Aufgewertete Plätze
"Die gerade Linie ist ein Werkzeug des Teufels."
(Friedensreich Hundertwasser)
Im Zuge der Erneuerung eines maroden Abwasserkanals in der Wagnergasse krempelt die Stadt Jena derzeit auch gleich den ganzen Johannisplatz mit um. Nun ist der Johannisplatz nicht irgendein Platz, sondern ein einzigartiges und authentisches Stück Jenaer Stadtgeschichte. Die Begründung dafür, warum man diesen Platz überhaupt verändern muss, findet sich in der entsprechenden Beschlussvorlage des Stadtrats: "Es bestand die Zielstellung in einer einheitlichen Platzwirkung mit der Möglichkeit der universellen Nutzung des öffentlichen Raumes." Nun wurde der öffentliche Raum dort auch bisher schon "universell" genutzt, insbesondere durch Gastronomie, Einzelhandel und verschiedene Verkehrsteilnehmer, vom Fußgänger bis zum Autofahrer. Was sich so ein Stadtarchitekt unter der Worthülse einer "einheitlichen Platzwirkung" vorstellt, bleibt genauso schleierhaft. Aber weiter im Text: "Die Gestalt und Aufenthaltsqualität sowie die Nutzbarkeit des Platzes und der Wagnergasse sowohl für Verweilende als auch für die Gastronomie und anderer Gewerbetreibender werden erheblich verbessert." Die Aufenthaltsqualität auf dem Johannisplatz scheint so schlecht nicht gewesen zu sein, bevölkerten doch in der schönen Jahreszeit Tausende "Verweilende" die dortigen Biergärten und Kneipen. Das Ziel ist zudem nicht nur eine schlichte Verbesserung, nein es wird sogar "erheblich verbessert". Wir können uns also auf einen ganz besonderen Qualitätssprung freuen. Einen ersten Eindruck von der Art dieser Verbesserung erhielt man vor dem Baubeginn, als 6 von 9 der dortigen schattenspendenden Stadtbäume gefällt wurden. Sie standen der "Aufwertung" im Wege.
"Grundelemente der Gestaltung sind dem Gestaltungshandbuch „Formatio Jenensis“ als Standard für die Gestaltung des öffentlichen Raumes entnommen." ((In diesem Handbuch lesen wir, dass "Eigenart" und "Charakter" des öffentlichen Raumes zunehmend "durch eine oft zu große Vielfalt an Materialien, Ausstattungs– und Gestaltungselementen" gestört wird. Wer sich hier warum und wie gestört fühlt, bleibt dahin gestellt. Dessenungeachtet möchte man sich "der Ausformung öffentlicher Straßen, Wege und Plätze nach einheitlichen Prinzipien" verschreiben und "bausteinartig Vorgaben für Profile, Materialien, Farben, Verlegearten und Qualitäten" formulieren. Siehe https://www.frankcebulla.info/2015/der-neue-johannisplatz)) Immer wenn es um Standards geht, geht es auch um Vereinheitlichung. Eine Standardisierung auf der Basis einheitlicher Gestaltungsvorgaben führt zwangsläufig zu einem Verlust an Einzigartigkeit, Originalität und Wiedererkennungswert. In den Fantasien von Stadtarchitekten, die ganze Viertel liebend gern nach ihrem Gusto "aufwerten" wollen, spielt Beton eine große Rolle. Betonplatten, Stützmauern aus gestrahltem Beton, Treppenstufen aus Beton, vor der Betonisierung ist nichts sicher. Genau diese "verbesserte Gestalt" wird man auch in Zukunft auf dem Johannisplatz finden. Was man dagegen nicht finden wird, sind unversiegelte Flächen. Erde ist unmodern, dreckig und bedarf der Pflege. Bürger könnten auf den Gedanken kommen, dass man dort etwas pflanzen müsste. Stattdessen haufenweise Fahrradanlehnbügel und begradigte Flächen. Alles, was irgendwie alt, bucklig, kurvig oder sonstwie unvollkommen historisch gewachsen ist, muss selbstverständlich den Segnungen der modernen Architektur unterworfen werden. Hinzu kommt ein modernes "Kunstwerk", das sicher Scharen von Touristen und Besuchern anlocken wird. Auf dem Johannisplatz wird das eine Kuh/Rind/Stier/Zugtier/? sein, auf dem Ernst-Abbe-Platz waren es z. B. ein paar Schrotthaufen.
