
Ein Stadtrat rettet die Welt
Jena ruft den Klimanotstand aus
Am späten Abend des 4. Septembers geschah es. Ein Beben erschütterte den Planeten und die Menschheit wurde aus ihrem lethargischen Schlaf gerissen. Was war geschehen? In einem kleinen deutschen Bundesland gelang es 25 Helden im Kommunalparlament einer Provinzstadt, die bevorstehende Apokalypse abzuwenden. Genauer gesagt, die Klimaapokalypse. Sie riefen — gegen den Widerstand von 15 unverbesserlichen Klimanazis — den Notstand aus.
Durch die Lichtstadt ging ein Aufatmen. Endlich widmet sich die Politik den wahren Problemen der Menschen und tut etwas gegen die mörderische Klimakrise. Etwa zur gleichen Zeit verrutschte eine Handvoll Reis in einem Sack in China und in einem polnischen Kohlekraftwerk biss jemand in sein Pausenbrot. Die in der Sitzung des Stadtrates anwesende Handvoll Schulschw... ähm Klimaktivisten von Fridays for Future applaudierten. Mit Recht. Schließlich gelingt es nicht oft ein paar nervigen Jugendlichen ohne jede Ahnung von irgendwas, eine ganze Stadt nach der eigenen Pfeife tanzen zu lassen.
Die "Klimakrise" hatte auch die vorangegangene Debatte bestimmt. Immer wieder wurde betont, man müsse ein Signal senden — an wen auch immer. Lange genug hatte die Krise das Land erschüttert. Im Sommer hatte es heiße Sommertage gegeben und Gewitter. In einigen Landstrichen hatte es zu wenig geregnet, in anderen zu viel. Im Mai war es zu kalt gewesen und im August zu warm. Schon im September gibt es in den Schweizer Alpen einen Wintereinbruch. Man muss schon blind sein, um nicht zu bemerken, wie gravierend alles aus den Fugen geraten ist. Das seit Jahrmillionen stabile Klima hatte plötzlich angefangen sich zu wandeln. Diese besonders für Wohlstandskinder beängstigende Entwicklung konnte man nicht unbeantwortet lassen, erstrecht nicht in der Lichtstadt. Herr Lenkert, ein begnadeter Redner aus den Reihen der Linken beklagte, dass wir ja jetzt schon kaum noch das 1,5°-Ziel schaffen können. Wir? Wen meinte er? Von was sprach er überhaupt? Na ja, egal.
Der heilige Kampf für das Gute, die entzündeten Herzen, die überraschende Leidenschaft der politischen Schaumschläger und Dilettanten — ich gebe zu, das imponiert. Man erlebt nicht oft, dass Politiker so überzeugend von Dingen reden, von denen sie keinen blassen Schimmer haben. Und doch, ich muss es ganz ehrlich zugeben, bin ich enttäuscht. Jetzt, da der Jenaer Stadtrat weiß, was das richtige Klima für Wladiwostok, Lhasa, Palermo, Bogotá und Adelaide ist und handeln könnte, bleibt es bei Bekundungen auf einem schnöden Beschlusspapier. Leute, zu einem richtigen Notstand gehören auch Notstandsgesetze! Bürgerrechte, Finanzen, Energieversorgung, Wirtschaft und Verwaltung, Ernährungsgewohnheiten und Straßenverkehr — all diese nebensächlichen Kleinigkeiten müssen jetzt hintan gestellt und ordentliche Notstandsmaßnahmen ergriffen werden, "die höchste Priorität besitzen, sich nicht aufschieben lassen und sofort umgesetzt werden müssen", wie es im Beschlusstext heisst.
Um Abhilfe zu schaffen, hätte ich da schonmal ein paar Vorschläge. Altstadtfest und Weihnachtsmarkt sollten abgesagt werden. Zu hoher Energieverbrauch, zu viele Leute im Auto, zu viel Fleisch auf dem Teller, zu viel CO2-produzierende Holzkohle. Ich habe auch JenaKultur — auf Twitter — vorgeschlagen, zukünftigen Tagungskunden mitzuteilen, dass Konferenzen in Notstandsgebieten unanständig sind. Andere Städte springen da sicher gern ein. Weihnachtsbäume sollte man auch nicht verkaufen. Schlimm, dass man an so etwas überhaupt nur denkt. Die von fossilen Energieträgern produzierte Fernwärme muss natürlich abgeschaltet werden. Sollen sich Lobeda und Winzerla doch Solarzellen aufs Dach schrauben. Und überhaupt, wozu Fernwärme in Zeiten der Überhitzung des Planeten?
Leider ist schon abzusehen, dass es große Hindernisse bei der Umsetzung des Notstands geben wird. Ein Mitarbeiter von JenaKultur bärmelte als Antwort auf Twitter herum, wie man denn die Einnahmeverluste im Stadthaushalt ausgleichen will, wenn man Tagungen absagt. Mannomann/Frauofrau/Diversodivers, haben Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt? Sind Sie vielleicht ein Klimaleugner und halten für Wetter, was eigentlich Klima ist? Und überhaupt, in solchen Zeiten über Geld zu reden, das ist doch kapitalistische Profittyrannei! Das Schweinesystem muss endlich überwunden werden. Sonst können wir das Klima nie retten und das arme hat die Rettung so bitter nötig.
Das finden Sie doch auch, oder? ODER???
One thought on “Ein Stadtrat rettet die Welt”
Gestern standen wir vor dem Abgrund.
Heute sind wir bereits einen Schritt weiter 🙂