Der Öko-Bonus für Radfahrer
Ich fahre eigentlich ganz gern mal Rad. Allerdings nutze ich es weniger als alltägliches Fortbewegungsmittel, sondern mehr in meiner Freizeit. Aus organisatorischen und beruflichen Gründen bin ich täglich mehr mit dem Auto unterwegs. Hadmut Danisch berichtet in einem aktuellen Blogbeitrag von seinen eher unangenehmen Erlebnissen mit Berliner Radfahrern. Seit geraumer Zeit mache ich in meiner Heimatstadt Jena ähnlich drastische Erfahrungen. Mir spukt das Ganze desöfteren im Kopf herum, da es einige offene Fragen gibt, die scheinbar niemand beantworten möchte — etwa die, ob Radfahrer sich in Deutschland nicht (mehr) an die Straßenverkehrsordnung halten müssen.
Die Probleme gingen für mich los, als ich vor etwa 2 Jahren gegen acht Uhr abends mit einem Radfahrer kollidierte, der ungebremst und ohne sich zu vergewissern zwischen zwei Hecken (für Jenaer: vorm Volkshaus) direkt vor meinem Auto auf die Straße fuhr. Ich ging auf die Eisen, erwischte ihn trotzdem, aber glücklicherweise nicht besonders schwerwiegend. Mein Herzschlag raste, ich stieg aus, stellte fest, dass dem Mann nicht viel passiert war, aber umso mehr meinem Auto. Da er sämtliche Regeln des Straßenverkehrs missachtet hatte, war für mich klar, dass hier eine polizeiliche Unfallaufnahme unabdingbar war. Also fuhr ich mein Auto zur Seite, um den Verkehr nicht zu blockieren. Als ich ausstieg und mich umdrehte, war der Radfahrer weg. Die Polizei, die ich anrief, hatte keine Lust sich damit zu befassen. Ich könnte ja auf die Dienststelle kommen, um Anzeige zu erstatten. Auf dem Blech- und Lackschaden am Auto blieb ich selber sitzen.
Man muss wissen, dass Jena zwar eine regierende Stadtratskoalition unter Beteiligung der Grünen und einen grünen Stadtentwicklungsdezernenten hat, aber eine katastrophal schlechte Radwege-Infrastruktur mit nicht wenigen Kuriositäten (Stichwort Löbdergraben oder Karl-Liebknecht-Str.). Der Gerechtigkeit halber sollte man erwähnen, dass die Topografie Jenas dieses Problem begünstigt, auf der anderen Seite offenbar aber auch eine gewisse Planungsinkompetenz eine Rolle spielt. Dies betrifft weniger die Fernstrecken in die Außenbezirke, als die Innenstadt und die innenstadtnahen Wohnviertel. Dies hat zur Folge, dass Radfahrer in Jena es sich angewöhnt haben, einfach nach Gusto zu fahren. Einige Standardsituationen, bei denen mir als Autofahrer regelmässig der Schweiß ausbricht, sind z.B. wenn Radfahrer
- abrupt und ohne sich bemerkbar zu machen vom Fußweg auf die Straße wechseln (oder umgekehrt),
- bei gleichberechtigten Straßen mir seelenruhig und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken die Vorfahrt nehmen,
- direkt vor mir links abbiegen, ohne diesen Richtungswechsel anzuzeigen,
- rote Straßen- oder Fußgängerampeln missachten,
- sich an die vorhandene Verkehrsbeschilderung nicht halten und kreuz und quer einfach irgendwo hinfahren, z.B. schräg über eine Kreuzung.
Die Unfallstatistik für Jena konstatiert so wenig überraschend von 2014 bis 2015 eine Zunahme von Unfällen unter Beteiligung von Radfahrern um 39 %. In einem Zeitungsartikel heisst es dazu lapidar: "Viele Unfälle ließen sich vermeiden, wenn sich Radfahrer besser an die Verkehrsregeln halten würden." Doch kontrolliert das überhaupt jemand?
Im stadtbekannten Damenviertel, das fast nur auf gleichberechtigten Straßen durchquert werden kann, fahre ich mittlerweile nur noch äußerst vorsichtig an Kreuzungen heran, da fast immer irgendeine junge Dame fröhlich auf ihrem Drahtesel strampelnd mir die Vorfahrt nimmt — und sich selbst gefährdet! Nicht selten hat man das Gefühl, dass diese unbekümmerten RadlerInnen noch nie etwas von den elementarsten Verkehrsregeln gehört haben. Kann das sein? Macht man sich bemerkbar oder besitzt gar die Frechheit zu hupen, wird man mit entrüsteten Gesten bedacht, als wäre die eigene Existenz auf der Straße eine Zumutung. Wer sich in Jena auskennt, weiß, dass auch die Kreuzung am Nollendorfer Hof so eine Problemzone ist, wo Radfahrer die eher schmalen Fußwege für sich beanspruchen — und sich dabei weder um die Fußgänger und erstrecht nicht um die Autofahrer kümmern. Und da sind wir auch bei den Problemen von Fußgängern angelangt — mit Radfahrern, die grundsätzlich die Fußgängerwege benutzen, obwohl sie dazu nicht berechtigt sind oder gar mit Irrsinnsgeschwindigkeit durch Fußgängerzonen zischen und der Meinung sind, alle anderen werden schon aus dem Weg springen.
Wann hat eigentlich die Polizei das letzte Mal Verstösse von Radfahrern gegen die Straßenverkehrsordnung geahndet? Gibt es da so eine Art politisch-korrekten Öko-Bonus, der verhindert, dass hier alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt behandelt werden? Für jeden Autofahrer ist klar, dass man "dran" ist, wenn man den Radfahrer auf der Haube hat. Dann ist man der Rücksichtslose in der klimafeindlichen Blechschachtel, der den armen ungeschützten Radler umgebrettert hat. Wie oft sind eigentlich die Radfahrer an solchen Unfallsituationen schuld und wer wird dann wie zur Rechenschaft gezogen? Wie gesagt, weder bin ich der Feind aller Radfahrer, noch macht es Sinn, die Autofahrer oder die Radfahrer über einen Kamm zu scheren. Mich besorgt nur, dass hier eine Art grüner Freifahrtschein für Radler Einzug gehalten hat, der auffällig rücksichts‑, sorg- und ahnungsloses Verhalten rechtfertigt und nicht selten Unfälle zur Folge hat. Die Verantwortung, Unfälle zu vermeiden, liegt dann im überwiegenden Maße beim gern verfemten Autofahrer. Und ich denke, dass viele Autofahrer in ganz verschiedenen Städten ähnliche Geschichten erzählen können.