Nun können wir die Auswirkungen der gönnerhaften Hand unseres Stadtarchitekten, der — endlich! — auch den Johannisplatz mit einer höheren Aufenthaltsqualität ausstatten kann, bald mit unseren eigenen Augen bestaunen. Wir haben aber ebenso die Möglichkeit, uns andere schon aufgewertete Plätze Jenas anzuschauen. Man muss da nicht viel Worte machen, die Fotos sprechen für sich. Einige von ihnen mögen vielleicht für das Auge des architekturbegeisterten Fotografen interessant sein, für die Menschen sind sie es offensichtlich nicht. Man braucht sich nur eine Weile dort aufzuhalten, um zu bemerken, dass Menschen dort nicht gerne sind. Das Leben macht um diese Plätze einen Bogen. Manchmal werden sie gezwungenermaßen genutzt, weil es keinen anderen Raum gibt (Ernst-Abbe-Platz), manchmal dienen sie lediglich als Durchgang oder Abkürzung (Sonnenhof, Löbderstraße). Immer sind sie vollständig versiegelt. Beton, Asphaltflächen, eingefasste Bäume, Betonklötze statt herkömmlichen Bänken. Manchmal wurden im Zuge der Aufwertung existierende Grünflächen sogar entfernt (Phyletisches Museum).
Plätze dieser Art findet man überall. In Stuttgart oder Dessau oder Bremen oder Frankfurt oder Tokyo. Sie sind mit dem gleichen Blick entworfen und strahlen die gleiche langweilige Sterilität aus. Die emotionale Verbindung von Menschen zu diesen Plätzen ist gleich Null. Sie sind Fremdkörper im urbanen Gefüge und dem organischen Leben einer Stadt entzogen. Der Wortstamm von Aufwertung ist Wert, aber worin der in diesen Fällen bestehen soll, ist nur schwer nachvollziehbar. Es sei denn Leere ist ein Wert an sich. Für mich sind diese zwangsaufgewerteten Plätze Beispiele für fehlgeleitete, letztendlich gescheiterte Stadtentwicklung. Eine Stadtplanung, die Emotionen und Bedürfnisse von Menschen außer acht lässt. Man kann sicher immer über Geschmack streiten, aber hier geht es nicht um die Spielräume einer variablen Ästhetik. Es geht um städtischen Lebensraum von Menschen. Und ganz im Gegensatz zu allen vollmundigen Behauptungen gab es auf den so aufgewerteten Plätzen keine erhebliche Verbesserung der Aufenthaltsqualität, sondern einen Verlust. Einen Verlust, den jeder direkt spüren kann, der sich dort aufhält.
8 thoughts on “Aufgewertete Plätze”
Gehören Sie auch zu denen, die auf jede vorgetragene Kritik "Dann mach es doch besser" antworten? Damit kann man natürlich alles "erschlagen" und zur Tagesordnung zurückkehren.
Natürlich kommt es dabei nicht auf "meine Ideen" an, man braucht nur zu googeln, um zu sehen, dass sich da schon ganz andere Leute Gedanken zu einer menschenfreundlichen, organischen und naturnahen Stadt gemacht haben. Die einfachste Idee, die mir allerdings einfällt, besteht darin, einfach die Bürger zu fragen, wie sie einen Platz wollen und was ihnen dabei wichtig ist und das nicht einem einzelnen Stadtarchitekten zu überlassen, der meint allem seinen Stempel überprägen zu müssen.
Was für den einen Nölerei ist, ist für den anderen berechtigte Kritik oder ein grundsätzlich anderes Verständnis von Stadtraumgestaltung und ‑entwicklung. Wie die Kommentare auf Jenapolis zeigen — spiegelt das nicht nur meine Meinung wider.
Wann kommt denn ihr Artikel zu: "JENA.2030 Heute schon Stadtentwicklung gemacht?" ?
Das hat meine Piraten-Kollegin Heidrun Jänchen schon gemacht, hier entlang: http://piraten-jena.de/2016/04/09/isek-07–04-2016-buergerforum-rathaus-platzt-aus-allen-naehten/
@frank
Danke für den Hinweis.
Was sind für sie als sachkundiger Bürger im Stadtentwicklungsausschuss unabdingbare Grundsätze der Stadtentwicklung?
Was würden sie bei der Stadtentwicklung Jenas konkret besser machen?