, auch wenn Sie mich noch so sehr überzeugen wollen, dass sich meine Einstellung 100%ig mit der AfD deckt. Sie können mich nicht überreden.
Lieber Silvio Kramer,
der Kommentator, der sich hier gelegentlich verbreitet, ist weder Arne Petrich, noch Heidrun Jänchen, noch Heinz oder sonstwer. Es ist ein Troll, der meint mich oder andere Kommentatoren aus der Ruhe bringen zu können, indem er substanzlose, aber nervige Kommentare schreibt. Ich setze ihn regelmässig auf die Blockliste des Blogs und lösche die Kommentare.
Der Name Tonsee in Ihrem Beitrag ist falsch.
In der Nähe von Bestensee liegen zwei Seen: Großer und Kleiner Tonteich. Und zwischen diesen Seen befindet sich ein FKK-Strand, nicht am Tonsee.
Ja, es gibt ein Tonsee (genauer Pätzer Tonsee). Er liegt etwa 1 km südlicher von dem Großen und dem Kleinen Tonteich. Das Titelfoto ist am Pätzer Tonsee gemacht.
Benutzen Sie bitte die anderen Seiten, z.B.
https://www.berliner-stadtplan.com/Kleiner-Tonteich-15741-Bestensee_a74282
http://badestellen-brandenburg.de/beach/fkk-camping-bestensee.html
Lieber Herr Boldychev,
es hat eine Weile gedauert, bis ich Gelegenheit hatte, mich direkt vor Ort nochmal über die Gegebenheiten zu informieren. Sie haben vollkommen recht. Der Artikel bezieht sich auf den Großen Tonteich. Allerdings nennt sich der Campingplatz tatsächlich "Camping Tonsee FKK", wie das Foto zeigt. Vermutlich liegt das daran, dass der Große Tonteich auch als Körbiskruger Tonsee bekannt ist.
Sind doch ordentliche Überlegungen von Frank. Kann ich in Gänze zustimmen. Da spricht gesunder Menschenverstand den man fast überall vermisst.
Gruß
Georg